„Ohne Humor ist der Horror nicht auszuhalten“

■ Die irakische Geschichtenerzählerin Huda Al Hilali tritt heute in Bremen auf / Seit 15 Jahren im Exil

Wenn die Exil-Irakerin Huda Al Hilali als Geschichtenerzählerin die Bühne betritt, liebt sie es, wenn die Abende „open end“ ausgehen. Wenn das Publikum es sich auf orientalischen Teppichen gütlich tut und nach und nach den westlichen Zeitrhythmus aufgibt. So wie einst in Hamburg, wo ein legendärer Erzählabend bis morgens um sechs Uhr währte. Huda Al Hilalis politisch gefärbten Märchen und Geschichten spielen in den modernen Straßen Bagdads genauso wie in Scheherazades Zeiten. Heute abend tritt sie in Bremen anläßlich des „Internationalen Frauentages“ in der HfT-Mensa am Neustadtswall auf — leider nur mit einem Ausschnitt aus ihrem Programm.

Huda Al Hilali lebt seit 15 Jahren in der Bundesrepublik. Sie hat Filmgeschichte studiert und sitzt an einem Examen in Islamistik und Germanistik. Während des Golfkrieges engagierte sich Huda Al Hilali zum ersten Mal offen für die Demokratie im Irak.

Im taz-Gespräch mit der Geschichtenerzählerin genügte eine Frage, und Huda Al Hilali kam ins Reden — über den Horror der Diktatur, über die Taxifahrer Bagdads, über die Frauen im Irak, über den Humor als Ventil, über die Angst und die Gewissensbisse im Exil — und über die Hoffnung.

taz: Wie hat der Krieg Ihre Arbeit verändert?

Huda Al Hilali: Die ersten drei Wochen war — auch innerlich — totales Schweigen. Ich habe ja diese Erzählabende gemacht, um Frauen zu zeigen, wie sie durch die Gassen Bagdads gehen, ihre Verhältnisse zu den Nachbarn, Bilder vom Alltag des Lebens. Eine kulturelle Brücke in meinem Bewußtsein, und die wurde dann bombardiert. Ich habe gedacht: Was will ich jetzt den Leuten zeigen? So schnell kann ich gar nicht erzählen, wie die Bomben fallen.

Wir Iraker im Exil — Frauen und Männer — haben unglaubliche Gewissensbisse, weil wir in einer Zeit weggegangen sind, in der die „sanfte Flucht“ noch relativ einfach war. D.h. man nimmt Urlaub und kommt einfach nicht zurück. Ich bin 1976 weggegangen. Drei Jahre, bevor Saddam Hussein an die Macht kam. Er war aber damals stellvertretender Staatspräsident und hat sehr viel für die Frauen getan. Die Industrialisierung des Irak konnte nicht nur auf die Männerkraft aufgebaut werden. Aber das ist ein zweischneidiges Messer. Auf der

Huda Al HilaliFoto: Sabine Heddinga

einen Seite ist es toll: soviel arbeitswillige und arbeitsfähige Frauen in vielen Berufen. Frauen bekommen das gleiche Gehalt wie Männer. Die Scheidungsmöglichkeiten wurden reformiert durch ihn. Und auf einmal waren alle Frauen Feuer und Flamme für ihn. Aber was er haben wollte und nicht gesagt hat: Das waren die Männer und Frauen, die nicht für ihn sind.

Es gab eine Zeit, da durfte man wenigstens ruhig sein. Da galt Schweigen noch als Zustimmung. Bis zu dem Zeitpunkt, wo Aktivitäten verlangt wurden. Man durfte sich nicht mehr zurückhalten. Von da an galt Schweigen als Gegenstimme.

Seit drei, vier Jahren gehören zum Beispiel alle Taxifahrer zum Geheimdienst. Es wurde bei uns Brauch, daß der Taxifahrer das Gespräch auf die Schulen bringt, auf die Kinder, auf die Preise. Und sagt: „Was hat uns Saddam Hussein gebracht? Früher war doch alles besser.“ Man darf dann nicht mehr wie früher schweigen. Man muß ihm sofort die Meinung sagen. Sonst fährt er zur Polizei.

Wenn Bekannte und Freunde sich im Irak treffen, ist deshalb das erste, was sie tun: Sie loben Saddam Hussein. Nach dem Motto: So, das haben wir jetzt hinter uns.

Es ging schon so weit, daß die Regierung, seine Garde und die vier verschiedenen Geheim

hier bitte das Frauenportrait

dienste durchgesetzt haben, daß die Machtstrukturen der Baathpartei wie zur Nazizeit bis in die entferntesten Winkel der Familie hindurchgehen sollen. Wenn zum Beispiel ein Vater sagt, während Saddam Hussein im Fernsehen spricht: 'Ich kann diesen Blödsinn nicht mehr sehen‘, und macht das Fernsehen aus und holt sich stattdessen einen Videofilm, dann gilt ein Sohn als Held, wenn er seinen Vater anzeigt. Umgekehrt gilt ein Vater als Held, wenn sein Sohn aus dem Krieg nach Hause kommt und sagt: „Ich bin desertiert, versteckt mich“, wenn der Vater dann seinen Revolver nimmt und ohne mit der Wimper zu zucken den Sohn über den Haufen schießt. Eine solche Szene ist auch im Fernsehen als vorbildlich gezeigt woren. Das sind keine Horrorgeschichten, das ist Alltag.

Wenn meine Mutter zu Besuch nach Deutschland kommt, fühle ich, wieviel Aggression darin steckt, wenn Frauen und Männer sich treffen und sich über Saddam Hussein kaputtlachen, wenn er zum Beispiel Orden verteilt hat in dem Iran-Irak-Krieg. Und es durfte keiner so hoch werden, daß die Leute ihn bewundern, dann hat er ihn sofort hinrichten lassen.

Eine Geschichte, die ununterbrochen erzählt wurde: Saddam Hussein wollte einem Offizier einen Orden anhängen. Aber der Offizier war schon überall voll.

Dann hat sich der Mann ohne etwas zu sagen rumgedreht. Und Saddam Hussein hat ihm den Orden hinten befestigt. Das wurde im Fernsehn gezeigt. Als wir meine Mutter in Frankfurt vom Flughafen abgeholt haben, hat sie nur gelacht über diesen Saddam Hussein. Ihr liefen die Tränen, während sie erzählte. Ohne Humor als Ventil ist der Horror nicht auszuhalten.

Die Frauenunterdrückung hat ganz stark zugenommen: Nicht nur weil die Frauen Arbeitstiere sind. Sondern sie vergewaltigen Frauen, um die ganze Familie durch die Vergewaltigung zu demütigen. Es gibt oppositionelle Politiker, da haben sie ganz junge Mädchen, Jungfrauen, ihre Töchter, genommen und haben sie vergewaltigt. Die kehren dann schwanger in das Haus zurück. Diese Vorstellung, da ist ein Bastard in ihrem Leib, dieses Mädchen ist total zerstört und die Familie auch. Das ist genauso, als würde man das ganze Haus mit Schande anstreichen.

Davon sind sehr viele Familien betroffen: Man hat eine sehr sensible Seite gefunden, wie man Familien zusammenbrechen läßt. Das ganze nur zu dem Zweck, daß Menschen, die Saddam Hussein kritisiert haben, das im Fernsehen wieder zurücknehmen. Wenn ein Mann unter der Folter nicht zusammenbricht, brechen sie ihn damit, daß sie vor seinen Augen die jungfräuliche Tochter vergewaltigen. Es gibt keine Grenze.

Sie fragten am Anfang: Was hat sich verändert durch den Krieg? Früher hatte ich Angst, wenn ich etwas sage, daß meine Familie darunter zu leiden hat. Meine Eltern, meine beiden Schwestern, meine vier Brüder. Auf der Bühne redete ich zwar sehr deutlich auch über die Lage im Irak, aber den Namen der Baath-Partei habe ich bis zu diesem Krieg nie genannt. Den Namen von Saddam Hussein auch nicht. Auch nicht nach 15 Jahren in der Bundesrepublik. Der Preis wäre zu hoch gewesen. Ich hätte in der irakischen Botschaft in Bonn nur schlafende Hunde geweckt.

Ich habe vier Brüder, die waren im Iran-Irak-Krieg alle beim Militär. Wie es jetzt ist, weiß ich nicht. Ich hoffe, daß mein jüngster Bruder desertiert ist. Meine Eltern wollten in den Norden flüchten, aber ich habe keine Nachricht.

Nach den ersten drei Kriegswochen dachte ich: Jetzt reicht es mir. Es kann sein, daß ich meine Familie nie wieder sehe. Ich habe auch Angst vor dem Tage, an dem die Telefone wieder funktionieren, weil ich dann die Wahrheit erfahren werde. Aber die Möglichkeit, daß ich sie schütze durch mein Schweigen, ist im Moment nicht mehr gegeben.

Welches Gefühl überwiegt bei Ihnen jetzt, nach dem Krieg?

Hoffnung. In der Nacht vor Kriegsende waren wir auf der Bühne. Und wir haben auch Dias gezeigt, Videos. Alles Iraker, die vorher nie den Mund aufgemacht hätten. Die haben alle gesagt: Wir haben die Schnauze voll, es reicht. Und so denken ja nicht nur wir, so denken auch die Familien im Irak.

Das Furchtbare ist, daß dieser Krieg auch noch dazu gekommen ist. Das war der letzte Tropfen, was die Menschen noch aushalten konnten.Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß es bei uns so eine Entwicklung gibt wie im Iran. Die Leute würden noch so ein diktatorisches Regime nicht aushalten. Ich hoffe wirklich, daß die Vertreter von siebzehn Parteien etwas auf die Beine stellen. Ich kann nichts anderes haben, als Hoffnung. Diese Hoffnungslosigkeit, 15 Jahre lang, das ist ja kein Leben. Interview: Barbara Debus