piwik no script img

Verdrängungsprävention

■ »positive art« — Aids-Aktionsmonat in der Galerie Bellevue

Die Töpfergruppe für Menschen mit HIV und Aids der Charlottenburger Volkshochschule proklamiert eine neue Kunstrichtung: »positve art«. Zusammen mit Zeichnungen der Malgruppe des Cafés PositHivs und Bildern des HIV-positiven Fotografen Jürgen Baldiga bilden Tonarbeiten der Töpfergruppe den Rahmen eines Aktionsmonats der Tiergartener Galerie Bellevue. Mit fast dreißig Auftritten vor allem schwuler Künstler soll im März »der Verdrängung des Themas Aids entgegengewirkt werden«. Mit dabei sind Stars von Lucy Joker über Melitta Sundström bis Gerome Castelle, aber auch Tatjana Orlob mit dämonischem Tanztheater oder das Kabarett Herzog-Götze mit einer Tucholsky-Revue. Daß selbst das schrille Suleika-Bergmann- Pohl-Ensemble mit ihrer Show Die Gäste sind verstimmt, weil Scheiße in der Bowle schwimmt einen Abend gestalten wird, steht für die Vielfältigkeit des Programms.

Spricht aus den Arbeiten der Positivengruppen — oft Selbstporträts oder Porträts von FreundInnen — mal Betroffenheit und der Versuch, die gemischten Gefühle künstlerisch auszudrücken, mal aber auch das völlige Ausschalten von der persönlichen Situation, treten die übrigen KünslerInnen mit ihrem üblichen Programm auf. Zwar soll »Positives einfließen«, was aber »positive Kunst« genau ausmacht, weiß selbst der Organistor des Aktionsmonats, Tom Ernst, nicht: »So groß wird sie sich nicht von normaler Kunst unterscheiden.« Das Besondere ist wohl in erster Linie den ZuschauerInnen garantiert, mal — ein bißchen wie im Zoo — einen echten HIV-positiven Ex-Junkie beim Gitarrespielen erleben können.

Mit dem reißerischen Titel des Aktionsmonats gelang es den Veranstaltern jedoch, die eigentlich benefizmüden schwulen Künstler zu Auftritten ohne Gage zu bewegen. Der Erlös der Veranstaltungen soll an den Pflegeverein »ad hoc« fließen, der HIV-Positive und Aidskranke des Wohnprojektes »zu Hause im Kiez« betreut. Liegt für Tom Ernst zwar die Bedeutung der Aktion an sich weit vor der ihres Benefizcharakters, vermißt er bei ad hoc wiederum die Begeisterung für sein großes Engagement. Aus Sicht des Pflegevereins ist die Zurückhaltung aber verständlich. Da eine Finanzierung über ein Bundesmodellprogramm am 1. Oktober ausläuft, wird ad hoc von existentiellen Sorgen geplagt; die ohnehin schon nicht ausreichende ambulante Versorgung von Aids-Patienten können ein paar tausend Mark nicht retten.

Ohne den politischen Rahmen, ohne zu fragen, unter welchen Bedingungen Aidskranke in Berlin leben, wie katastrophal die Zukunft ihrer ambulanten und stationären Versorgung im Moment aussieht, bleibt »positive Kunst« aber fragmentarisch. Zwar sollen jeden Tag von 16 bis 19 Uhr im Galerie-Café Videos der klassischen Aids-Schinken gezeigt werden, in seiner inhaltlichen Ausrichtung bleibt das Benefiz dennoch auf dem Niveau einfachster Aids-Prävention verhaftet. Auch bei seiner für Ende März in der Galerie angesetzten Talk-Show mit Lea Rosh und Rosa von Praunheim steht der Unterhaltungswert offensichtlich im Vordergrund.

Für Menschen, die sich mit Aids bislang überhaupt nicht auseinandergesetzt haben, mag das Programm der Galerie Bellevue an »neutralem Ort« sicherlich einige Anstöße bieten. Aber auch wenn der Tiergarten zwar ein beliebter Crusing-Treffpunkt von Schwulen in Berlin ist, so ist die Galerie Bellevue in der Szene so gut wie unbekannt. Nichtsdestotrotz legen es die Einzelveranstaltungen des Benefizes auch den sogenannten »Aids-Hauptbetroffenengruppen« nahe, im März mal in der Galerie vorbeizuschauen. Zum Vergnügen lohnt sich's allemal. Micha Schulze

positive Art , Aktionsmonat in der Galerie Bellevue, Flensburger Str. 11-13. Berlin 21. Programm bitte unter 3922561 anfordern.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen