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Biedenkopfs Optimismus

1995 „keine ökonomischen Probleme“ in der Ex-DDR/ Doch die hohe ostdeutsche Erwerbsquote ist für immer passé  ■ Aus Düsseldorf Walter Jakobs

Die alte DDR-Erwerbsquote von 96 Prozent ist für die fünf neuen Bundesländer unerreichbar. Langfristig wird sich die prozentuale Beschäftigung bestenfalls auf das Westniveau von 67 Prozent einpendeln können. Eine andere Entwicklung ist nach Auffassung des sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf (CDU) undenkbar, wenn die Ost- Löhne, wie von den Tarifpartnern z.T. schon vereinbart, 1994 Westniveau erreichen. „Sie können mit dem westdeutschen Einkommen keine ostdeutsche Erwerbsquote realisieren“, sagte Biedenkopf am Mittwoch vor DGB-Vertretern in Düsseldorf.

Biedenkopfs ökonomisch stichhaltige Argumentation bedeutet, daß von den 8,9 Millionen Beschäftigten in der alten DDR mehr als 2 Millionen auf Dauer keine Beschäftigung mehr finden werden — selbst bei günstigsten ökonomischen Rahmenbedingungen nicht. Dieser Prozeß treffe, so Biedenkopf, „vor allem die Frauen“ und gehöre zur „schwierigsten Strukturveränderung überhaupt“. Es gebe aber keinen anderen Weg, denn mit der derzeitigen „Überbeschäftigung“ sei die Wirtschaft im Osten „nicht EG-tauglich“ zu machen. Gleiche Probleme gebe es in der Landwirtschaft und dem öffentlichen Dienst. Allein in Sachsen müßten etwa 100.000 — knapp die Hälfte aller Beschäftigten im öffentlichen Dienst — entlassen werden, um eine dem Westen vergleichbare Arbeitsplatzquote zu erreichen. Als Beispiel nannte Biedenkopf die sächsischen Universitäten, die „genauso viele Menschen beschäftigen wie sie Studenten haben“. Im Westen komme dagegen auf zweieinhalb Studenten ein Beschäftigter. Bis 1993 hält Biedenkopf die „Umstellung „im öffentlichen Dienst für machbar. Je nach Regionen rechnet er im Laufe des Jahres mit Arbeitslosenquoten von 40 bis 60 Prozent.

In gleiche Schwierigkeiten wäre die DDR, so Biedenkopf, auch ohne Wiedervereinigung geraten, wenn sie sich, wie von Modrow beabsichtigt, der EG angeschlossen hätte. Für 1992 erwartet Biedenkopf eine „nachhaltige Aufwärtsbewegung“. 1994 werde es eine „allgemeine, für alle Menschen sichtbare Verbesserung der Lebensqualität“ geben. Ab 1995, so Biedenkopf wörtlich, „sehe ich keine wesentlichen ökonomischen Probleme mehr“. Für 1991 hält Biedenkopf die Finanzfragen „in etwa befriedigend geregelt“. Im Zuge der weiteren Verhandlungen für die Jahre 91-94 müßten aber „zusätzliche Mittel aus dem Bundeshaushalt“ mobilisiert werden.

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