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Phantombild Orient

■ Arthur Rimbaud in Bagdad, Aden und Abessinien und eine Pariser Ausstellung 15

KULTURDIENSTAG, 5.3.91

Von Alexander Smoltczyk

Und eine Stunde, da bin ich hinabgestiegen in das Treiben des Boulevards von Bagdad“ — in die feuchte Stickigkeit der Basarstraßen, hinein in die Schwaden von Muskatblüte, Safran und Zypressenwurzel, von Ingwer und Nelken... In Villes I beschreibt Arthur Rimbaud eine „Saison im Paradies“, das er irgendwo jenseits vom Wendekreis des Krebses ortet. Bagdad. Wo es heiß ist, zu heiß zum Denken, und die Schatten scharfgeschnitten sind. Und der Text endet: „Welche guten Arme, welch' schöne Stunde werden mir dieses Land zurückgeben, aus dem mein Schlummer kommt und noch jede meiner Bewegungen?“

Phantombild Orient. Mit 24 Jahren hatte Arthur Rimbaud seine Zeit in der Hölle fertiggeschrieben und verließ Frankreich, um sich zu den Barbaren auf den Weg zu machen. Zu Fuß, zu Schiff, ohne Krawatte und ohne Gepäck. Jeder Poet ist ein Reisender, nur „l'homme qui marche est une cause libre“, weiß die Logique de Port-Royal. Plötzlich, bei einem Spaziergang in den Ardennen, läßt Rimbaud seinen Freund Delahaye stehen und ruft: „Fieber! ...Das Fieber ist mir auf den Fersen. Ich brauche das heiße Klima der Levante.“ Und verschwindet. Aus dem Abendland und aus der Literaturgeschichte.

Im März letzten Jahres hatte sich ein Schar Pariser Dichter auf den Weg nach Aden gemacht. Alain Jouffroy, der Breton-Schüler und Kunsttheoretiker, war dabei; Khadim Jihad, der aus dem Irak ins Exil fliehen mußte und dort Rimbaud in das Arabische übersetzt hat; Alain Borer, kongenialischer Rimbaudologe mit dem ewigdüsteren Blick Baudelaires. Sie hatten das „Grand Hotel de l'Univers“ wiedergefunden, wo Arthur abgestiegen war. Auch jenes Handelskontor gegenüber dem „weißen Minarett“, wo Rimbauds Chef Alfred Bardey mit Gewürzen, Reis und Schildkrötenplatt handelte.

In diesem Monat sollte die Expedition in den Yemen wiederholt werden. Zum 100. Todestag des Dichters ein Projekt Un Phare de Rimbaud: Ein Leuchtturm sollte ästhetisch transformiert werden, mit den Mitteln absolut moderner Technik. Dazu Vorträge an der Universität von Aden, Happenings, Diskussionen, Spaziergänge, etc.. Das ganze sollte in einem „Internationalen franko-arabischen Zentrum für Poesie“ aufgehen, einem „Maison Rimbaud“. Und — weshalb nicht? — auch einen Freihafen „Port Aden“, um dem Kaufmann Rimbaud, der von hieraus so oft auf Handelsreisen ging, ein eigenes, ein anderes Denkmal zu setzen.

Zur Reise nach Aden kam es nicht. Die Happenings unter arabischem Himmel blieben den Scuds und Patriots vorbehalten, und „absolut modern“, wie Rimbaud es in der Poesie zur Maxime gemacht hat — absolut modern waren nur die lasergesteuerten intelligenten Bomben über den Boulevards von Bagdad. An den heiligen Stätten Europas, in Ur und Uruk, Babylon und Ninive, wurden Flugzeugpisten und Giftgasfabriken unaufhörlich bombardiert. Rambo statt Rimbaud? Wenn es nur das wäre. Schließlich hat der Autor des Rambo seinen einsamen Helden, der mit avantgardistischen Waffen kämpft, tatsächlich aus Liebe zu Arthur Rimbaud derart benannt. Schlimm ist, daß der Krieg auch ein Land zerstörte, das keinen Namen hat, weil es als Phantasmagorie in jedem liegt: der „Orient“, das andere, das Morgenland unterm Wendekreis des Krebses, mit seinen Weisen, mit Mansur und Avicenna und den Farben unter der weißen Sonne...

Eine kleine Ausstellung im Pariser „Institut du Monde Arabe“ berichtet von Rimbaud-Aden... Hin und zurück. Die Republik Yemen hat zu ihrem Entstehen ebenso beigetragen wie das Rimbaud-Museum Charleville und der französische Kulturminister. Zu vierzig Prozent wird das Institut von arabischen Regierungen finanziert. Es soll den Dialog zwischen Orient und Okzident fördern. Doch im September mußte ein Stellenkürzungsplan beschlossen werden: Der Irak hatte seine Schulden nicht bezahlt, Kuwait ebensowenig. Daraufhin zogen sich auch die Emirate, Libyen, Saudi- Arabien und Ägypten zurück.

Der Rundgang beginnt in einem ultramarinblauen Licht, das die Statuette eines Mannes im Tropenanzug einen unendlich langen Schatten werfen läßt. An der Wand ein Vers aus dem Bateau ivre: „Et j'ai vu quelque fois ce que l'homme a cru voir.“ — „Und ich sah auch bisweilen, was der Mensch glaubte zu sehen.“ Eine Frauenstimme liest Briefe, die von Rimbaud in Aden, Suez, Port Said und Alexandria abgeschickt wurden: „Vielleicht werde ich nach Sansibar gehen, von wo aus man lange Reisen nach Afrika machen kann. Vielleicht auch nach China, nach Japan, was weiß ich?“ Eine Männerstimme rezitiert Rimbauds Gedichte in arabischer Übersetzung.

Rimbaud machte sich auf den Weg in Hitze und Sand, um die Welt hinter sich zu lassen, die immer „die gleiche Wüste“ für ihn war, ohne wahres Leben. Auch Racine hatte das Schreiben über Nacht aufgegeben — wegen seiner Heirat. Rimbaud hatte keinen Grund gehabt. Nur die eigene Unruhe, den Drang, „den Ort und den Satz zu finden“, wie es in den Vagabonds heißt. „Ich möchte frei arbeiten; aber in Paris bin ich ein Fußgänger, sonst nichts (...) Ich brauche eine positive Ökonomie! Finden Sie das nicht ehrlich?“

Da waren die kolorierten Stiche aus der Zeitschrift 'Magasin pittorèsque gewesen, die von weißen Städten erzählten, Städten „ohne Gedächtnis“, ohne den Ballast des Abendlands; da war die arabische Grammatik seines unbekannten Vaters auf dem Dachboden der elterlichen Wohnung, und da waren die Handelsschiffe der „Compagnie des Indes“ im Hafen von Charleville. Rimbaud hatte sich schon mit 22 Jahren bei der holländischen Fremdenlegion verpflichtet, um Europa zu entkommen. Desertierte in Java und segelte als Leichtmatrose zurück nach Le Havre. 1877 schiffte er sich dann in Marseille ein, mit einem Billet in der Tasche für Alexandria. Er blieb nur kurz, kam dann drei Jahre später wieder nach Arabien, dieses Mal, um zu bleiben. Zehn Jahre lang war Aden das Zentrum, von dem aus er Abessinien bereiste, das Rote Meer, Ägypten. Die meisten Engländer und Bosnier hatten Aden verlassen. Epidemien gingen um, wahrscheinlich auch die Pest. Es war unerträglich heiß und schwül, das weiße Licht blendete, und es roch penetrant nach ranziger Butter.

Der Poet wurde Homo faber. Als Leiter einer Baukolonne von sechzig Mann errichtete Arthur Rimbaud auf Zypern jenen Palast, in dem heute der zypriotische Präsident residiert. Dann fand er Anstellung in Bardeys Handelskontor. Es ist in der Pariser Ausstellung annähernd wiederaufgebaut. Zwischen Kaffeesäcken, Gewürzkisten und Goldwaagen werden zwei Filme gezeigt, die Alain Borer und Alain Jouffroy auf ihrer Reise gedreht haben. Vom Band sind die Stimmen aus den Souks von Aden zu hören. Rimbaud beaufsichtigte zuerst die Frauen beim Verpacken von Mokkakaffee und übernahm dann die Filiale in Harar, im heutigen Somalien: „Trafiquer dans l'inconnu“, schrieb er, „im Unbekannten Handel treiben.“

In einem Brief an das Pariser Außenministerium verteidigt Rimbaud sich gegen den Vorwurf, mit Sklaven gehandelt zu haben: „Unsere Geschäfte sind vollkommen unabhängig von dem zwielichten Handel der Beduinen.“ Aber mit Waffen handelte er. Ein Vorläufer der französischen Rüstungsexporteure in der Region — aber ohne deren Fortüne. Er kaufte einen Posten ausgemusterter Karabiner in Saint Etienne, lud sie auf 34 Kamele, um die Waffen dem späteren Negus Ménélik II. anzubieten.

Vier Monate lang trottete Rimbaud allein durch unerforschte Wüstenregionen, über „grauenvolle Strecken, die an die schreckliche Vorstellung von Mondlandschaften erinnern“. Seine beiden Kommanditisten waren bereits an Krebs und Hyperämie gestorben, auf einer früheren Expedition hatte ein Löwe das Pferd des Dichters gerissen. Nach langer Suche fand Rimbaud den Rebellen Ménélik, doch wollte der nur einen erbärmlichen Preis bieten. Kaufmann Rimbaud verstand sich nicht aufs Marketing und überließ die Flinten dem Negus. Ein Verlustgeschäft von einer Million heutigen Francs. Menelik sollte sein Land wenig später mit Rimbauds Gewehren erfolgreich gegen die Italiener verteidigen.

Der Handel treibende Dichter gilt in Paris unterdessen bisweilen als verschollen, bisweilen als verrückt. In einer Wand aus unzähligen Schubfächern, im zweiten Raum der Pariser Ausstellung aufgebaut, ist ein Exemplar der Zeitschrift 'La Vogue‘ zu finden, in der Paul Verlaine die Illuminations seines Freundes Rimbaud abdrucken ließ — gegen dessen Willen. „Que faut-il à l'homme? Boire/ MOI — Mourir aux fleuves barbares“, ist in der 'Vogue‘ zu lesen: „Was braucht der Mensch? Trinken/ ICH — Sterben an barbarischen Ufern.“

In anderen Schubladen liegen Zeichnungen, ein Foto, das ihn beim Spielen der abessinischen Harfe zeigt. Auch jener Bericht über den Ogaden, den der „Geograph und Reisende“ (so heißt es im Impressum) für die „Mitteilungen der geographischen Gesellschaft“ zu Paris verfaßte. Längst lebt der Dichter mit einer Abessinierin vom Stamme der Arboga zusammen. Will sie erziehen, einen Sohn mit ihr haben, der vielleicht einmal Ingenieur wird.

1891 muß Rimbaud in Marseille das rechte Bein amputiert werden. Es hatte sich in Aden entzündet. Rimbaud will bei der ersten Gelegenheit zurück in den Yemen reisen, doch sein Zustand verschlimmert sich und am 10.November 1891 stirbt der „poète-voyageur“ im „Hopital Conception“ in Marseille. Das war vor hundert Jahren. Zum Rimbaud-Jahr sollte im „Institut du Monde Arabe“ eine Veranstaltungsreihe Babylon/ Bagdad stattfinden. Sie wurde abgesagt. „Welche guten Arme, welch' schöne Stunde werden mir dieses Land zurückgeben...“

Rimbaud-Aden... Aller-retour. Eine Ausstellung des „Institut du Monde Arabe“, Paris, noch bis zum 10. März 1991. Von Alain Borer gibt es den Reisebericht: Un Sieur Rimbaud, se disant négociant... (gemeinsam mit Philippe Soupault). Im Januar erschien das Essay: Rimbaud d' Arabie.

„Morocco“ heißt der Bildband des Magnum-Photographen Harry Gruayert, der soeben bei Schirmer/Mosel erschienen ist und aus dem wir die Abbildungen der heutigen Kulturseiten entnahmen. Zu unserem Rimbaud-Text erschien er uns trotz nicht zu vernachlässigender geographischer Abweichungen passend, denn auch seine Bilder bewahren im Realen die Fiktion, wie die Augen Rimbauds auf der Reise. Harry Gruayert: Morocco. 120 S., 50 Farbtafeln, geb., DM 128

„Schön ist es nicht, aber man darf's“, gab unsere Korrektur auf zweifelnde Nachfrage hin bekannt: „äußerst“ nämlich „äu-ßerst“ trennen, damit der äußersten Grenzziehung der unaufhörlich fortschreitenden Liberalisierung unserer Rechtschreibung anheimfallen; dies gestern gleich zwiefach auf den Musikseiten.

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