: „Keine Waffen, um uns zu wehren“
■ Ein Reporter der britischen Tageszeitung 'Independent‘ schildert schon am Dienstag die aussichtslose Lage der Aufständischen in Basra
Sie kamen von der Nord-Autobahn her und schoben ein stählernes Etwas vor sich her, das nicht einmal eine Reminiszenz an den Ersten Weltkrieg, sondern eher an den amerikanischen Bürgerkrieg darstellte: ein Maschinengewehrlauf, der aus einer Stahlplatte herausragt, ein hastig konstruierter Schutz gegen die Kugeln ihrer einstigen Kameraden.
Kaum dahinter versteckt, trotten vielleicht dreißig Soldaten daher, deren vereinzelte rote Flicken auf den Ärmeln sie als Mitglieder der Republikanischen Garden ausweisen. In einer Stadt, wo nur noch bewaffnete Männer regieren, deren Informationen von Laufboten geliefert werden, haben wir von ihrer Ankunft erst eine halbe Stunde zuvor erfahren.
Ein kleiner Junge rennt unbehindert die schmalen Straßen entlang, um vor ihrer Ankunft zu warnen. Er wird mit einem Schluck Schnaps belohnt und einem schmutzigen Bündel von Banknoten. Die Währung hier sind Lebensmittel und Patronen, und die Dinare, die der Junge erhält, hätten früher gereicht, um einen Gebrauchtwagen zu bezahlen, während sie heute nur durch langes Zureden in einen Laib Brot umzusetzen sind.
Ein Heckenschütze eröffnet von seinem Versteck im Hadari-Appartementhaus das Feuer, seine Kugel holt wie ein Korkenzieher einen Soldaten aus dem Gewirr zerborstener Wände heraus, die von dem Bau noch übriggeblieben sind. Es dürfte Hauptmann Bin Hadr zufolge kaum zivile Opfer gegeben haben: der größte Teil des Zentrums von Basra liegt seit Beginn des Kriegs verlassen da. Aber man kann sich schwer vorstellen, daß der Heckenschütze überlebt hat.
Drei Tage lang herrschte in Basra ein gesetzloser Zustand: Truppenführer wie Hauptmann Bin Hadr kontrollieren zwar mit ihren Leuten bestimmte Gebiete, aber das macht noch keine geschlossene Opposition. „Warum sind sie nicht gekommen?“ fragt der Hauptmann und wiederholt damit einen der in Basra am meisten verbreiteten Sätze. Seine Gruppe hatte wie alle anderen mit der Unterstützung der Amerikaner, der Iraner und Franzosen gerechnet. Jetzt ordnete Saddam Hussein seine Armee für einen Gegenangriff, und man hatte diesen Truppen und ihren überlegenen Waffen offenbar erlaubt, von Norden her durch die Reihen der Alliierten durchzustoßen und den Zugriff des Dikators auf Iraks zweitgrößte Stadt wieder zu sichern.
Hauptmann Bin Hadrs ganze Macht beruht nun auf einem Panzer, der vor dem Tor steht. Es macht nichts mehr, daß er keine Munition hat oder auch nur jemanden, der sie abfeuern könnte. Seine Soldaten können den Motor aufheulen lassen, und die wenigen verbliebenen Liter Diesel werden verbraucht für eine Geste, die die Zerstörung nur noch androht. Für ein paar Stunden kann man die Republikanischen Garden noch an der Nase herumführen.
„Wir werden heute abend hier wegmüssen“, sagt Hauptmann Bin Hadr. „Wir haben keinerlei wirksame Waffen, um uns zu wehren, falls sie gegen uns losschlagen.“ Karl Waldron, Basra
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