: Der Kriegslogik ergeben
Für den Hörer und Leser, der sich redlich bemüht, jenes Differenzierungsvermögen zu bedienen, das (Habermas dixit) den Intellektuellen auszeichnet, sind gewisse Gedankenmärsche durchs Labyrinth der Golfkriegsdebatte kaum nachzuvollziehen. Nicht, weil sie zu kompliziert wären, sondern weil sie sich unter Mißachtung der argumentativen Spielregeln ohne Notwendigkeit der Kriegslogik ergeben.
Ich lebe als deutscher Ausländer in Amsterdam. Ich genieße das Privileg, neben der atemlosen Stimme der Freiheit (CNN) und den Planspielen pensionierter Schattenstrategen (BBC) auch die Zustandsberichte über die moralischen Ruinen der Weltpolitik (ARD/ZDF) zu empfangen. [...] Ich verbringe meine Zeit vor der Glotze oder im Leseraum dieses oder jenes Kulturinstitutes und lese, warum der eine (Saddam) wie ein anderer ist, den man bislang für einzigartig hielt (Hitler), oder daß Vertreter des israelischen Staates von der Bundesregierung fordern, sie dürften keine Juden hineinlassen, sondern müßten sie (in abschließbaren Containern?) ins Gelobte Land expedieren. Ich verstand als Schüler nicht, warum Karthago zerstört werden müsse (Latein); ich verstehe heute nicht, nach welchem Plan der xte Luftangriff auf Bagdad geflogen werden soll (offizielle Verlautbarungen). Setzen: sechs.
In meiner Jugend (vor 20 Jahren) waren mir marxistische Schulungen ein Greuel. Ich habe den sozialen Charakter dieser konspirativen Veranstaltungen nicht kapiert und mochte das Bier nicht, das man anschließend trank. Ich habe den Wehrdienst nicht verweigert und bin statt dessen nach Berlin abgehauen, und blieb ein Einzelgänger. Präsident Bush, die für Militärexporte und ihre Kontrolle zuständigen deutschen Politiker und Intellektuelle antworten auf den Vorwurf, man hätte in anderen Fällen und viel früher einschreiten müssen: Man müsse eben einmal beginnen und dieser Zeitpunkt sei jetzt, in Kuwait. Denen, die sich das Recht nehmen, ihre persönliche moralische Konsequenz zu ziehen — Betriebsräte, die Überstunden für die Produktion von Kriegsmaterial verweigern, Lehrer und Schüler, die dem Unterricht fernbleiben und für den Frieden demonstrieren, Sozialarbeiter, die Steuern zurückhalten—, werden zur Einsicht aufgefordert, daß sie ihre moralische Chance verspielt hätten, als sie im Embryonalstadium nicht gegen das Dioxin in der Placenta protestierten. Wenn du noch nie das Maul aufgemacht hast, bist du ein Störer, wenn du es dann tust. Wenn du dich als ehemals Linker meinungsFührer heute nicht rasch bekennst, wirst du in einer Welt wechselnder Mehrheiten ein Einzelgänger.
Die Zentralorgane der „Weltöffentlichkeit“ unterhalten sich von Metropole zu Metropole im Jargon einer Aufsichtsratssitzung über das Schicksal der Völkergemeinschaft. Man hört: Israel fordere, Deutschland zögere, der Irak zwinge, die Alliierten führten — eine menschenleere Welt der Staaten, Kultur nur aus zensierten Nachrichten und Protest nur aus pubertärer Angst vor der Verantwortung. Wie wohltuend differenzieren dagegen richtungsweisende Intellektuelle bis zur eindeutigen Klarheit der Verhältnisse. Im Grobschnitt der Diskussionsrunden dann und wann jemand, der aus dem eigenen Herzen spricht. Und so sicher, wie eine Diskussion mindestens zwei Teilnehmer hat, kommt er wieder: der blinde Fleck der Vernunft — die Aporie, der unauflösbare Widerspruch. Dann kommt sie, die diskursive Allegorie des Krieges; erreicht die „Streitkultur“ den Punkt, wo die Gegensätze, die einander anziehen, sich so abstoßend ähnlich werden. Dann fordern die einen wie die anderen mit ihrem Versprechen der Freiheit jedem sein Recht ab, die Mittel ihrer Durchsetzung zu wählen.
Da hinterläßt jede Träne einen Rostfleck an der polierten Kriegsmaschine, wird jeder Mensch, der sich nicht mit einem Staat identifizieren kann noch will, in einen Terroristen. Dann droht das Schlimmste, was dem System passieren kann, wenn der äußere Feind im Fadenkreuz erscheint: Gefühlssabotage, Sprachlosigkeit, Nachdenklichkeit. Der Staat, das System, greift zu den ultimativen Waffen der technologischen Vernunft. Die Politiker schießen von ihren Stellungen mit den psychologischen Waffen der binären Freund- Feind-Rhetorik. Aber wer ist der Feind? Kann Saddam, der gestern noch ein Freund war, als Khomeini ein Feind gewesen ist (kleiner Lapsus am Rande; wurde der Iran nicht vom Irak angegriffen?), noch ein Feind sein, wenn jetzt Assad ein Freund ist, der bislang ein Feind war, und ist Assad, dem wir jetzt helfen, nunmehr auch ein Freund Israels, des Staates, der unsere Kollektivschuld an jüdischen — und anderen— Menschen kassiert, um sich ungestraft an den palästinensischen Menschen zu rächen?
Wenn sich im Zweifelsfall niemand seiner Verantwortung für die Mogelpackungen erinnert, in denen die eine dünne Schicht der Lauterkeit die Maden des Eigeninteresses nährt, sehe ich nicht ein, warum ich mich zum Märtyrer der reinen Lehre machen soll. Wer oder was zwingt mich —in einer unmetaphysischen Welt —, nur dann einen Deserteur zu verstecken, wenn ich nachweisbarer Pazifist bin? Wer oder was veranlaßt mich, das Verständnis für den Haß und die Enttäuschung der um ihre Kohle (zählt mehr) Betrogenen zu gewähren, an den Tod und die Vernichtung derjenigen zu binden, die jeden für ein Sicherheitsrisiko erklären, der auf ihre falschen Versprechungen aufmerksam macht? Wer die Abkehr vom Terrorismus in den Siebzigern für ein Zeichen linker Lernfähigkeit hält, sollte in den Neunzigern dem Staatsterrorismus die Stirn bieten. Ich will keine neue Weltordnung. Ich glaube nicht an das friedfertige Zusammenleben der Menschheit (ich hasse Energieverschwender und Hundehalter). Ich halte das praktisch Unmögliche wie den Weltfrieden für praktisch nicht erstrebenswert, die Benutzung der Vernunft hingegen gerade in Ausnahmesituationen für dringend geboten. Alles, was ich fordere ist — meinetwegen auch für den Juden, den Chinesen, den Grünen — das Recht auf Widerspruch und auf Einzelgängerschaft — und die Uniform der Lächerlichkeit für den selbstgerechten Potentaten. Wolfgang Preikschat,
ein Querulant
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