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Gleich kommt Ehren-Lemmy

■ Tag des Metallarbeiters: »Motörhead« in der Werner-Seelenbinder-Halle

Von weitem sah es so aus, als würde vor der Werner-Seelenbinder-Halle gerade die endgültige Apokalypse vorbereitet, aber der Schein trog. Motörhead- Fans sind die friedlichsten Menschen der Welt, das weiß sogar die Polizei. Soviel freundlich lächelnde Polizistengesichter wie bei dieser kleinen sonntäglichen Open-air-Party kriegt man sonst selten zu sehen. Die Fans warten fröstelnd auf den Einlaß. Kurze Lederjacken und seitlich geschnürte, hautenge Lederhosen sind irgendwie doch nicht die richtige Kluft für diese Jahreszeit. Manche wärmen sich auf, indem sie die letzten Bierdosen plattstampfen, andere, indem sie ausprobieren, wie viele Biertrinker in einen ausgeweideten Manta passen, ohne deshalb mit dem Biertrinken aufhören zu müssen. Hier und da wird noch geröhrt, aber die meisten Stimmbänder haben lange schlappgemacht. Ein kleiner nietengepanzerter Ledernacken klärt seine Kumpels, die er gerechtigkeitshalber alle mit »Na, Alkoholiker« begrüßt, nacheinander auf, daß es jetzt gleich »unwahrscheinlich laut« werde. Einem noch etwas kleineren gesteht er, er habe »irgendwie Schiß, daß es ‘heute ziemlich laut‚ werde. Jedenfalls verlieren die Fans langsam die Geduld. Sie feiern schon seit nachmittags und wollen jetzt Lemmy sehen.

Die Vorgruppe namens »Cycle Sluts of Hell« bekommt das zu spüren. Vermutlich werden die vier höllischen Rockladys, die sich auf der Rampe für einen nicht mal halbvollen Saal abrackern, Berlin nicht in bester Erinnerung behalten. Nach dem dritten höllischen Punkrock- Song erlaubte sich die Cheflady, mal anzufragen, ob Applaus in dieser Stadt nicht üblich sei. Das Publikum blieb eisern bei der Devise: Nicht mal ignorieren. Die Mädels zuckten schließlich mit den Schultern, reckten ihre Mittelfinger nach vorn und murmelten etwas von einem »fuckin' audience«.

Ganz unrecht hatten sie damit nicht. Erstens waren sie wirklich weit besser, als man sie hier behandelte, und zweitens gehört es sich nicht, die Vorgruppe dafür zu strafen, daß Lemmy gern anderthalb Stunden auf sich warten läßt. Kaum waren die Mädels von der Bühne, platzte der Saal aus allen Nähten. Oder fast. Fünftausend waren gekommen, es hätten ruhig noch tausend mehr sein können. Ganz vorn die Mannschaft derjenigen, die das neue Album 1916 für das entspannteste halten, das Motörhead je produziert hat. Der Titelsong, erklärt mein Nachbar einem Anfänger, »handelt irgendwie vom Krieg, aber ganz locker«. Die Bühne ist stockfinster, aber ganz rechts schimmern schon ein paar weiße Stiefel. Das reicht, um die wogende Menge vor der Rampe außer sich geraten zu lassen. Gleich kommt Lemmy.

Was Lemmy ist, geht nicht zum Mikrophon, sondern schreitet. Überhaupt ist Lemmy ein Ehrenmann. Öfters an diesem Abend legt er die rechte Hand aufs Herz und macht kurze, höfliche Verbeugungen. Wo Lemmy ist, tobt das Licht. Die zwei an seiner Seite, Wurzel und Phil, müssen ihre »gutsy riffs« und »spine tingling solos« im Dunkeln erledigen. Motörhead-Fans ist das schnuppe, sie wollen bloß Lemmy. Der bedankt sich artig und fragt, ob das hier East Berlin sei. Dann denkt er kurz nach, nickt verständnisvoll mit der Mähne und bringt den entscheidenden Satz: »Mauern brechen, aber unsere Herzen nicht.« Vielleicht hat ihm jemand gesagt, in Berlin sei was kaputtgegangen. Sein Trost kommt gut an. Ansonsten hält Lemmy seine Leute mit Ansprache kurz. Sie wird auch gar nicht erwünscht. Die Jungs wollen seinen »fuckin' noise« hören. Lemmys Stimme ist auch wirklich der einzige Superlativ der Motörheads, der den Begriff verdient. Daß die Gruppe mit der Phonstärke von acht Expreßzügen in einem Tunnel konkurrieren kann, ist genauso übertrieben wie die Behauptung, Motörhead beherrsche die schnellsten Rhythmen in der Geschichte des Hardrocks. Es ist ganz allein Lemmys Stimme, die die Leute rasend macht. Wie der Mann es durchhält, siebzig Minuten nach einer durchstartenden Maschine mit zerfranstem Auspuff zu klingen, ist allerdings auch ein physiologisches Wunder.

Motörheads Wechsel von England nach L.A. hat an den schönen Sitten der Gruppe übrigens nichts geändert. Kurz vor Schluß geht Lemmy eine rauchen, dann wirft er die Fluppe lässig ins Publikum und legt ein abschließendes, einsames Solo hin. Bevor er mit einem knappen Salut verschwindet, mäht er noch die vorderste Front seiner Anhänger mit der Gitarre nieder. Zugaben sind absolut unter seiner Würde. Dose

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