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Nix Avantgarde, alles Scheiße...

■ Hamburger No-Budget-Kurzfilme im Sputnik Südstern

Wir freuen uns, Ihnen unser Problem mitteilen zu dürfen: Viele Ideen, aber alles Scheiße«, steht ganz oben im Programmblatt von Stundenkino, einem Super-8-Programm von 15 Hamburger Kurzfilmen, das zur Zeit im Sputnik Süd läuft. Der Hamburger Verein »LAG Film e.V.« hat die Filme aus den Jahren 1987-90 des Trios Jürgen Dohm, Hanna Nordholt und Fritz Steingrobe zusammengestellt. Die Sammelrolle mit dem Titel Polizeisprecher L. zeigt eine Filmkamera veranlaßt zumindest schon mal, diverse Kurzfilme an einem Stück anzusehen. Die Kurzfilme haben das Prinzip »alles Scheiße« zu positivem »Scheißegal« fortentwickelt. Nicht nur im Hinblick auf die Originalität der Stories und die filmische Umsetzung. Nein, »Scheißegal« — das könnte auch die Überschrift für die Weltsicht des Filmemacher-Trios sein. Scheißegal — das liegt irgendwo zwischen Resignation, Freiheit, Konfusion, Hysterie und Trotz.

In der Übersteigerung der eigenen Bedeutungslosigkeit liegt der erfrischende Charme des Filmchens. Wer nicht auf Feuilletons und abendländische Interpretationen schielt, wem kleine Fernsehspiele und Hollywood gleichermaßen voll am Arsch vorbeigehen, wer einfach tut, was ihm einfällt — der hat zumindest die Chance, »eigen« zu sein. Eine sinnliche Urwüchsigkeit, die zwar auch nichts Neues mehr darstellt, aber immerhin noch immer jenen schrägen voyeuristischen Reiz ausstrahlt, der zum Schmuddelkino gehört.

Der Freund des Filmclubpräsidenten — Untertitel: ...jeder hat sein Hobby — heißt der dreiminütige Eröffnungsfilm des Programms. Irgendein Typ, eine Art netter, mittelalterlicher Prol-Kumpel, erzählt, daß der den Präsidenten des Amateurfilmclubs kennt. Der macht gute Sachen, »nur so nebenbei« halt, aber »richtig mit Musik und so, so mit Untermalung«. Und sogar die Schrift macht er selbst. Freizeitfilmen ist so eine private Sache wie Zierfischzüchten oder Bierdeckelsammeln, wird dem Zuschauer klargemacht. Eine verniedlichende Selbsteinschätzung, hinter der die radikale Abkehrung vom großen Kino steht. Konsequent und komisch unterstreichen dies die Hamburger Jungfilmer, indem sie eifrig jene schaurig- lieblichen Zierbuchstaben für ihre Abspänne verwenden, die ansonsten von Familienvätern für ihre Konfirmations-Erinnerungsfilme im Fachhandel gekauft werden.

Wovon handeln die Minifilme nun? Von allem und jedem — nur nicht von vordergründiger Politik, Sozialem und »großer Kunst«: beispielsweise vom Leben unterm Kondom, vom Sex der Barbiepuppen, vom Problem eines Herren mit seinem Sklaven, vom Bumsauto des Papstes — vor allem aber vom »Ich«, von der Weltherrschaft der Glotzen, Videos, Personal Computer.

Vor allem das Fernsehen geistert ständig durch alles und jedes, Bildausschnitte, Wortfetzen, schließlich die Apparate selbst sind die »Mindfucker«, denen man sich nur noch durch konsequentes, beharrliches, eigenes Dauerfilmen als eine Art Überlebensform entziehen kann. Klar, daß dabei Mensch und Kamera schon ineinander übergehen. Plötzlich hat der Filmer — wie in Kameramann Nr. 7 keinen Kopf mehr. Statt dessen wächst ihm eine Kamera aus dem Hals. Verloren, einsam, aber unbeirrt streunt und stolpert dieses kafkaeske Wesen durch Hamburgs Straßen. Und fällt keinem auf. Wahr und echt und wichtig ist, was auf Informationsträger gebannt ist, sei es Zelluloid, Videoband, digital. Nicht die Information, die Absicht oder der Inhalt zählen, sondern lediglich die Aufnahme, der Transport und die Übertragung des Inhalts. »Was wir wissen wollen, ist, wer den Sand in den Spinat getan hat«, lautet das weltbewegende Untertitel-Untersuchungsziel eines der Filme. Sinn und Antwort bleiben dabei Nebensache. Ich filme, also bin ich.

Wer sich auf solcherlei sehr private Höhen- und Tiefflüge mit Tricks, verfilmter Graphik oder absolutem Nonsens einläßt, erfährt im Stundenkino verbissenen Dilettantismus, aggressive Ich-Bezogenheit, ätzenden Trotz. Leben eben.

Stundenkino — das ist ein Filmabend für alle jene hoffnungslos Vorgestrigen, die noch immer nicht einsehen wollen, daß Hollywood der Nabel der Kinowelt ist, und für all jene, die den aufgeblasenen »Himmel über Berlin« von Herrn Wenders schon immer für den grandiosest überschätzten Film des vergangenen Jahrzehnts gehalten haben. Denn dem Stundenkino kann man alles nachsagen, nur nicht Verlogenheit. Thomas Kuppinger

Bis 13. März täglich um 20.30 Uhr im Sputnik Südstern.

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