: Popanz für Seelenfrieden-betr.: "Die Apokalypse hat nicht stattgefunden" von Reinhard Mohr, taz vom 2.3.91
betr.: „Die Apokalypse hat nicht stattgefunden“ von Reinhard Mohr, taz vom 2.3.91
Für Mohrs — polemisch gemeinte — Behauptung, im Mittelpunkt aller Debatten um den Golfkrieg hierzulande habe die Beschäftigung der Deutschen mit sich selbst gestanden, und die sei eben statt von realen Ereignissen von psychologischen Projektionen beherrscht gewesen, liefert sein eigener Kommentar, vermutlich ungewollt, ein drastisches Beispiel. Der Autor präsentiert sich zunächst als jemand, der gegen alle ideologischen Abstraktionen das Recht der „konkreten Opfer“ einklagen will. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich freilich, wie sehr er von dem emotional okkupiert ist, was mit dezidierter politischer Intelligenz zu bekämpfen er vorgibt. Die „abstrakt Denkenden“, das sind für Mohr stets und immer die anderen, also die Friedensbewegten und Kriegskritiker aller Schattierungen, die die Möglichkeit einer — sei's metaphysischen, sei's universalpragmatischen — Rechtfertigung des Geschehens am Golf prinzipiell bestreiten. Es mag ja sein, daß darunter auch Leute sind, deren explizites Verständnis von den Bedingungen des Golfkrieges kaum über den Horizont einer provozierend unpolitischen Konfirmantenmoral hinauszugelangen scheint. Reicht eine solche Diagnose partiell naiver Gesinnungsethik aber schon aus, um für sich selber die unantastbare Position des „verantwortungsethischen“ Kriegsaffirmanten beanspruchen zu können? Ist sie bereits ein hinreichender Grund dafür, zugunsten eines apotheotischen Rückgriffs auf das Muster der übersichtlich verlaufenden „Fronten“ zwischen Freund und Feind, Gut und Böse, Opfer und Täter usw. schlechterdings jedes analysierende Bewußtsein für die Ambivalenzen und Komplexitäten der heutigen Weltverhältnisse auszuschalten?
Entgegen seiner Attitüde redet Mohr gerade nicht von den „konkreten Opfern“, jedenfalls nicht, insoweit es sich dabei um die irakischen Opfer handelt. (Die fallen wahrscheinlich unter die Kategorie der Täter, und wohl deswegen hat „die Apokalypse nicht stattgefunden“.) Nein, unser Kritiker beschäftigt sich ausschließlich mit seinen sozusagen innerpolitischen „Feinden“, das heißt, mit „linken“ Kriegsunwilligen, denen angeblich nichts heiliger sein soll als das eigene gute Gewissen. Den seinerzeitigen Spekulationen des Generals a.D. Opel über Hunderttausende irakischer Tote und Verletzte (die auch jetzt noch so abwegig keineswegs sind) wirft Mohr im nachhinein Antisemitismus vor und eine Unfähigkeit zur Unterscheidung, die fälschlicherweise alle zu Opfern dekretiere und dabei vergesse, sich über die „Befreiung“ Kuwaits zu freuen. Walter Jens wird gerügt, weil er tatsächlich „ungefragt“ für den Frieden zu votieren sich erlaubt hat. [...] Da sind seit dem 17. Januar reihenweise und durchaus ohne Aufforderung von außen die Alt-Spontis und Apo-Opas mit missionarisch gewaltsamem Bekennertum ins mediale Rampenlicht getreten und haben, teilweise mit nicht mehr zu überbietender Häme und Selbstgerechtigkeit, den „jungen Leuten“ (Cora Stephan) zu erzählen versucht, warum es schlecht sei, gegen den Krieg und betroffen zu sein. Damit ist Mohr, wie es scheint, völlig einverstanden. Aber wenn ein „Promi“ der „Gegenseite“ seine Empörung über die regierungsamerikanische Haltung des „Gewehre links, Gewehre rechts, und das Christkind in der Mitte“ öffentlich artikuliert, dann heißt das auf einmal „ungefragt“ und obendrein noch eine „Flucht vor Differenzen ins gute Gewissen“. Wer hier differenziert und wer nicht, darüber wird in nächster Zeit noch, hoffe ich, ausführlich zu reden sein.
Ich frage mich allerdings schon jetzt, wie es im Kopf eines Menschen aussieht, der einen solch hochgradig abstrakten Schwachsinn produziert, wie Mohr es getan hat, ohne auch nur in Ansätzen ein Gefühl dafür zu erkennen zu geben, daß er doch genau das tut, was er dem Popanz, den er selber dem eigenen Seelenfrieden zuliebe aufgebaut hat, permanent vorwirft: das Verdrängen und Ignorieren des wirklichen massenhaften Elends und Leidens der wirklichen Menschen in der bekämpften Golfregion. Vom Urvater der Psychoanalyse ist hierzu ein treffender Satz zu vernehmen: „Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und wirst nicht gewahr des Balkens in deinem Auge?“ (Matthäus 7,4) Richard Klein, Langackern
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