Krieg und Natur — Natur und Krieg

■ Wie ernst nehmen wir die globale Ökologiefrage — und wie ernst ist sie? ESSAY

Es ist eine Art gehobene Stammtischweisheit, von der hier die Rede sein soll. Empirische Erfahrungen verleihen ihr stets aufs Neue die Kraft der Plausibilität. Politiker, Ökonomen und Journalisten glauben daran, als handle es sich um ein universelles Naturgesetz. Zum Beweis richten sie ihre Blicke wahlweise auf die Staaten der Dritten Welt, den ehemaligen Ostblock, die Fünf Neuen Bundesländer, die allgemeine Konjunkturlage oder den Krieg am Golf. Die Weisheit heißt, auf eine kurze Formel gebracht, etwa so: „Umweltschutz ist etwas für luxurierende Gesellschaften in politischen Schönwetterperioden.“

Umweltpolitik wird kleingekocht

Es ist kein Geheimnis, daß die tropischen Regenwälder in Südamerika, Afrika oder Ostasien vorrangig der Brandrodung und dem Brennholzbedarf einer wachsenden, kleinbäuerlichen Bevölkerung zum Opfer fallen. Auf vier und mehr Milliarden Tonnen wird der jährliche Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid aus dieser Quelle geschätzt. Gleichzeitig geht mit der rasant abnehmenden Waldfläche eine im globalen Maßstab wesentliche Kohlendioxid- senke verloren. Ganz zu schweigen von den Lücken, die der tropische Kahlschlag in der natürlichen Vielfalt von Flora und Fauna hinterläßt. Aber wer kann den Menschen am Äquator guten Gewissens verbieten, ihre landwirtschaftlichen Nutzflächen weiter in den Urwald zu treiben, solange die Alternative für die Betroffenen Hunger und nackte Not heißt?

In der Folge der Wende im Osten fiel der Blick schlagartig auf die ökologischen Verwüstungen von Luft, Boden und Wasser, die die realsozialistische Mangelwirtschaft seit dem produziert und hinterlassen hat. Im direkten Vergleich erschienen westeuropäische Industrielandschaften plötzlich wie ein einziges naturbelassenes Feuchtbiotop. Der Schluß liegt nahe, daß Wirtschaftssysteme, die nur mit Mühe in der Lage sind, die Grundbedürfnisse der Bevölkerung auf Nahrung, Wohnung und Wärme sicherzustellen, sich den Luxus ökologischer Reparaturen nicht leisten können. In der ehemaligen DDR wurden inzwischen — auch aus ökologischen Motiven — ganze Sektoren der chemischen und der Schwerindustrie dichtgemacht. Die Folgen für die soziale Absicherung der Bevölkerung sind bekannt. Eine Abstimmung unter den (ehemals) Beschäftigten hätte mit absoluter Sicherheit den Weiterbetrieb der Giftküchen ergeben, mindestens bis Ersatzarbeitsplätze bereitgestanden hätten.

Angesichts leerer öffentlicher Kassen stehen in den kommenden Wochen und Monaten auch in Westdeutschland neben den Steuererhöhungen Subventionsstreichungen in großem Stil bevor. Man muß kein Prophet sein für die Annahme, daß der Kahlschlag auch, wenn nicht vorrangig, ökologisch vernünftige Programme treffen wird. Die Hilfen zur Markteinführung insbesondere der Wind- und Sonnenenergie stehen in den Sternen. Energiesparmaßnahmen — etwa steuerliche Begünstigungen bei der Wärmedämmung — werden wohl kaum in dem Maße gefördert, daß die von der Bundesregierung vor der Wahl angekündigten Kohlendioxid-Reduktionsziele auch nur annähernd erreicht werden. Autobahntrassen sollen unter Hinweis auf die Bedürfnisse der Wirtschaft im Schnellverfahren durch die Mecklenburgische Seenplatte gelegt werden. Umweltpolitisch motivierte Auflagen an die Industrie dürften in dem Maße kleingekocht werden, wie die Gefahr eines Konjunktureinbruchs auch in Westdeutschland absehbar wird.

Zwei Meldungen, die dieser Tage aus den USA herüberdringen, bestätigen erneut, daß der Reichtum einer Gesellschaft allein für eine ökologisch verantwortungsvolle Politik nicht hinreicht: Angesichts einer ohnehin tiefen wirtschaftlichen Depression und der Unwägbarkeiten der Kriegsfolgen in der Ölregion, setzt die US-Administration nicht etwa entschlossen auf Einsparung und regenerative Energiequellen, sie will heimische Ölquellen — vornehmlich im arktischen Naturreservat Alaskas — stärker ausbeuten und der Atomkraft zu einer späten Renaissance verhelfen. Und zweitens: Sie blockiert jeden Fortschritt bei den weltweiten Anstrengungen um die Stabilisierung des globalen Klimas. Wohl wissend, daß der Rest der Welt gar nicht erst anzufangen braucht, wenn die US-Minderheit ihren Energierausch fortsetzt. Das Signal auch hier: Keine ökologischen Experimente in einer politisch und wirtschaftlich instabilen Situation. Und der Krieg selbst? Jeder Krieg, nicht erst der am Golf, ist und war immer auch ein Krieg gegen die Natur. Neu am Golfkrieg ist nur das Ausmaß in dem die Natur gezielt als Waffe eingesetzt wurde. Und trotzdem: Solange die Folgen des Krieges für die Menschen täglich schwerwiegender werden, kann die Ökokatastrophe allenfalls ein zusätzliches Argument gegen diesen Krieg sein. Wer zuckte nicht zusammen, wenn jene erbarmungswürdigen, ölverschmierten Kormorane von Umweltschützern als erstes, manchmal einziges Argument gegen die Fortsetzung der Kämpfe ins Feld geführt werden? Im Krieg gibt es keine Rücksicht auf die Natur — und dies würde selbst dann so bleiben, wenn (wie von ernstzunehmenden Wissenschaftlern befürchtet) die Ölbrände rund um den Äquator am Ende mehr Opfer fordern, als die Schlacht selbst. Die Vorstellung von ökologisch verantwortungsbewußten Kriegsplanern ist absurd.

Künftig werden Kriege um die Natur geführt

Tatsächlich kann es nur um die Zukunft gehen, um die Zeit nach dem Krieg. Die mündet um so rascher in die nächste Vorkriegszeit, je länger wir fortfahren, die Ökologiefrage auf der Grundlage austauschbarer Sachzwänge in die zweite Reihe zu verweisen. Umweltzerstörung ist längst zum „Nebenwiderspruch“ der neunziger Jahre geworden, ein Widerspruch also, der im Zweifelsfall vernachlässigt werden kann.

Umweltpolitik mag ein Luxus für ruhige Zeiten gewesen sein, solange sie noch auf den Namen Naturschutz hörte, solange die Folgen menschlichen Tuns nur die regionale Idylle (zer-)störten. Heute ist die Menschheit im Begriff, das globale Klima aus den Angeln zu heben, Meeresströme umzukehren, Küstenregionen unter Wasser zu setzen, Wüstengebiete auszuweiten und neue zu produzieren. Kommt es so, bleibt das nicht ohne Konsequenzen für die Frage von Krieg und Frieden: Künftige Kriege werden dann nicht mehr nur gegen die Natur, sie werden um sie geführt — um Zugang zum Wasser, um landwirtschaftliche Nutzflächen, um Regionen, die nicht unter dem Ozonloch schmoren.

Die längst globalisierte Soziale Frage und die Umweltfrage stehen nicht in einem hierarchischen Verhältnis zueinander, sie sind aufs Engste miteinander verknüpft. Scheitert die weltweite Umweltpolitik, werden Armut und Not nie gekannte Ausmaße annehmen. Scheitert der soziale Ausgleich zwischen Nord und Süd, wird der Kleinbauer am Äquator nicht aufhören können, den Tropenwald zu zerstören. Gerd Rosenkranz