: Die Palästinenser stehen im Kreuzfeuer
Die PLO ruft zu „verstärkter Einheit“ auf/ Nach 1 1/2 Monaten Ausgangssperre liegt die palästinensische Wirtschaft am Boden ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin
Mehr als 1,7 Millionen PalästinenserInnen in den von Israel besetzten Gebieten haben die 1 1/2 Monate des Irak-Kriegs unter Hausarrest verbracht. Die streng kontrollierte Ausgangssperre und das Verbot des Grenzverkehrs über die Jordan- Brücken ins benachbarte Jordanien bedeutete praktisch eine Masseninternierung der gesamten palästinensischen Bevölkerung, verschärft durch die radikale Einschränkung der Versorgungsmöglichkeiten sowie Arbeits- und Verdienstverbot. So herrscht bei den Palästinensern extreme Geldnot, die palästinensische Wirtschaft ist praktisch lahmgelegt. Die Schließung der Westbank und des Gazastreifens als militärisches Sperrgebiet hat bislang auch die Medienvertreter ferngehalten. Aber vor allem haben auch die dramatischen Kriegsereignisse im Irak die Entwicklung in den besetzten Gebieten aus dem öffentlichen Interesse verdrängt.
Israel und die USA werfen nun den PalästinenserInnen und insbesondere der PLO ihre proirakische Position im Golfkrieg vor. Auch das vor wenigen Tagen erschienene Flugblatt der „Vereinigten Intifada- Führung“ drückt die „Solidarität der Palästinenser mit dem irakischen Volk“ aus, „das den amerikanischen Zerstörungs- und Unterdrückungsversuchen weiterhin Widerstand leistet. Die gegenwärtigen Versuche der Amerikaner, das palästinensische Problem zu lösen, laufen darauf hinaus“, so das Kommuniqué weiter, „das 1978 in Camp David ausgehandelte System [Separatfrieden zwischen Israel und Ägypten — d.R.] auf die gesamte Region auszudehnen, während gleichzeitig die PLO und die Rechte des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit wild angegriffen werden.“
Und während die 'Jerusalem Post‘ unter der Überschrift „Palästinenser beginnen, die PLO-Politik zu hinterfragen“ schreibt, daß es bei Palästinenser-Führern in Ost-Jerusalem zu Meinungsverschiedenheiten darüber gekommen ist, ob bei dem kommenden Besuch des US-Außenministers auch eine palästinensische Delegation mit Baker zusammentreffen sollte, warnt die Intifada-Führung in ihrem jüngsten Flugblatt davor, daß sich „korrupte Leute den Plänen der Okkupanten anschließen. Nötig ist eine verstärkte Einheit, mit der wir uns um die PLO scharen und sie als einzigen legitimen Vertreter des pälastinensischen Volkes betrachten.“
Der ehemalige General und Geheimdienstchef Jehoschafat Harkabi vertritt die Ansicht, daß die von der Regierung Schamir angestrebte Übereinkunft Israels mit Regierungen arabischer Staaten anstelle einer Lösung des Konflikts mit den PalästinenserInnen nur ein Spielen auf Zeit ist, aber nicht zu Frieden führt.
Dem Vorwurf, daß sich die PLO durch ihre Haltung im Golfkrieg für weitere Verhandlungen diskreditiert hätte, hält auch Matti Paled, Professor für arabische Literatur und Reservegeneral der israelischen Armee, entgegen: „Die PLO hat die einzig mögliche Position eingenommen. Als die PLO sich 1988 zu Verhandlungen bereiterklärte, nutzten die USA den ersten Vorwand, um den Dialog zu beenden und die PLO für das Fiasko verantwortlich zu machen. Hätte die PLO eine andere Haltung eingenommen“, fügt der ehemalige Knesset-Abgeordnete hinzu, „wäre die PLO heute nicht mehr Führer des palästinensischen Volkes. Und es ist im Interesse Israels, daß die PLO und nicht die fundamentalistische 'Hamas‘-Bewegung die führende Stellung unter den Palästinensern behält.“ Aber einige rechtsradikale Israelis scheinen gerade eine solche Konfrontation zu wollen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen