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KOMMENTARSublimer Druck für Helmut Kohl

■ Weizsäcker nimmt den Kanzler in der Hauptstadtfrage in die Pflicht

Das Gerangel um den Sitz von Parlament und Regierung im geeinten Deutschland hat längst groteske Züge angenommen. Allwöchentlich zaubern die Lobbyisten an Rhein und Spree Gutachten aus der Tasche, die jeweils belegen, daß die Mehrheit der Bevölkerung für die eigene Stadt plädiert. Auch mit den Kosten des Umzuges wird je nach Präferenz hantiert, als handele es sich um günstige Sonderangebote, während der andere Seite unlauterer Wettbewerb unterstellt wird. Die Argumente wiederholen sich längst, während sich der Kanzler aller Deutschen in seiner größten Tugend übt, dem Aussitzen. Wie der Teufel das Weihwasser scheut er eine Aussage, die man als Parteinahme auslegen könnte. Währenddessen schmieden die Abgeordneten in den Hinterzimmern ihre Allianzen.

In dem peinlich-provinziellen Hin und Her platzte dem sonst so zurückhaltenden Grandseigneur der deutschen Politik der Kragen: Mit seinem „Memorandum“ versucht der Bundespräsident, die Diskussion zuzuspitzen und auch seinem Kanzler kundzutun, daß er sich endlich einmal äußern muß — im Sinne einer europäischen Perspektive. Weizsäcker hat aus seiner Vorliebe für Berlin nie ein Hehl gemacht. In die Debatte einzugreifen zu einem Zeitpunkt, wo sie endgültig zur Posse zu verkommen droht, ist sein gutes Recht und kein „Affront“ gegen den Bundestag. Der Brief Weizsäckers richtet sich in erster Linie an den CDU- Vorsitzenden und Regierungschef, der für sein Führungsamt in die Pflicht genommen wird. Das Plädoyer des Bundespräsidenten bleibt allerdings unkonkret: Mindestens zwei Verfassungsorgane machen eine Hauptstadt aus, glaubt Weizsäcker — welches außer ihm noch in Berlin sitzen sollte, läßt er offen. Worum es bei der Entscheidung über den Regierungssitz geht, ist längst klar. Es geht nicht um die Vorzüge und Annehmlichkeiten der einen oder anderen Stadt, auch wenn die für den einzelnen Parlamentarier psychologisch im Vordergrund stehen. Es geht darum, die deutsche Einheit nicht nur von fern gepredigt und „vollendet“ zu haben, sondern sie real zur Kenntnis zu nehmen. Daß von Berliner Seite ganz handfeste ökonomische Interessen eine Rolle spielen, liegt auf der Hand. Vom Umzug erwartet man sich einen gewaltigen Investitionsschub und damit eine Lösung der quälenden wirtschaftlichen Probleme der Stadt wie der gesamten Region. Gefordert ist jetzt endlich ein Votum des Kanzlers und eine rasche Entscheidung des Parlaments. Also Hand aufs Herz, Helmut! Kordula Doerfler

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