piwik no script img

Hunger als Waffe in Afrikas ältestem Krieg

Im umkämpften Eritrea bahnt sich eine erneute Hunger- und Flüchtlingskatastrophe an/ Äthiopiens Regierung hat die Kontrolle über das Land weitgehend verloren/ Erst nach monatelangem Tauziehen konnten die Vereinten Nationen erste Hilfslieferungen nach Eritrea bringen  ■ Von Ulrich Stewen

Tausende von Menschen füllten die Straßen um den Hafen, tanzten und sangen, als am 8. Januar die „Far Suez“ mit 10.000 Tonnen Getreide in Massawa anlegte. „Wir wollen Frieden“, stand auf den Transparenten und „Willkommen World Food Program“. Seit langem wohl war ein Schiff in der eritreischen Hafenstadt nicht so sehnlich erwartet worden.

Dieser ersten Hilfslieferung waren monatelange Verhandlungen zwischen WFP, dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen, und den Kriegsparteien vorangegangen. Fast ein Jahr war verstrichen, seit die Unabhängigkeitsbewegung von Eritrea (EPLF) die Hafenstadt am Roten Meer eingenommen hatte und für Hilfslieferungen öffnen wollte. Doch wochenlange Bombardements durch die äthiopische Luftwaffe stoppten die Pläne zunächst. Im Ausland kam der Verdacht auf, Massawa könne erst nach aufwendigen Reparaturen angelaufen werden. Auch schienen internationale Hilfsorganisationen abzuwarten, ob sich die militärische Lage nicht doch noch zugunsten des äthiopischen Regimes wenden würde, und vermieden ängstlich jeden Kontakt mit der EPLF. Doch schon damals zeichnete sich ab, daß Eritrea erneut einer schweren Dürre entgegenging — richtiger: daß die Dürre des Vorjahres anhalten und noch mehr Opfer kosten würde.

Zum Beispiel Abeba Tsegai. Die 25jährige Frau stammt aus einem kleinen Weiler im Süden Eritreas. Ein paar Ziegen waren einmal ihr Besitz, genug, um zumindest ein Leben ohne Hunger zu fristen. Als der Regen im vergangenen Jahr erneut ausblieb, starben die Tiere, und Abeba Tsegai blieb lediglich die Kleidung, die sie auf dem Leibe trug. Ihr Mann machte sich auf, um irgendwo Arbeit zu finden. Seither hat sie nicht mehr von ihm gehört. Der Hunger zehrte die junge Frau aus, bis sie nur noch 56 Pfund wog und schließlich ins Krankenhaus von Adi Caieh gebracht werden mußte. Wäre nicht ihr starker Überlebenswille, die Ärzte hätten die Tuberkulosekranke längst aufgegeben. Manchmal, wenn sie die beängstigende Stille des Krankenzimmers nicht mehr ertragen kann, versucht sie einen kurzen Spaziergang. Jeder Schritt bedeutet ungeheure Anstrengung. Doch das gibt ihr die Gewißheit, noch nicht am Ende ihrer Kräfte zu sein.

Im Oktober vergangenen Jahres kamen erstmals Vertreter der EPLF mit Gesandten Äthiopiens in Washington zusammen, auf Initiative der US-Regierung. Die eritreische Seite nutzte die Gelegenheit, auf die Lage der Dürreopfer hinzuweisen. Internationale Hilfsorganisationen beklagten sich unterdessen bei beiden Seiten über die Hürden, die einer Versorgung der Dürreopfer mit Nahrungsmitteln im Wege stünden. Die Dürre in Eritrea zeitigte immer schlimmere Folgen.

Zum Beispiel Gadem Gifrit. 29.000 Flüchtlinge leben in diesem Lager im Norden des Sudan. Es war Mitte der achtziger Jahre eingerichtet worden, als die anhaltende Trockenheit bereits Tausende aus Eritrea vertrieb und sie auf der Suche nach Nahrung in das Nachbarland kamen. Drei Wochen dauerte der Fußmarsch, und viele hatten Gadem Gifrit nicht mehr erreicht. Die australische Krankenschwester Sandra Heany zählte zu den ersten Ausländerinnen, die hier Hilfe leisteten. Sie erinnert sich an die frühen Jahre, als es darum ging, ein kleines Gemeinwesen aufzubauen. Lebensmittel wurden ausgegeben, die Bewohner legten Gärten an und schafften es, einen Teil ihrer Nahrung selbst anzubauen. Sanitäre Anlagen verbesserten die Hygiene, eine kleine Hühnerfarm sicherte den Bewohnern zuweilen sogar eine Fleischration. Das Auskommen war nahezu gesichert.

Jetzt steht Gadem Gifrit wieder vor einer ungewissen Zukunft. In den letzten drei Monaten sind 9.000 neue Flüchtlinge aus Eritrea hier angekommen, in der Mehrzahl Frauen und Kinder. Darauf war das Lager nicht vorbereitet. Doch alle werden aufgenommen.

Der Krieg um Eritrea währt nun schon seit fast dreißig Jahren. Wenige Monate vor der Annexion der mit Äthiopien föderierten ehemaligen italienischen Kolonie Eritrea im November 1962 hatte der bewaffnete Widerstand gegen die drohende Vereinnahmung begonnen. In den vergangenen Jahren hat die EPLF deutlich an Terrain gewonnen und die äthiopische Armee auf einen Korridor um die eritreische Hauptstadt Asmara zurückgedrängt. Die Einnahme der Hafenstadt Massawa im Februar 1990 durch die EPLF hat der äthiopischen Armee eine strategisch kaum verzichtbare Position entrissen. Lediglich mit der Hafenstadt Assab im äußersten Süden Eritreas hält das Regime des Oberstleutnants Mengistu Haile Mariam einen Zugang zum Roten Meer. Die Tage Eritreas als 14. Provinz Äthiopiens scheinen gezählt.

Innerhalb Eritreas machten sich schon vor Monaten immer mehr Menschen auf, die Hungersgebiete zu verlassen und den Bombardierungen der Städte durch die äthiopische Luftwaffe zu entgehen. Allein im Süden Eritreas waren zeitweise 40.000 Menschen auf der Flucht.

Derweil nimmt die Lage in der von Äthiopien gehalteten Hauptstadt Asmara tragische Ausmaße an. Die Nahrungsvorräte sind verzehrt, Trinkwasser ist gefährlich knapp. Die Militärs zwingen die Bevölkerung, Lebensmittel herauszugeben, und verwehren ihr, die Stadt auf der Suche nach Eßbarem zu verlassen. Das Gerücht geht um, das Militär werde die Stadt ausradieren, bevor sie in die Hände der eritreischen Unabhängigkeitsbewegung falle. 280.000 Bürger zählt Asmara, hinzu kommt eine unbekannte Zahl von Flüchtlingen und rund 120.000 Soldaten der äthiopischen Garnison.

Überlandtransporte, etwa von der Hafenstadt Assab, sind seit Monaten nicht mehr möglich, da das Gebiet zwischen beiden Städten nicht mehr von Äthiopien kontrolliert wird. Lediglich über eine Luftbrücke, die zeitweise von der UNO unterhalten wurde, brachte man Güter für die Zivilbevölkerung nach Asmara, während die Regierung in Addis Abeba über eigene Kanäle vornehmlich Nachschub fürs Militär und neue Soldaten in die Stadt brachte.

Im November zeichnete sich ab, daß eine erste Schiffsladung mit Hilfsgütern des Welternährungsprogramms kurzfristig nach Massawa geliefert werden könnte. WFP-Direktor James Ingram unterbreitete beiden Kriegsparteien einen Elfpunktevorschlag, in dem die Bedingungen einer Vereinbarung aufgelistet waren. Nach einigem Zögern stimmte Addis Abeba der Vereinbarung zu, die EPLF hatte ihr grundsätzliches Einverständnis bereits erklärt. Es wurde festgelegt, daß die Hälfte der Ladung für die ERA bestimmt sei und die andere Hälfte von WFP-Personal in von Äthiopien kontrollierten Gebieten verteilt werden. Künftig werde die Zuteilung vom Bedarf der jeweiligen Seite abhängig gemacht.

Als die „Far Suez“ in Massawa eintraf, brachten Lastwagen und Sattelschlepper unter UNO-Flagge einen Teil der Nahrungsmittel in das 120 Kilometer entfernte Asmara, während Fahrzeuge von ERA Getreide aufnahmen, um es zu den Verteilungszentren in den EPLF-kontrollierten Gebieten zu bringen.

Drei Wochen später, am 31. Januar, erreichte die „Far Suez“ erneut Massawa, diesmal mit nahezu 12.000 Tonnen Getreide an Bord. Für die Bevölkerung Eritreas nicht mehr als ein Hoffnungsschimmer, denn der größte Teil des Landes kann von Massawa aus nicht erreicht werden, und die Vorräte an Nahrungsmitteln werden Ende März erschöpft sein. Bisher gibt es keine Aussicht auf Nachschub.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen