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"Übergangswahlen für die Zeit des Übergangs"

■ Erstmals seit den Militärregimes der siebziger Jahre beteiligt sich im vom Bürgerkrieg gebeutelten El Salvador wieder die Linke an Parlamentswahlen. Die FMLN-Guerilla hat angekündigt, diesmal..

„Übergangswahlen für die Zeit des Übergangs“ Erstmals seit den Militärregimes der siebziger Jahre beteiligt sich im vom Bürgerkrieg gebeutelten El Salvador wieder die Linke an Parlamentswahlen. Die FMLN-Guerilla hat angekündigt, diesmal die Wahlen nicht zu sabotieren. Das Klima der Angst jedoch hat den Optimismus der Opposition wieder gedämpft.

AUS SAN SALVADOR RALF LEONHARD

Die Bauern aus Segunda Montes und den anderen kleinen Siedlungen nördlich des Torola waren schon lange vorher da, in ihrer abgetragenen Kleidung. Ausgerüstet mit papierenen Fähnchen in den Regenbogenfarben der Demokratischen Konvergenz erwarteten sie den Kandidaten aus der Hauptstadt. Segundo Montes ist die vor einem Jahr von heimgekehrten Flüchtlingen gegründete Siedlung wenige Kilometer nördlich des Torola-Flusses. Der Torola ist eine Grenze, hier endet die Kontrolle der Armee. Nur im Rahmen von Großoffensiven und in Formationen von Bataillonsstärke wagen sich die Streitkräfte in den von der Guerilla kontrollierten nördlichen Teil der Provinz Morazan.

Ganz anders als die selbstbewußten Leute aus dem Norden dagegen die Einwohner der Provinzhauptstadt San Francisco Gotera. Verschlossene Campesino-Gesichter verfolgen unbewegt den Marsch der Linksallianz „Convergencia Democratica“. Kaum einer wagt es, sich anzuschließen. Der Zugang zum Platz, wo die Veranstaltung eigentlich stattfinden sollte, ist durch eine Kompanie Soldaten versperrt, die ihre Exerzierübungen mitten im Stadtzentrum abhalten. Andere Straßen sind von Aktivisten der regierenden ARENA besetzt. Schließlich kommt der Zug zum Stehen. Eingeklemmt zwischen einem als Armeeposten benutzten Park und dem Bestattungsinstitut „Los Angeles“ wird die Wahlveranstaltung improvisiert. Ein aus der Hauptstadt mitgebrachter Pritschenwagen dient als Tribüne. Die Armee sei in den letzten Tagen in Segundo Montes und anderen Gemeinden eingefallen, habe die Felder zertrampelt, Minen gelegt und die Wasserleitungen zerbrochen, erzählen die Campesinos. Im dürren Bergland von Morazan bedeutet die Unterbrechung der Wasserleitungen stundenlange Fußmärsche zum nächsten Brunnen, erhöhte Gefahr von Durchfallkrankheiten und Epidemien. Der Kandidat Ruben Zamora kennt die Probleme der Gegend. Er verspricht, sich im Parlament dafür einzusetzen, daß die verfassungsmäßig garantierte Freizügigkeit und der freie Handel auch für die Kriegszonen gelten. „Die Leute von ARENA nennen sich Nationalisten“, wettert er, „doch was sind das für Nationalisten, die eine Rückkehr ihrer geflüchteten Staatsbürger verhindern und denen, die zurückkehren, die Dokumente verweigern?“

OAS-Beobachter: „Technischer Betrug“

Seit klar ist, daß sich die Linksparteien an den Parlaments- und Gemeindewahlen beteiligen und auch die Befreiungsbewegung FMLN garantiert hat, daß sie diesen Wahlgang nicht sabotieren wird, haben sich mehr als 600.000 neue Wähler eingetragen. Gegenüber den Präsidialwahlen 1989 ist das Wahlregister von unter zwei Millionen auf 2.570.229 Wahlberechtigte angewachsen. Allerdings haben nur 2,18 Millionen ihren für die Stimmabgabe unentbehrlichen Wahlausweis erhalten. Administrative Schwierigkeiten, behauptet Jaime Romero Ventura, Vorsitzender des Zentralen Wahlrates, ein ARENA-Mann.

Immerhin ist auffällig, daß gerade in den Gemeinden, in denen eine Mehrheit der Opposition zu erwarten ist, die Ausgabe der Wahlkarten besonders zäh erfolgte. Die Salvadorianer sind im allgemeinen für ihre organisatorische Effizienz bekannt. Deswegen haben die Vertreter der Opposition keinen Zweifel, daß System dahinter steckt. Der Sozialdemokrat Guillermo Ungo deutete noch zwei Wochen vor seinem Tod in einem Brief an den Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), an, daß er sich womöglich wegen der Unregelmäßigkeiten aus dem Wahlprozeß zurückziehe. Immerhin sind 20 Prozent der eingetragenen Wähler betroffen.

Vertreter der OAS-Beobachterdelegation drückten ihre Privatmeinung aus, als sie von „technischem Betrug“ sprachen. Ricardo Perdomo, der Vertreter der Christdemokraten im Zentralen Wahlrat, war nahe daran, wegen der Manipulationen zurückzutreten. Er schlug schließlich vor, daß auch jene Wähler, die zwar keinen Wahlausweis haben, aber im Register eingetragen sind, zugelassen werden. Der dreiköpfige Wahlrat erklärte sich mit den Stimmen der beiden regierungstreuen Mitglieder für unzuständig und verwies die Angelegenheit an die Nationalversammlung. Dort wurde der Antrag von der ARENA-Mehrheit abgeschmettert.

Die Regierung hat zwar Beobachter der als kritisch geltenden UNO abgelehnt, zumindest aber eine Delegation der OAS eingeladen. Diese wird sogar beschränkten Zugang zum Computerzentrum des Wahlrates haben. Die FMLN hat nach monatelangen Diskussionen ihre Position definiert und in einem Kommuniqué erklärt, diesmal weder den Verkehr noch die Wahlen zu sabotieren. Lediglich in den Gebieten unter ihrer Kontrolle, so ließ sie verlauten, werde sie keine Wahlen zulassen.

Erstmals seit 1972 werden also in El Salvador Wahlen von keiner gesellschaftlichen Gruppe boykottiert. Und erstmals seit den betrügerischen Wahlen der Militärregimes der siebziger Jahre beteiligt sich die Linke an Parlamentswahlen. Sie hat sogar gute Aussichten, mehrere Abgeordnete in die Nationalversammlung zu bekommen. Manche machen sich sogar Hoffnungen, daß die Opposition insgesamt die Mehrheit der regierenden ARENA brechen kann. Die Christdemokraten unter ihrem Parteichef Fidel Chavez Mena haben sich deutlich an die wichtigsten Positionen der Linken angenähert, seit sie selbst in der Opposition sind. Hatte Napoleon Duarte die Verfassung noch verbissen verteidigt, so fordert Chavez Mena heute neben der Entmilitarisierung, neben Justiz- und Wirtschaftsreformen zugunsten der armen Bevölkerungsmehrheit auch eine Änderung des Grundgesetzes.

Mit der Demokratisch-Nationalistischen Union (UDN) und der Rückkehr ihrer Führer aus dem Exil hat sich auch die traditionelle Linke wieder in El Salvador etabliert und gleich einen aufwendigen Wahlkampf geführt. Die UDN wurde in den sechziger Jahren als legale Front der KP gegründet und beteiligte sich damals an mehreren Wahlallianzen mit den Christdemokraten und den Sozialdemokraten Guillermo Ungos, bis zu seinem Tod vor wenigen Wochen Vizepräsident der Sozialistischen Internationale. Diesmal marschiert sie allein, denn die Convergencia hat ein Bündnis aus Berührungsängsten abgelehnt. Jedermann identifiziert die UDN mit der KP oder der FMLN. Zwar überwarf sich UDN-Chef Mario Aguinada fast mit dem KP-Vorsitzenden und FMLN- Kommandanten Shafik Handal, als er seine Wahlteilnahme ankündigte. Doch haben sich inzwischen die Wellen geglättet (siehe gestriges taz- Interview mit Shafik Handal). Die von der KP kontrollierten Gewerkschaften und Volksorganisationen machen seit einigen Wochen unverblümt Wahlkampf für die UDN. Für die Kandidatur zum Bürgermeister der Hauptstadt wurde sogar der populäre Gewerkschaftsführer Humberto Centeno abkommandiert, eines der Vorstandsmitglieder des Gewerkschaftsdachverbandes UNTS.

Die Kandidatur Centenos hat nun auch die anderen Anführer der UNTS gezwungen, Position zu beziehen. Sie sprachen sich Ende Februar für die Convergencia aus. Auch die Mehrzahl der christlichen Basisgemeinden hat sich für diese Option entschieden. Die „Demokratische Konvergenz“ ist zweifellos die dynamischste Kraft in diesem Wahlkampf. Neben der Christlichsozialen Volksbewegung (MPSC) Ruben Zamoras gehört ihr auch die sozialdemokratische MNR des verstorbenen Guillermo Ungo an. Zamora und Ungo waren bis zu ihrer Rückkehr aus dem Exil im November 1987 die Anführer der Demokratisch-Revolutionären Front, die mit der FMLN eine politische Allianz bildete. Trotzdem konnte die Convergencia nur in 75 der 262 Gemeinden Kandidaten aufstellen. Einmal fehlt es an Mitteln, und dann ist es in den von ARENA beherrschten Gebieten unmöglich, Kandidaten zu finden, die es wagen, sich zur Linken zu bekennen.

Anfänglicher Optimismus der Opposition verflogen

Das Klima der Angst, das in weiten Teilen des Landes herrscht und den von paramilitärischen Gruppen begleiteten Kandidaten der ARENA den Sieg garantiert, wird auch durch die 160 Beobachter der OAS und Delegationen aus 16 Ländern nicht abgeschwächt werden können. Deswegen ist der anfängliche Optimismus der Opposition in den letzten Wochen berechtigter Skepsis gewichen. Selbst wenn ARENA im Kongreß die absolute Mehrheit verliert, kann die Regierung auf ihre Satellitenparteien zählen. Die MAC des christdemokratischen Dissidenten Rey Prendes und die ehemalige Oligarchenpartei PCN werden voraussichtlich genug Sitze erobern, um die Mehrheit zu erreichen. Außerdem hat ARENA ihre Jahre an der Macht nicht ungenützt verstreichen lassen. Ihr streng an IWF-Rezepten orientiertes neoliberales Wirtschaftsprogramm hat bisher nur den Reichen genützt. Drei Prozent Wirtschaftswachstum im Vorjahr sind vor allem einer guten Ernte und der kurzfristig rentablen Fertigungsindustrien zu verdanken. Zur gleichen Zeit aber schwoll das Heer der Arbeitslosen auf über 60 Prozent an, die den sogenannten informellen Sektor der Kleinhändler und Straßenverkäufer noch weiter aufgebläht haben. Immerhin bekamen an die 200.000 Kleinbauern Landtitel im Rahmen der von den Christdemokraten begonnenen Landreform. Und von diesen Leuten ist keiner ohne Wahlausweis geblieben. Auch in der Stadt hat ARENA mehr geleistet als die notorisch korrupte Christdemokratie. Die Müllbeseitigung wurde verbessert, die Trinkwasserversorgung ausgeweitet und Billigwohnungen an Erdbebenopfer übergeben.

Die Opposition wird mit ihren Reformvorschlägen kein leichtes Spiel haben. Ruben Zamora spricht deswegen von „Wahlen des Übergangs für den Übergang“. Sein Ziel ist, in den nächsten drei Jahren Bedingungen zu schaffen, die bei den Präsidialwahlen 1994 ein faires Rennen ermöglichen. Dazu muß die Nationalversammlung aufgewertet und am Dialog mit der Guerilla beteiligt werden. Denn vom Fortschritt des Dialogs mit der FMLN, der nach den Wahlen fortgesetzt werden muß, hängt es ab, ob 1994 Wahlen im Frieden stattfinden können.

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