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Alliierte übergeben Gerichtsgebäude

■ In das ehemalige Kontrollratsgebäude am Kleistpark zieht wieder das Kammergericht ein/ 1944 inszenierten Nazis im Plenarsaal ihre Schauprozesse/ 1970 begann dort die Vier-Mächte-Konfrenz

Schöneberg. Die vier nackten Fahnenstangen am Balkon über dem Eingangsportal erinnern noch daran, daß im alliierten Kontrollratsgebäude einst alle vier Mächte vertreten waren. Doch schon 1948 zogen die Sowjets aus dem Kontrollrat aus — und jetzt haben auch die restlichen drei Alliierten ihre Koffer im Gebäude am Schöneberger Kleistpark gepackt. Am 1. März gaben sie das nach dem Krieg beschlagnahmte Gebäude der Berliner Justiz zurück. Justizsenatorin Jutta Limbach besuchte gestern den Neobarock-Bau, in den das Kammergericht einziehen wird.

Die SPD-Senatorin wertete den gestrigen Montag als einen großen Tag in der Berliner Justizgeschichte. Das Kammergericht, für das das Gebäude 1909 im ehemaligen botanischen Garten am Kleistpark gebaut worden war, könne endlich wieder zurückziehen. Derzeit ist Berlins höchstes ordentliches Gericht, daß in anderen deutschen Städten schlicht Oberlandesgericht genannt wird, in Berlin über vier Stellen verteilt. In der Witzlebenstraße sollen Richter im Keller arbeiten müssen, weil es woanders keinen Platz mehr für sie gäbe, erzählte gestern Kammergerichtspräsidentin Gisela Knobloch. Eng sei es auch beim Ausbildungsreferat im Ku'damm-Karree. Limbach möchte, daß im alten Kontrollratsgebäude die Staatsanwaltschaft mit einzieht — Platz wäre unterm Dach. Der Landeskonservator müßte den Vorschlag vorher prüfen.

Schauplatz internationaler Geschichte war der Prachtbau zuletzt 1970. Am 26. März begann dort die Vier-Mächte-Konferenz, auf der der künftige Status Berlins geklärt wurde. Anderthalb Jahre später unterschrieben die Außenminister der Alliierten im Plenarsaal das Abkommen, das vor allem den Status West- Berlins verbesserte und zur Entspannung zwischen den Militärblöcken beitrug. Ansonsten diente das Gebäude nach dem Auszug der Russen seit 1948 nur noch der alliierten Luftsicherheit, die nicht alle der 440 Räume genutzt hatte.

Anfang des Jahrhunderts hatte sich der Staat Preußen zu dem Neubau entschlossen, weil das Kammergericht auf Grund von Raumnot schon in Mietshäusern unterkommen mußte. Der Balkon im Plenarsaal, von dem der preußische König Prozesse verfolgen konnte, ist heute noch erhalten. Der Majestät muß dort oben manchmal ziemlich heiß geworden sein — direkt unter dem Balkon ist ein Kamin.

In dem Plenarsaal inszenierten die Nationalsozialisten 1944 einen ihrer größten Schauprozesse. Roland Freislers Volksgerichtshof versuchte damals die Männer, denen am 20. Juli 1944 ein Anschlag auf Hitler mißlang, unter entwürdigendsten Bedingungen den Prozeß zu machen. Die Angeklagten mußten ihre Hosen festhalten, weil ihnen die Gürtel absichtlich weggenommen worden waren — mit versteckten Kameras wurde die Propagandaveranstaltung gefilmt. Justizsenatorin Limbach wies gestern mehrmals darauf hin, daß der Volksgerichtshof seinen Sitz nicht in dem Gebäude, sondern in der Bellevuestraße hatte. Für den Prozeß gegen die Widerständler des 20. Juli seien Freisler die Räumlichkeiten in der Bellevuestraße jedoch zu klein gewesen.

Die Renovierung des Gebäudes wird vermutlich mehrere Millionen Mark Kosten. Zur Zeit gibt es in dem Riesenbau noch nicht einmal Telefon — die Alliierten hatten ihr eigenes Netz. Teile des Kammergerichtes sollen so schnell wie möglich umziehen, erklärte Limbach. Ein einziger Mitarbeiter des höchsten ordentlichen Gerichts verrichtet bereits seit 1. März seinen Dienst vor Ort — ein Wachtmeister. diak

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