: Jugoslawiens Medien zündeln am Bürgerkrieg
■ Aus Belgrad Roland Hofwiler
Nachdem sich herausgestellt hatte, daß die Zwischenfälle um die serbische Enklave Pakrac in Kroatien am Wochenende weit harmloser waren als von den jugoslawischen Medien dargestellt, traten diese jetzt die Flucht nach vorn an und versuchen, mit neuen Horrormeldungen ihre Übertreibungen zu rechtfertigen. Zehntausende Serben seien auf der Flucht vor dem „kroatischen Faschistenstaat“ titelten gestern eine Reihe von Belgrader Zeitungen. In langatmigen Reportagen melden sich Flüchtlinge zu Wort, denen die Angst vor einem Bürgerkrieg im Gesicht zu stehen schien. Die Wahrnehmung von Unrecht geschieht strikt selektiv. Die serbischen Medien wollen nur etwas vom „Vertriebenenschicksal“ ihrer Landsleute wissen, die mazedonischen und bosnischen wiederum sind nur um die Angehörigen ihrer eigenen Nationalität besorgt. Um hinter der allgemeinen Hysterie nicht zurückzubleiben, meldeten am Mittwoch zu guter Letzt auch die kroatischen Zeitungen Zwischenfälle in Kroatenenklaven außerhalb der „Mutterrepublik“, aus der „feindlichen“ Herzegowina und aus der Vojvodinea, die innerhalb Serbiens eine autonome Republik bildet. Alle Zeitungen verbreiten nun das Bild, als flüchte in Jugoslawien jeder vor jedem, jedes Volk in seine „historische Heimat“. Diesem Propagandafeldzug setzte dann in letzter Minute auch noch das Oberkommando der Sozialistischen Volksarmee eine agressive Note hinzu: Die Streitkräfte würden eine Ausweitung nationaler Unruhen und der damit verbundenen „Fluchtbewegungen“ zu verhindern wissen.
Tatsache ist allerdings, daß unter den Menschen die Angst vor einem bevorstehenden Bürgerkrieg wie im benachbarten Albanien ständig wächst und nicht wenige Jugoslawen — aber das nicht erst seit gestern — das Weite suchen. So lebt beispielsweise ein Drittel aller Kroaten außerhalb Jugoslawiens, in Westeuropa und Übersee. Zählte man in Belgrad Anfang der 80er Jahre noch 50.000 Slowenen, so schrumpfte die Zahl auf ein paar tausend zusammen. Soziologen sehen seit Monaten große Migrationsbewegungen in dem Vielvölkerstaat vor sich gehen, doch „die neuesten Meldungen entspringen nicht den Tatsachen, sondern dem Kalkül der Politiker“, meint die Sozialwissenschaftlerin Sonja Licht erkannt zu haben. Sie geht jedoch davon aus, daß in naher Zukunft tatsächlich Tausende in Richtung „Heimatrepublik“ auswandern werden. Sollten sich neue Nationalstaaten auf dem Territorium des heutigen Jugoslawien bilden, so könnte diese Zahl auf Hunderttausende steigen.
Unterdessen eskaliert die Repressionspolitik Belgrads gegenüber den Kosovo-Albanern. Bereits 5.000 albanische Schulkinder machen unfreiwillig Ferien, Hunderttausenden droht der Schulausschluß. Serbische Nationalisten wollen in der Serbien gleichgeschalteten Provinz die albanischen Schulpläne abschaffen, weil durch sie „nationalistische und faschistische“ Inhalte vermittelt würden. Um die Kosovo-Albaner zu „wahren Jugoslawen“ zu erziehen, wollen die Behörden das Schuljahr bis zum Herbst unterbrechen lassen.
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