: Dichter statt Denker-betr.: "Philosophen und der Golfkrieg", taz vom 19.2.91, und "Diese Regierung muß zurücktreten" von Günter Grass, taz vom 16.2.91
betr.: „Philosophen und der Golfkrieg“, taz vom 19.2.91, „Diese Regierung muß zurücktreten“ von Günther Grass, taz vom 16.2.91
Da ist ja endlich, nach so vielen Enttäuschungen in den Jahren 1989 und 1990, wieder die Stunde für unsere vermeintlich Linken und Aufgeklärten, in Wahrheit und im besten Fall aber allein auf ein utopisch vermeintlich Humanes und Gerechtes hin Theoretisierenden: die Stunde der „Emanzipation“, die Stunde der „Befreiung“ Kuwaits. Die ins Universalistische vagabundierende Vernunft unserer Philosophen darf sich angesichts zerfetzt in der Luft fliegender und zermatscht in den Sand gestoßener menschlicher Leiber austoben im Gerede von Menschlichkeit und Gerechtigkeit, ja eben Emanzipation. Nicht einmal Klaus Hartung von der taz hat sich geniert, von der „Befreiung“ Kuwaits zu reden, wohl wissend, daß „frei“ hier doch realistisch nur meinen kann, daß kein Leben mehr da ist, das sich zur Geselligkeit und Zuversichtlichkeit verstünde, sondern vielmehr die Hoffnungslosigkeit einer von Menschen gemachten Wüste herrschte.
Die sind vor lauter Theorie völlig unsinnlich geworden, sind einfach unfähig zu sehen, wie die vormaligen Inhaber der jetzt zerbombten Leiber mit den Verbrechen Saddam Husseins nicht mehr zu tun haben als der Waschlappen mit der Schönheit einer Frau, von den Brücken über den Euphrat und Tigris erst gar nicht zu reden, in denen allein schon mehr Kultur steckt als in den Köpfen aller „first cut it off then kill it“-Politiker und -Militärs. Da lobe ich mir schon einen Günter Grass in der taz, wenn er auf die ewig alles besser wissenden 68er schimpft, die heute ihre eigenen Kinder im Regen stehen lassen.
Brauchen wir am Ende doch eher Schreiber, deren Geist sich nicht allein im Kopf abspielt, sondern Sinnlichkeit auf der Zunge und im Auge hat, im Freiburger Jargon gefragt: doch eher Dichter als Denker? Prof.Dr.Rainer Marten,
Freiburg
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