piwik no script img

Bordellenthusiasmus

■ Walter Bockmayer inszeniert Brendan Behan im Kölner Schauspiel

Wenn die Kneipe ein Theater wäre, gäb's am Tresen die Tragödien. Wenn das Theater eine Kneipe wär', gäb's auf der Bühne Bier.

Eine Kneipe zum Theater machen, das kann Wally Bockmayer. Seine Kölner „Filmdose“ ist der bekannte Beweis. Ein Theater zur Kneipe machen, das versucht er jetzt im Kölner Schauspielhaus. Das Ergebnis: Kneipentheater am falschen Ort.

Opfer von Bockmayers Verwechslung von Theke und Rampe ist der irische Dramatiker Brendan Behan. Gleich zwei Stücke hat Intendant Günter Krämer dem Blödelspezialisten Bockmayer anvertraut: Behans 1958 uraufgeführtes Hauptwerk Die Geisel und das erst 1972, sechs Jahre nach Behans Tod, aus Skizzen zusammengestellte Fragment Richards Korkbein. So fließt denn reichlich Bier durch die Kehlen der Schauspieler und auf die Bretter der Bühne. Und wie in der Kneipe gibt's auch reichlich Werbung für die Brauerei. Doch süffiges Kölsch istnoch kein irisches Stout. Kölsche Leichtherzigkeit ist noch keine Dubliner Dickschädeligkeit. Köln und Dublin haben ihre Gemeinsamkeiten: Katholizismus und Chaos. Aber „Bier bleibt Bier“ ist die falsche Parole, um Behan in Köln heimisch zu machen.

Brendan Behan ist ein Autor, der die Verwechslung von Bühne und Tresen gefährlich nahelegt, schließlich trat er selbst des öfteren mit offenem Hemd angetrunken auf die Bühne und sang am liebsten seine Lieder in den Kneipen selbst. Aber Behan konnte nach der Londoner Premiere seines ersten Stückes besoffen im BBC-Fernsehen erscheinen, weil er in Joan Littlewood eine Regisseurin hatte, die seine proletarische Poesie wirkungsvoll in Szene setzen konnte. Behans Stücke brauchen Regisseure und nicht Kneipiers.

Bockmayers Inszenierungsmethode — Verblödeln und Verkölschen — führt bei den beiden Stücken zu unterschiedlichen Resultaten. Die Geisel ist ein Stück, dessen Reiz im scheinbar stillosen Mischmasch von Vaudeville, Rührstück, Tragödie, Volksstück und Komödie liegt. Die Geschichte von einem britischen Soldaten, der in Nordirland von der IRA als Geisel genommen wird, um einen Gesinnungsgenossen freizupressen, der von den Engländern gehängt werden soll, ist hochpolitisch und auch heute noch tödlich aktuell. Sie ist andererseits hochgradig albern, weil sie in einem Bordell angesiedelt ist und mit Couplets und obszönen Witzen garniert wird. Und sie ist hemmungslos sentimental, weil sie mit einer tränenseligen Romanze zwischen dem englischen Soldatenjungen und dem irischen Dienstmädchen seiner Bewacher verknüpft ist. Bockmayer läßt sich auf ein so buntscheckiges Allerlei nicht ein, er produziert grell-rosa Einerlei. Auf jeden Schwulenwitz von Behan setzt er noch mindestens einen drauf. Spielt Behan witzig mit den Zoten, vergröbert Bockmayer sie zum Genrebild. Das Schwulenpaar trägt einträchtig einen Riesengummiwackelpenis mit sich herum, und der Bordellwirt streckt ausführlich seinen Hintern aus dem Fenster. Die Lieder werden ersäuft in einer lauwarmen Brühe konventioneller Rockmusik. Nur die erste Begegnung des Liebespaares bleibt verschont von der allgemeinen Trivialraserei. Schüchtern, verklemmt, zu feindlichen Lagern gehörig, nähern sie sich einander vorsichtig und leise: Romeo und Julia im Bürgerkrieg oder die Unschuld im Bordell. Aber unter Sprachklischees zeigt sich hier ein eigenes Gefühl.

Wenn dann der Soldat am Ende eher zufällig erschossen wird, ist das doch nicht mehr als ein unkonventioneller Schluß für eine Lachrevue, da helfen auch keine Filmprojektionen aus dem Zweiten Weltkrieg. Aus Behans wildwirrem Geniestreich macht Bockmayer einen belanglosen Galimathias, über den man nur verständnislos lachen kann. Das Programmheft zitiert Peter Zadek: „Gegen Helden und Patrioten kann man sich nur noch durch Gelächter wehren. Ulk ist die einzige wirksame Polemik. Und je geschmackloser, desto besser.“ Die Inszenierung aber zeigt: nicht jeder Ulk ist schon Polemik, nicht jede Geschmacklosigkeit ist auch schon bühnenreif.

Richards Korkbein, das Bockmayer schon einmal, vor acht Jahren in Bochum, inszeniert hat, ist bereits als Nummernrevue geschrieben. Eine Episode auf dem Dubliner Heldenfriedhof reiht sich an die andere. Die Handlung ist da nur am Rande wichtig. Und so ist Bockmayers entfesselter Banalhumor hier eher schon am Platze. Im ersten Teil des kurzen Abends erreicht die Inszenierung denn auch einen Aberwitz, der fast unabhängig ist vom Stück, und wohl in jeder Kneipe Beifallsstürme ernten würde: Rotkäppchen knallt mit dem Revolver, ein Neger aus dem Ruhrpott wedelt Staub, die Cowboyleiche singt im Sarg, Christus turnt am Kreuz, die Huren legen einen Blumenphallus auf das Grab, die Skelette tanzen, und hinter einer Pissoirwand kann man alle Variationen homo- und heterosexueller Kopulation an der Fußstellung erkennen lernen.

Bockmayer treibt Behans Stück dahin zurück, woher es seine Mittel nahm: in die Music Hall. Aber auch in diesem schwachen Stück noch nutzt Behan diese groben Unterhaltungstricks für seinen ganz persönlichen, ironisch-lyrisch-politischen Stil. Davon bleibt nichts, übrig bleibt hier nur das dröhnende Bekenntnis zu Klamauk.

Heinrich Böll, der Behan schon vor Peter Zadek in Deutschland bekanntgemacht hat, warnte damals vor solchen Mißverständnissen: Er nannte das: Bordellenthusiasmus. Gerhard Preußer

Brendan Behan, Die Geisel/Richards Korkbein. Kölner Schauspielhaus. Regie: Walter Bockmayer. Musik: Freddy Schladt/ Hansgeorg Koch. Bühne: Christoph Schubiger. Mit Traute Hoess, Alexander Grill, Karina Fallenstein, Nicki von Tempelhoff. Weitere Vorstellungen: Die Geisel: 6., 8., 11., 13., 15., 19., 23., 24. März — Richards Korkbein: 9., 12., 18., 20. März

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen