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Das verkalkte Aufsichtsrad

Arps Dada: Der Infanterie entlaufene Infanten  ■ Von Brigitte Hannemann

Ich will dir was erzählen von der alten Mählen: Wenn sie keine Kartoffeln hat, dann kann sie keine schälen“ — so führt papa/mama kleine Kinder die Logik ein. Für die Großen gibt's nun eine kleine feine Anti-Logi: DAS EINE IST DAS ANDERE LAND: SCHÄL MIR EINE FEE!

Argumentationskunst? Ordergeben? Immer mit dem Vorzeichen Un oder Um davor! Einen Aufbewahrung besserer Laute von Hans/Jean Arp (der einst 1916 zu Zürich DADA zur Welt brachte). Ein Uschebti! Wieder gesetzt als Hundertster in der Sitzreihe der LCB-Editionen, von 12 Übersetzern unsichtbar umgeben, die eine Auswahl seiner französischen Originale ins Deutsche soufflieren (dank DAAD). — Zweisprachiges Spiel. Als Schmirgelpapier Nr. 4 ist Firi nicht wiederzuerkennen, man muß es schon einmal in französisch hersagen (sprich u wie ü), um die feinen Nuancen zwischen i und ü in dieser Lyrik mitzubekommen:

lion de nuit é pli

dépli ivri par pli

débranche si pi si pli

firi firi

i

gli

car rond ton son piri

tiu tiu en voute

ilion ti piri

lion signole ré mi

si illicide lyrie

inique isis si pli

son ton é rond enchante

invoute empli la nuit

tiu tiu é glu

glu supu

tulu.

Feldgrillengezirp und Vogelstimmen, resynthetisierte Natur.

Was Uschebtis sind? Gestalten mit Schriftzeichen, Hacke und Saatsack, ihre Funktion? Wir wissen es nicht genau. Ich möcht' meinen, daß Arp uns einer ist. Rekonstrukteur von Splittern des im Leben Zertretenen. Da ist noch etwas da. Wir erben von ihm die Weise des Zurückschälens aus rationaolen Zerstörungs- Zwängen in ein revitalisiertes Zusammensein.

Dada — wie's Kind aufs Pferdchen zeigt, erboren mitten im 1. Weltkrieg gegen Chauvi und Chevalerie mit Tschingderassassa und Wahnsinnshurra. Gegen den mordbeflissenen Bleigebrauch und gegen TNT und Extra-Dynamit (das schlimme Explosiv, das so schlimm war, daß es, so nobel dachte der Erfinder Nobel, seine militärische Anwendung von selbst verbieten müßte, und damit sämtliche Kriege. Eine Illusion).

die Hoffnung schmilzt wie ein Echo

aus Blei...

zwischen Himmel und Mittagessen

schießt eine Kanone auf eine grüne

Seele

springt ein Hahn auf Krücken aus

Kristall

hinter die Glocke eines Säugetiers

das fortfliegt in Luftposition ...

Dada begann im Zürcher Exil-Kabarett eine Vergällung für den guten Kunstgeschmack. Deutlich undeutliche Töne gegen die Zerfleischungs- Propaganda in Nachbarländern, gegen die hochgesungene Kameradschaft fürs Jenseits. (Von vorher bekannt: Sie gaben jede Menge Falschmeldungen an die Presse, forderten sich angeblich gegenseitig zum Duell — wegen Dada —, um gezielt aneinander vorbeizuschießen — nur wegen Dada. Wer hat es nun zuerst gesagt?)

wie auch wir verehren das libretto

mit den verbrieften angeborenen

arien

an den mauern von maurulam

sintemalen ja

auch i lemm und i lamm

sich den fixfertigen faxenfolianten

an die brust katapultieren

papperlapp patam

und schwappt der tatterpapp ins

wasserfaß

weil man mit einem so umgeht

der nicht froh nicht traurig ist

und auch ohne sünde ist

und schreit wie ein lebendes

kleid

so wie der zahnstein schreit

habemus papam habemus mamam

masculinum von mezzopotamien

bosco contra belachini ...

Arp rekapituliert unsinnig detailliert diese unverrückbare Zeit der großen Menschenverachtung: als ein Max Weber in Briefen schrieb, „daß der Krieg groß und wunderbar sei“.

— Dada:

... lavaspitzenangebote, sonnengeldsysteme, etikettierte bäuche ... cäsarenkeulen, totale stilleben, ... und im anblick von sodom versteinerte menschenaugen. ohne anzuklopfen aber mit einem wasserzeichen im maulkorb betritt er die kontinente.

— zelte aus klöppelspitzen

tanzen

mit sparschweinen voller wespen.

— Die riesigen Herzen aus Marmor treten durch die Triumphbögen, erklimmen die russischen Berge und verlieren sich in Labyrinthen.—

die mauern sind aus menschenfleisch

die pilze haben donnerstimmen

— ... die schwarzen eier und

narrenschellen fällen bäume

die stürme und die kesselpauken und

die trommler spitzen eselsohren.

Und wie redeten die gescheiten Leute? Weber, der ehrgeizige Systematiker der Soziologie, schrieb 1914/15 (Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie I): „Der Krieg als die realisierte Gewaltandrohung schafft, gerade in den modernen politischen Gemeinschaften, ein Pathos und ein Gemeinschaftsgefühl und löst dabei eine Hingabe und bedingungslose Opfergemeinschaft der Kämpfenden ... als Massenerscheinung aus, welcher die Religionen im allgemeinen nur in Heroengemeinschaften der Brüderlichkeitsethik ähnliches zur Seite zu stellen haben.“

— Dada:

haba habs tapam

maurulam katapult i lemm i lamm

haba habs tapam

das wort ist ihm im mund zerbrochen

sie haben haare in der seele mein herr

sie haben haare in dem herrn mein

herr

was ist das und was heißt das diese

kumpanei

das ist der nächtelange eiergeist

das ist vielleicht von ferne

das wilde fleisch das nahe ist

ich darf es euch nicht sagen

patam patam

ich trau mich nicht es zu sagen

patam patam...

Weiter behauptet Max Weber: „Und darüber hinaus leistet der Krieg dem Krieger selbst etwas, seiner konkreten Sinnhaftigkeit nach, Einzigartiges: in der Empfindung eines Sinnes und einer Weihe des Todes, die nur ihm eigen ist ... Und von jenem Sterben, welches gemeinsames Menschenlos ist und gar nichts weiter, ein Schicksal, welches jeden ereilt, ohne daß je gesagt werden könnte, warum gerade ihn und gerade jetzt ... von diesem lediglich unvermeidlichen Sterben scheidet sich der Tod im Felde dadurch, daß hier, und in dieser Massenhaftigkeit nur hier, der Einzelne zu wissen glauben kann, daß er 'für‘ etwas stirbt.“ (Ähnliches hatte schon der bekannte Philosoph Hegel geäußert.) — Dada:

FRÜCHTEGERANGEL

was sind das für Sorten von

Totenköpfen

in einer Karre mit glänzenden

Sternen gefüllt

eingekeilt zwischen zwei Nächten

singe ich

wie die Spinne singt die ihr Netz webt

. — ein Tropfen Mann

ein Nichts von Frau

fallen in den Knochengarten

wie das Morgenständchen

in das Fell des Feuers

. — totenköpfe

die gleißen wie sonnen

gehen dürstend zur quelle der leere

verachtet von den geizigen gänsen

den alles verschlingenden schlingeln

und den etceteras

den numerierten und von den autoren

signierten.

„Jeder Stoß ein Franzos!“ war einst die deutsche Devise und Sinngrund weitreichender Logistik. Das Kriegsarbeitsverweigerungskonzept der kleinen Friedensvereine war zu schwach, um das Sagen der Bellizisten zu stoppen. Mit verlogener Mutproberei und Juchhei wurden junge Menschen — ob frei- oder unfreiwillig — in den Helden Tod manövriert. Außer einer Flucht ins Exil gab es für die Einberufenen kaum die Möglichkeit einer Verweigerung. Die Herrenmoral rief zu blutigen Siegen und machte gar keine Anstalten, das Vermeidbare zu vermeiden. Die Verbotserklärung der 1. Haager Friedenskonferenz, Geschosse und Sprengstoffe aus Luftschiffen zu werfen, galt zum Beispiel nur bis 1904. Eine Verlängerung des Verbots wurde nicht ratifiziert. — Wie viele Priester und Pfaffen segneten gnadenlos die Waffen! — Dada:

das ordensband geht auf und die sonne nimmt nach fünfzig dienstjahren ihren abschied in das verkalkte aufsichtsrad der erleuchtung.

der mensch hat die morgenfanfaren durch erdbeben ersetzt, ...

. — wir knöpfen die psalmen auf

und verzehren genüßlich

sirenenschuhe

lieber schlimmer als ein zimmer voll

lachen

. — die pfeile der opaken armbrüste

durchbohren ein kleines zittriges

bündel

. — setz dich auf meinen zeh

kleiner weißer nackter himmel

bleib eine blicklose tracht

bleib weiß und nackt

laß die einstigen realitäten

das wasser flicken

die seelen enthaaren

das letzte Wort ausstoßen

hinter das letzte herz

bleib weiß und nackt

laß die heiligenscheine schnurren

und ihre gesinnung sieben.—

Arp sprengt das System der Sprachanwendung. Im Sinnlosen formuliert sich der Protest. Aber der Protest ist nicht sinnlos. Es ist der Protest gegen den exakten Order zur Unmenschlichkeit. Hans/Jean Arp gelingt die Rückgewinnung der unsagbaren Sphäre (in der er nach sprachphilosophischer Ansicht nur schweigen müßte).

Die ersten Dadaisten um Arp waren eine Denkgruppe, eine Un- Truppe, der Infanterie entlaufene Infanten. Ausgewachsene Kinder. Kinder beobachten sehr genau. Sie waren Vorbild. Ein wissendes Stammeln, Verständigungsspiele. Wie ein Prophet gegen die falschen Propheten: ertönt Arps Ohne-Sinn. Verwandte Lyrik, hymnischer noch, hö

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Fortsetzung

ren wir nach dem Holocaust-Trauma bei Paul Celan:

Krücke du, Schwinge. Wir ---

Wir werden das Kinderlied singen,

das,

hörst du, das

mit den Men, mit den Schen, mit den

Menschen, ja das

mit dem Gestrüpp und mit

dem Augenpaar, das dort bereitlag

alsTräne-und-

Träne

Celan war leidender, bei Arp brach ein toller Trotz gegen das eigentliche Verrückte heraus („Romantik und Büchner im Gedächtnis“). — Dada:

die fleischige Rundung des

Mysteriums wiegt sich auf

meinem Kopf

Steinwolken bedecken die Worte aus

Teer

ich breche auf den Blöcken der

Morgenröte zusammen

die Morgenröte gurrt

die Luftorgel begleitet die roten

Tränen

auf dem Stengel der Sterne

auf dem Stengel des Sommers

ich liebkose den geweißten Rücken

des Volks

ich entledige mich oben meines

Hauptes...

Wer das alles für Ulk hält, wer die ernsthafte Trauerarbeit von Arps kosmischem Gesang Der Himmel ist ein Ei nicht erfaßt, der wird die Diskrepanz zwischen Innenwelt und Außenwelt nie erkennen können. An ihm werden auch die schwer verständlichen Wortfolgen von Celans Todesfuge vorbeiklingen.— Etablierte Philosophen schlagen heute den jungen Menschen mit ihren langwierigen Analysen des Zeitbegriffs die Zeit tot: im Letztergründungsanspruch. Aber Arps Zwischen den Zeilen der Zeit will ihnen als Abfall erscheinen, weil nicht subsumierbar. Gleichzeitig blühen auf der immer weniger schönen weiten Welt die Waffengeschäfte wie nie. Obwohl Gewaltanwendung und Gewaltandrohung nach Beschluß der Vereinten Nationen international verboten ist (das wurde nach dem 2. Weltkrieg ius cogens: wirklich zwingendes Recht! des Völkerrechts). Wer merkt's? Max Webers Ansichten über die Herrlichkeit des Krieges müssen heute jedenfalls eindeutig als völkerrechtsverächtlich bezeichnet werden.— Es fehlt nicht an guten Normen. (In Krisengebiete dürfen Waffen beispielsweise gar nicht, auch nicht auf Umwegen geliefert werden.) Es fehlt auch nicht an brauchbaren Einrichtungen zur friedlichen Streitbeilegung. Es fehlt am guten Willen, sie in Anspruch zu nehmen.

Heut wird doch gern gefragt, für welche Zielgruppen dies und das geeignet sei.—

—Arp dada für den Geschichtsunterricht: „Das ist auch, vielleicht überhaupt erst 'Geschichtsschreibung‘“, sagt der Herausgeber zur FORM.

—Dada ist Homöopathikum: fragt in allen Apotheken nach den Dadaisten von Rasputin vom Zar und vom Papst die nur zweieinhalb Stunden gültig sind.

—Arp-DADA für die Priesterseminare:

Das Kaninchen frißt den Jäger auf.

Aufknöpft sich der Diamant

und bäht lauter als das Schaf.

Das Schaf wird sauer.

Es tritt den Freund, den Wolf mit

Füßen.

Der Hirte ist weit weg.

Der wohnt der Selbstkritik der

Schwäne bei.

—Arp dada gehört in die politischen Debatten. Erich Fried hob Arp vorrangig als MAHN- und WARN- Dichter hervor (1986 zu Arps 100. Geburtstag).

—Dada für den deutsch-deutschen Dialog. Ich hört', neueres Dada gibt's auch in Dresden.

—DADA als Denkzettel für die UNO, die als neueste Errungenschaft zur „Internationalen Kinderrechtskonvention“ das Mindestalter für den Militärdienst von 18 auf 15 Jahre herunterzuschrauben beschließt, weil die zahlungskräftigen USA das so wollen. (Die Mikes in Vietnam waren — das bewies eine auffällige Statistik — zumeist 19, weil dann offenbar am wenigsten Hinterbliebenenrenten anfielen.) In Litauen/UdSSR wurden — so erfuhr ich von einem Augenzeugen — 17jährige unfreiwillig zum Löschen des Supergaus rekrutiert. Nun wird (nach persischem Vorbild) das jugendliche Alter 15 zum neuen Standard: Zur Sicherung der Rechte der Kinder! (Aber nicht auf Minigolfspiele.) Dada gehört als Gedenk-Präambel in eine bessere Kinderrechtskonvention:

die ziegen klettern auf die

wellenkämme

die kinder haben lippen aus luft

ich klettere auf eine kahlgeputzte

welle

meine augen haben feenfalten

die alten nägel duften nach schnee

ich schlage einen nagel in jeden

zwischenraum

ich schlage lichtnägel in mein fleisch

bitte schäl mir eine fee

pèle-moi une fée!

Hans/Jean Arp: Das eine ist das andere Land: Schäl mir eine Fee , herausgegeben von Gregor Laschen, Literarisches Colloquium Berlin, Berliner Künstlerprogramm des DAAD 1989, 191 Seiten (eine Auswahl nach Editions Gallimard, Paris 1966, in der Arps französischsprachige Texte aus den Jahren 1920 bis 1964 zusammengetragen sind.)

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