: Unruhe in Funkhäusern
Fragebogen über die parteiliche Vergangenheit der Journalisten unter ZK-Medienchef Joachim Herrmann ■ Von Lutz Jordan
Schwerin. Wachsende Unruhe verbreitet sich in ostdeutschen Funkhäusern über eine Befragung der Mitarbeiter, die der staatliche Rundfunkbeauftragte für Ostdeutschland, Rudolf Mühlfenzl, angeordnet hat. Die Beschäftigten beim Hörfunk und Fernsehen sollen detaillierte Selbstauskünfte geben, darunter auch zur politischen Vergangenheit. Die Fragebögen ließ Mühlfenzl per Dienstanweisung 08 verteilen. In 15 Hauptfragen werden unter anderem Angaben über Bildungs- und Berufsweg und über Familienangehörige angefordert. Bedenken gegen diese Aktion hat der Berliner Datenschützer Hansjürgen Garstka erhoben. In verschlossenen Umschlägen sollten die ausgefüllten und unterschriebenen Fragebögen über die Landesdirektionen an den jeweiligen Intendanten weitergeleitet werden. Wie aus der Dienstanweisung weiter hervorgeht, sollen die einzelnen Fragebögen verschlossen im Kuvert als Teil der Personalakte aufbewahrt werden. Zur Öffnung berechtigt seien nur der Rundfunkbeauftragte selbst oder von ihm ermächtigte Personen. Bei nicht wahrheitsgemäßen Angaben wird fristlose Kündigung angedroht. Nach Einschätzung des Datenschutzbeauftragten Garstka ist eine Benutzung der Daten unzulässig, wenn es dafür keine klaren Regelungen gibt. In allen Rundfunkabteilungen, ob Redaktion, Produktion oder Verwaltung, stellen sich die Mitarbeiter nun bange Fragen. Welche Umstände könnten zu Entlassung oder anderen Konsequenzen führen? Wer wertet nach welchen Grundsätzen aus und entscheidet? Wer darf die Fragebögen verwenden? Wo und wie sicher wird das sensible Material verwahrt, um es nicht in unbefugte Hände gelangen zu lassen? Laut Anweisung sind bei Übernahme kompletter Betriebsteile in neuer Trägerschaft Personalakten und Fragebögen dem neuen Arbeitgeber auszuhändigen.
Zudem hält sich in Rundfunkkreisen hartnäckig ein Gerücht, das nach Ansicht einiger Insider bewußt genährt wird. Danach können neben dem eigenen Fragebogen auch Kuverts mit Angaben über andere abgegeben werden. Die Verunsicherung ist so groß, daß sich niemand namentlich zu den Überprüfungspraktiken äußern will.
In Mecklenburg-Vorpommern kommt die Ungewißheit über die zukünftige Organisationsform des Rundfunks hinzu. In schriftlich niedergelegten 15 Eckpunkten des Ministerpräsidenten Alfred Gomolka für die Errichtung einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt sehen viele Rundfunkleute ihre Interessen nicht berücksichtigt. Sie favorisieren das Angebot des Norddeutschen Rundfunks, bei dem schriftlich zugesichert wird: „Der NDR beabsichtigt, den personellen Aufbau des neuen Landesfunkhauses vorrangig mit geeigneten Bewerbern aus Mecklenburg- Vorpommern vorzunehmen.“ NDR-Intendant Jobst Plog hatte lediglich von möglicherweise zu überprüfenden Einzelfällen gesprochen und damit Hoffnungen geweckt. Doch das war zu einem Zeitpunkt, als die Fragebögen Mühlfenzls noch nicht bekannt waren. ap
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