: Bürgerbefriedung mit Raffinesse, Glasnost und grüner Schminke
■ Umweltberatungsfirmen machen mobil/ Modernes Öko-Konfliktmanagement soll Betreiber vor Bürgerinitiativen schützen/ Wie kompromißfähig ist eine WAA Wackersdorf?
In den siebziger Jahren waren sie noch als „Landplage“ verschrien. Heutzutage lobt man ihr Engagement und lädt sie zu Plätzchen und Tee ins Bonner Ministerium ein. Doch an den Konfliktlinien hat sich wenig geändert: Wo immer eine Müllverbrennungsanlage, ein Chemiewerk oder gar eine Atomanlage gebaut werden soll, schießen sie wie Pilze aus dem gut gedüngten Ökoboden: Bürgerinitiativen und Umweltgruppen. Jetzt will man sie mit neuen „kommunikationsstrategischen und -taktischen Methoden“ auf die kuschelweiche Art behandeln. „Konfliktmanagement“ heißt das Zauberwort von Umweltberatungsfirmen, die sich der Industrie als „Vermittler“ anbieten. Eine neue kleine Branche wächst heran, die es sich zur Aufgabe macht, mit „Glaubwürdigkeit“, „Vertrauen“, „Offenheit“ und „Ehrlichkeit“ — so die Eigenwerbung — die Kluft zwischen Betreibern und Initiativen zu überwinden. Der Bürger, sagt der Berliner Umweltberater Michael Wittke, dürfe nicht mehr länger nur als Störfaktor betrachtet werden. Das hört sich gut an.
Wie bisher in der Bundesrepublik Umweltkonflikte gemanagt wurden, davon kann der auf solche Fälle spezialisierte Rechtsanwalt Hartmut Gaßner ein eher trauriges Lied singen. Danach ist das Klima gekennzeichnet durch Kungeleien zwischen Behörden und Betreibern schon im Vorfeld, durch eine schleppende Information der Öffentlichkeit, durch Gutachterorgien und die angestrengte Konstruktion von Feindbildern. Öffentlichkeitsbeteiligung und Erörterungstermine werden meist als lästige Pflichten behandelt, die von gereizten Firmen mit dicht heruntergelassenen Schotten unter der Überschrift „Schadensbegrenzung“ möglichst schnell und möglichst unangreifbar zu erledigen sind. Wo aber bleiben Transparenz, Dialog und Bürgerrechte?
Angesichts der bisherigen unbefriedigenden Situation, bei der am Ende häufig beide Seiten als Verlierer dastehen — die Anlage wird verschleppt, aber am Ende oft genug doch noch gebaut — wächst die Sehnsucht nach Vermittlern und nach der Kunst des Kompromisses, vor allem auf Seiten der Industrie. Kaum reflektiert wird dabei allerdings die Frage, ob zum Beispiel eine Atomanlage überhaupt kompromißfähig ist. Nach amerikanischem Vorbild wird also der Runde Tisch proklamiert, um zu einem Interessenausgleich zu finden. Als Moderator wird ein „neutraler Vermittler“ gesucht.
Können die Umweltberatungsfirmen diese Vermittlerrolle übernehmen? Wohl kaum: Auf einem Berliner Seminar zum „Umwelt-Konfliktmanagement“ betonten die einschlägigen Firmen zwar ihre Sensibilität für Bürgerinteressen und die Umwelt. Doch ihr Ziel ist vor allem eines: Akzeptanzförderung. Am Ende des Vermittlungsprozesses, daran besteht kein Zweifel, soll die umstrittene Anlage auf jeden Fall gebaut werden. Die „Kunst des Kompromisses“ erschöpft sich dann für die Betreiber schnell in einigen technologischen Veränderungen: Ein paar Filter mehr, ein paar Emissionen weniger, der Rest ist Überredungskunst durch ein modernes, grün eingefärbtes Marketing. „Wir wollen dem Bürger die Möglichkeit geben, ,ja‘ zu einer Sache zu sagen“. Schöner kann man es nicht mehr formulieren. Dazu setzen die Umweltberater auf Glasnost.
Da relevante Informationen auf Dauer ohnehin nicht geheim zu halten seien, so Michael Wittkes Empfehlung an die Industrie, müßten alle Fakten frühzeitig auf den Tisch. Das stärke das eigene Image und schaffe Vertrauen. Wittke empfahl den Unternehmen zugleich eine politische Vorwärtsverteidigung: Sie sollen sich den brisanten Umweltdebatten frühzeitig und selbstbewußt stellen. Andernfalls könnte diese Diskussion „als ein uns abgerungener Sieg grün denkender Opponenten angesehen werden“. Eine möglichst weitgehende Reflexion dessen, was die andere Seite bewegt und denkt, wurde den Unternehmen ebenfalls ans Herz gelegt. Die Empfehlungen reichen bis zum Vorabdurchspielen von Bürgerprotesten. Wenn die Firmen auf diese Weise die Argumentationsmuster der Gegenseite kennengelernt haben, wenn sie ferner mit professioneller Didaktik und Methodik eine ausgeklügelte Öffentlichkeitsarbeit auf die Beine gestellt und alle Muliplikatoren angesprochen haben, dann sind sie bestens gerüstet für den Bürgerprotest. Das glauben jedenfalls die Umweltberater.
Nicht wenige Teilnehmer des Berliner Kongresses sahen in solchen Strategien nichts anderes als eine neue, „besonders raffinierte“ Methode, um die Bürgerinitiativen nach alter Tradition über den Tisch zu ziehen. Während die Umweltberater noch wortgewaltig die „demokratischen Schwesteroptionen Kompromiß und Konsens“ beschwörten, stellte eine Teilnehmerin die schlichte Frage nach dem Standort: „Auf welcher Seite stehen Sie denn nun?“ Die Antwort: „Lassen Sie doch das Schubladendenken einmal beiseite.“ Die Kritiker bohrten nach: Hätten die Herren Umweltberater denn auch die Bürgerinitiative gegen die Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf beraten? Statt einer Antwort gab es das hochheilige Versprechen: „Wir sind auch für Umweltschutz.“ Und das sind wir ja alle.
Weniger einseitig und Industrie-orientiert sind die aus den USA bekannt gewordenen „Mediation“-Verfahren. Der Oldenburger Professor für Umweltpolitik, Horst Zilleßen, sieht in diesem Modell Vorbildfunktionen auch für die Bundesrepublik. In amerikanischer Do- it-yourself-Mentalität versuchen Industrie und Bürger ihre Konflikte deshalb verstärkt in Eigenregie, also im organisierten Dialog und mit professionellen Mediatoren als Vermittler zu lösen. Auch die Behörden, so Zilleßen. würden diese außergerichtlichen Einigungsversuche als ein Stück „neuentwickelten Staatsbürgertums“ akzeptieren und sich in diese Verfahren einklinken. Bereits 1.800 Mitglieder zählt die Gesellschaft für Mediatoren, in der sich die Vermittler organisiert haben. Bei 80 Millionen Dollar lag im vergangenen Jahr der Umsatz der Branche. Eigens eingerichtete Stiftungen, aber auch Bürger, Industrie und Staat bezahlen die Mediatoren. Für die Dauer der Verhandlungen wählen auch die Bürgerinitiativen einen oder mehrere „Bürgerprofis“, die, fest bezahlt und von ihrer Arbeit freigestellt, die Umweltinteressen vertreten sollen. Nach zähen, oft monatelangen Verhandlungen soll am Ende eine „Win-win-Situation“ stehen: ein Kompromiß, von dem beide Seiten profitieren. Doch wie hätte in Wackersdorf, an der Startbahn-West oder in Brockdorf solch eine Win-win-Lösung ausgesehen? Und wie wird sie aussehen, wenn nach dem novellierten Atomgesetz in der ehemaligen DDR die ersten neuen Reaktorblöcke gebaut werden? Wenn der Autobahnbau in den neuen Bundesländern notfalls per Gesetz im Schnellverfahren durchgezogen wird? Aber nicht die Frage der Kompromißfähigkeit von Großprojekten mit riesigen Zerstörungspotentialen, sondern der große Aufwand für die Mediation wurde auf dem Berliner Seminar als Problem angesehen: „Vielleicht sollten wir 90 Prozent unserer Freizeit nicht unbedingt damit zubringen, Hühnerfarmen und Müllverbrennungsanlagen zu mediatieren, sondern lieber mehr singen, gut essen und trinken.“ Manfred Kriener
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