: Anschlag auf die Abwicklungskultur?
■ Wie der Narva-Sanierer in spe und Erfinder Dieter Binninger vor dem Glühbirnen-Kartell abstürzte
Am Dienstag, den 5. März verunglückte der Berliner Glühbirnenerfinder Dieter Binninger (54) zusammen mit seinem Sohn Boris (23) und seinem Piloten, dem Ex- NVA-Soldaten und Fluglehrer Lothar Scholz, bei einem Absturz mit einer Tobago B10 just im Todesstreifen bei Helmstedt, tödlich. Einige Fragen, die dieser Absturz aufwirft, untersucht die verschwörungspraktische Berliner Künstlergruppe
BILD kämpft für NARVA
Der Erfinder, sein Sohn und der Fluglehrer waren um 15 Uhr vom Fliegerhorst der 5. Luftwaffendivision in Strausberg bei Berlin gestartet. Ein Zeuge im Dorf Döhren sah um 16 Uhr 35, wie die Maschine zweimal über den Ort, wo Binninger einen Bauernhof besaß, kreiste, dann setzte der Motor der fünfsitzigen Maschine aus und der Pilot versuchte anscheinend eine Notlandung. Das Wrack brannte völlig aus. Die Flugunfall-Untersuchungsbehörde im Luftfahrt-Bundesamt in Braunschweig sowie die Kripo im Helmstedt und Schönebeck untersuchen derzeit noch das Unglück. Neben den technischen Kommunikationsproblemen gibt es einstweilen auch noch Verfahrenskoordinierungsprobleme zwischen den niedersächsischen und den Anhaltiner Beamten: So wird hier zum Beispiel eine Obduktion erst nach Bereitstellung der entsprechenden zahnärztlichen Gutachten gemacht, in der alten BRD ist es umgekehrt.
Das noch bestehende deutsch- deutsche Verordnungswirrwarr könnte sogar Ursache des Flugzeugabsturzes gewesen sein: In der DDR durften Piloten nur unterhalb der 50-Meter-Zone fliegen, in der BRD mußten sie mindestens 150 Meter, über Ortschaften sogar 300 Meter hoch fliegen. Vielleicht, so mutmaßte ein Kripo-Sprecher, flog der mit über 1.000 Flugstunden erfahrene Fluglehrer gewohnheitsmäßig besonders niedrig, stieg dann über Döhren hoch, geriet aus der Kurve und nahm — was ihm zum Verhängnis wurde — das Gas weg. Der Kripo-Sprecher hält es für unwahrscheinlich, daß vor dem Start an der Maschine manipuliert, »zum Beispiel Zucker in den Tank geschüttet« wurde. Genaueres wird man jedoch erst »in einigen Monaten« sagen können. Bis jetzt wurde noch nicht einmal in Strausberg nach etwaigen merkwürdigen Vorkommnissen auf dem Fliegerhorst (vor dem Start Binningers) geforscht.
Der Erfinder und Unternehmer hatte um 13 Uhr 30 eine Geschäftsverhandlung, bis jetzt weiß man noch nicht einmal genau mit wem. Die taz- Leserin hat jedoch ein Recht darauf zu erfahren, warum diese dürren Fakten hier — auf den Berlin-Kulturseiten auch noch — ausgebreitet werden. Dazu müssen wir ein wenig ausholen: Dieter Binninger, der übrigens seit vier Jahren einen Flugschein und eine Maschine besaß, war der Erfinder einer sogenannten Langlebensdauer- Glühlampe, die 150.000 Stunden brennt, sie kostet ab Werk 4,55DM. Zuerst produzierte er sie in einer kleinen Kreuzberger Fabrik, seit einigen Monaten bei Narva in Friedrichshain. Dieser ehemalige DDR-Monopolbetrieb, das Kombinat »Rosa Luxemburg«, war seit der Wende in große Absatzschwierigkeiten gekommen. Neben einer »Gesundschrumpfung« von 4.800 Mitarbeitern auf ca. 1.000 stand und steht eine Privatisierung des Lichtquellenbetriebs durch die Treuhand an. Dort war bis vor kurzem der stellvertretende DDR-Minister für die Elektroindustrie, Schulz, für die Narva-Abwicklung zuständig. Er favorisierte eine Übernahme des Betriebes durch Osram (Siemens): »Das Berliner Glühlampenwerk, BGW, ist allein nicht wettbwerbsfähig« und: »Osram hat noch Kapazitäten frei.« Zudem hatte Narva große »Altlasten«: Schulden in Millionenhöhe von vor der Wende, die die Treuhand bis jetzt noch nicht getilgt/erlassen hat, und außerdem von Osram eine neue Produktionsanlage für sogenannte »Energiesparlampen« (das sind Kompakt-Leuchtstoffröhren) bekommen. Osram wollte dafür die Allgebrauchslampen-Abteilung übernehmen — für 5 Millionen DM, die Geschäftsleitung verlangte 20 Millionen. Sie wurde jetzt von zwei West- Managern abgelöst und auf Nullstunden-Kurzarbeit gesetzt, gleichzeitig konstituiert sich ein Aufsichtsrat und die Treuhand übergab das Objekt der Consulting-Firma Price-Waterhouse, die bis zum 27.2. Übernahmeangebote für den einstigen Ostberliner Renommierbetrieb entgegenahm.
Laut Binninger war die Ausschreibungsfrist von nur etwas über einer Woche deswegen so knapp von der Treuhand angesetzt worden, weil diese ausschließlich »hochkarätige Interessenten« herausfiltern wollte. Dazu gehörte wohl auch Dieter Binninger selbst, zusammen mit der Commerzbank. Schon Ende letzten Jahres hatte er ein erstes »Produktionskonzept für 150 Angestellte«, das den Ausbau der Narva-Produktion seiner Langlebensdauer-Glühlampen vorsah, konzipiert — auf dem Hintergrund von bereits abgeschlossenen Lieferverträgen mit Philips, Südlicht und Mazda. Osram hatte sein Unternehmen, ebenso wie übrigens auch Narva, so lange boykottiert, bis Tungsram Budapest, nachdem es von General Electric aufgekauft worden war, beide Firmen mit Halbfertigteilen belieferte. Danach begann sich Philips für Binningers Erfindung zu interessieren und verschaffte ihm über diverse Tochterfirmen Aufträge. Gleichzeitig brachte Binninger den Philips-Manager in Hamburg, Brunswick, als neuen Vertriebsleiter bei Narva ins Gespräch. Dort hatte mittlerweile ein beratender österreichischer Senior-Manager, Hegele, erste Sanierungserfolge erzielt: Mehrere alte SED-Kader mußten gehen (so zum Beispiel der Geschäftsführer Sommer und der Treuhand- Manager Schulz), und ein »asiatisches Unternehmen« bekundete ernsthaftes Interesse an einer Übernahme des BGW (in verkleinerter Form).
Binninger hatte nebenbei ebenfalls mit einigen asiatischen Managern konspiriert — und zwar mit rot-chinesischen, die seine Langlebensdauer- Glühlampen in Eigenregie produzieren wollten. Ironischerweise hatte auch Narva Anfang der achtziger Jahre mal »Langlebensdauer-Glühlampen« produziert, sie hielten nur halb so lange wie Binningers Birnen mit der kürzesten Lebensdauer, nämlich 2.500 Stunden. Ihre immerhin um das zweieinhalbfache — als international üblich — erhöhte Brenndauer basierte auf einer »veränderten Wendel-Geometrie« und stammte von Tungsram, die auch die Produktionsanlagen dafür geliefert hatten — sie hießen in Ungarn »Resista-Lampen«. Das Kombinat Narva, das mindestens über die Vertreter der russischen Firma »Energo Maschexport« teilnehmender Beobachter bei den Sitzungen des internationalen Elektrokartels IEA (International Electrical Associated Ltd., früher Phoebus S.A.) war, lieferte seine Langlebensdauerglühlampen nicht ins »kapitalistische Ausland«.
Das sozialistische Ausland war vor allem an den Hochdrucklampen interessiert. Dieser Absatzmarkt ist jetzt zusammengebrochen, nichtsdestotrotz wird Narva auf der Hannover-Messe eine neue — quecksilberfreie — Natriumdampf-Hochdruckentladungslampe vorstellen. Gut verkaufen läßt sich einstweilen nur die quecksilberhaltige Kompaktleuchtstoff-Lampe, dabei gibt es allerdings noch Propleme mit der von Osram gelieferten Fließstrecke. Fassen wir zusammen: Es gibt das Kartell: IEA (mit Sitz in Pully, Lausanne und Tagungen im »Beau Rivage«); führend darin ist Siemens (Osram), das auf die Ausdehnung der »Heimatmarkt-Schutzabkommen« auf das Gebiet der ehemaligen DDR pocht (»freie Kapazitäten«), es gibt da aber auch Philips und Tungsram (G.E.), die sich sagten: Osrams Gegner sind unsere Partner; dann ist da noch die Deutsche Bank mit ihrem Spezi, den Unternehmensberater Roland Berger, im Spiel, der schon mal für mehr als 100.000DM ein — wie Narva-Mitarbeiter es nennen — »äußerst unseriöses BGW-Sanierungskonzept« zusammengeschrieben hatte, ferner die Treuhand, die ein Dienstleistungsunternehmen sein will und keine Strukturpolitik betreiben möchte, nichtsdestotrotz aber jetzt schon zigtausend DDRler zwingt, das Land zu verlassen, mindestens tagsüber — als Pendler; die Treuhand hat im Falle Narva die Consulting-Firma Price-Waterhouse eingeschaltet, damit die das 200-Millionen-Objekt an den richtigen (starken) Mann bringen. Da außer Binninger/Commerzbank kein Interessent dort ein mit internen Einzelheiten belecktes Angebot machen konnten, »bleibe eigentlich nur ich übrig«, wie Binninger am 27.2., einen Tag nachdem er sein Angebot abgegeben hatte, selbstbewußt meinte.
Aber dann gibt es da auch noch den ebenso engagierten wie idealistischen Senior-Manager Hegele, dessen Sohn im Narva-Aufsichtsrat sitzt, und der ein asiatisches Unternehmen zur möglichen Übernahme bewegen konnte. Für Hegele-Senior ist Price- Waterhouse etwa so unseriös wie Roland Berger, da beide »keine Ahnung von den internen Strukturen« haben, die ihnen wohl auch ziemlich schnuppe sind. Relativ ahnungslos sind einstweilen auch noch die beiden neuen Geschäftsführer aus West- Berlin bzw. Westdeutschland: Knop und Schlichting, die aber jetzt schon auf Distanz zu Hegeles Asiatisierungsideen sowie zu Binningers Konzept gegangen sind. Und schließlich gibt es da auch noch eine von und mit alten Narva-Kadern gegründete GmbH namens »LBT«, ein Außenhandelsunternehmen mit Sitz im neuen Heimelektrik-Haus, von denen die Narva-Geschäftsführung bei der Gründung behauptete: »Die machen den Umsatz für uns.«
Wenig ist in diesem ganzen Reigen bisher von den Narva-Mitarbeitern, die meisten sind Frauen, die Rede gewesen (als die ehemalie Frauen-Senatorin, Anne Klein, dieserhalb den Treuhand-Vorsitzenden Rohwedder um ein Gespräch bat, ließ der ihr ausrichten: Für so einen Quatsch hätte er nun wirklich keine Zeit!). Noch gar nicht ist hier von den Interessen der Konsumenten, um die sich angeblich in der freien Marktwirtschaft alles dreht, gesprochen worden: Für sie ist allein die Massenproduktion von ressourcenschonenden Langlebensdauer-Glühlampen interessant — diese halten über 40 Jahre, wurden vom Finanzsenat als »volkswirtschaftlich wertvoll« eingestuft, bekommen wahrscheinlich demnächst den »blauen Engel« vom Umweltbundesamt und wurden jüngst vom Umweltminister Töpfer dafür hingestellt, »daß die Industrie sehr wohl abfallvermeidende Verpackungskonzepte entwickeln und realisieren kann«. Von da aus gesehen, ist Binningers Tod ein großer Verlust, auch wenn seine Frau und seine Mitarbeiter versichern: »Wir mache weiter!«. Außerdem war der Verstorbene so intelligent, unangeberisch und sympathisch, daß er eine wirkliche Ausnahmeerscheiung in den gesamtdeutschen Wirtschaftskreisen war. In der alten DDR fragten die Ermittlungsbehörden (und dazu gehörte auch das 'N.D.‘) immer mal wieder »quo vadis?» Jetzt müssen sie sich fragen: »cui bono?« — in diesem Fall: Wem nützte der Flugzeugabsturz bzw. steht der Topd Binningers in irgendeinem Zusammenhang mit seinem Engagement im Berliner Glühlampenwerk (BGW) und wenn ja, warum tut niemand etwas dagegen?
Die 'Berliner Morgenpost‘ sprach von einem »Rätsel um den Todesflug« und die 'Bild‘-Zeitung schrieb gar: »Es gibt Dinge im Leben, die können nicht nur bloßer Zufall sein.« Die Kollegen des Schweineblattes hatten nämlich im Zusammenhang mit Dieter Binningers Tod etwas herausbekommen, wofür sie allen Respekt verdienen: Der Erfinder hatte vor seiner Langlebensdauerglühlampe die »Ku'damm-Uhr« — an der Ecke Uhlandstraße — gebaut (siehe dazu taz vom 9.3.). Die sieben Meter hohe Mengenlehre-Uhr hatt er auch als Miniatur-Ausgabe in Serie herstellen lassen, eine davon besaß Jutta Melcher- Andric (51), Betriebsprüferin beim Wirtschaftssenator Meisner. Und diese ihre Büro-Uhr blieb just in dem Moment, als Binninger im Todesstreifen bei Helmstedt abstürzte, stehen: »Plötzlich leuchteten alle Lämpchen auf. Fünf Jahre lief die Uhr reibungslos«, so Melcher-Andric, der dabei »heiß und kalt« geworden war. Als saubere Journalisten müssen wir uns angesichts dieses »mehr als bloßen Zufalls« fragen, führt die Spur des Verbrechens, so es denn überhaupt eines ist, in den Wirtschaftssenat? Oder wollten die Springer-Kollegen uns — der Öffentlichkeit — dies nur nahelegen? Um etwa von eine anderen Spur abzulenken? Fragen über Fragen, die sich nicht nur den Ermittlungsbehörden stellen. Wir werden uns ebenfalls bemühen, mehr Licht in das Dunkel zu tragen. Den Lesern dieses Textes ist hoffentlich jetzt schon klar geworden, was dieser Fall mit »Berlin-Kultur« — ja, mit der Kultur eines ganzen Gesellschaft — zu tun hat, und daß die Ausbreitung und Diskussion seiner einzelnen Aspekte ganz entschieden auf genau diesen Seiten der Zeitung zu geschenen hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen