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Spätlese: Philippe Soupault: Geschichte eines Weißen

Philippe Soupault: Geschichte eines Weißen (1. Band der autobiographischen Schriften in der Werkausgabe Philippe Soupault im Verlag Das Wunderhorn). Aus dem Französischen von Hans Thill; 126 Seiten, geb., mit Personenregister, Abbildungen und Anmerkungen, DM 29,80.

Es gibt eine Art schöner Gleichgültigkeit im Umgang mit der Sprache, die vor allem in Frankreich und dort unter den Surrealisten anzutreffen ist, eine Gleichgültigkeit, die sich vielleicht daraus erklärt, daß jene Autoren (die niemals „hommes des lettres“ werden wollten, sondern im Gegenteil die Verklärungen der Bourgeoisie, die mit diesem Begriff einher gingen, verabscheuten) am wenigsten von allen sowohl auf einem eigenen „Stil“ als auch auf einem „Ich“ beharrten, das es aus dem Strudel der Ereignisse zu destillieren galt und das sich mittels Sprache „wiederfindet“.

Diese äußerste Gleichgültigkeit einem Vernunftbegriff wie der „Identität“ gegenüber befreit den Geist von Verpflichtungen und Konventionen des „Erzählens“ und führt zu einer rücksichtslosen Schärfe der Beobachtung, zu unerhört poetischen und zugleich sparsamen Metaphern und zu einer Leichtigkeit des Schreibens, die nicht auf Arbeit beruht und so auch das Lesen zu einer schwerelosen, selbstvergessenen Tätigkeit macht. Wo kein Ich in unserem konsistenten, psychologisch- traditionellen Sinne zu retten ist, da erübrigen sich nicht nur die Vokabeln des Entwicklungsromans, sondern auch die Beschreibungen einer inneren Beteiligung des Ichs und seiner Verstrickung mit der Welt, die gemeinhin — vor allem in der deutschsprachigen Literatur — die Kühnheit des Einzelnen opfert zugunsten des gewohnten Zusammenhangs.

So ist es durchaus folgerichtig, daß der noch nicht dreißigjährige Soupault seinen autobiographischen Roman Geschichte eines Weißen mit einer Grundsatzerklärung beginnt, auf die er nicht mehr ausdrücklich zurückkommen wird, um die ein Teil seiner Gedanken und Beobachtungen kreist, bevor er sie endgültig verläßt, unbekümmert um die „Konsistenz der Erzählung“. Zugleich ist typisch, von welcher Schönheit diese Erklärung ist, mit welcher Leichtigkeit und zugleich Gnadenlosigkeit sie formuliert ist: „Meine Familie repräsentiert ganz gut jene Bourgeoisie, die, wie es scheint, Frankreichs Stärke ausmacht. Ich hege eine große Verachtung für diese Klasse der Gesellschaft und sehe mit Freuden, wie sie sich langsam zersetzt, für meinen Geschmack zu langsam.“

Ein Adoleszenter, der seiner Familie, seiner Klasse, seiner Erziehung den Abschied einreicht mit einer gleichsam höfischen Geste: absolut, unerbittlich, mit formvollendeter Indifferenz. Weit entfernt von den ehrlichen Kämpfen der Sartreschen Helden, die stark schwitzend auf die „Freiheit als Bindungslosigkeit“ zuphilosophieren und nicht aufhören können, sich und der Welt den Prozeß zu machen, näher an Godards Außer Atem als an Beauvoirs braver, gründlicher Emanzipation: „Wenn ich diese unbedeutenden Fakten Revue passieren lasse, die sich zu meiner Kindheit verwoben, dann stelle ich mit Erstaunen fest, wie grau in grau ich das alles sehe. Ich kann keinem Menschen etwas vorwerfen. Ich habe alles in allem wenig gelitten, wenig gelernt, habe mich oft nur beträchtlich gelangweilt.“

Wer sich derart gelangweilt hat, bezieht, was er sieht, nur noch in Ausnahmefällen auf sich selbst. Ergebnis ist eine Poesie, die frei ist von poetischer Anstrengung. Soupault am Rhein: „Das Land, durch das ich kam, war ein langer Fluß, sanft wie ein Haarschweif und sonor wie eine Orgel.“

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