piwik no script img

Unbürgerliche Anforderung ans Zuhören

■ Dacapo-Tagung mit Konzerten: „JETZT das Streichquartett“ bietet streitbare Musik und Diskussionen vom 22. bis 24. März

1980. Die Uraufführung von Luigi Nonos Streichquartett Fragmente — Stille, An Diotima setzt eine Kontroverse in Gang, die nach einer Antwort auf viele Fragen sucht. Die Tatsache, daß der Kommunist Nono sich der vermeintlich zutiefst bürgerlichen Gattung „Streichquartett“ widmet, ist fast ein größerer Affront als die ehemals radikale Politisierung in seiner Musik. Ist das Steichquartett ein Wendepunkt in seinem Schaffen? Nono, sonst um wortreiche Erklärungen zu seinen Werken nie verlegen gewesen, hüllt sich in Schweigen. Wie seine Musik. Fragmente — Stille, An Diotima ist Musik, die aus dem Schweigen lebt.

Am Wochenende vom 22. bis 24. März greift die projektgruppe neue musik gemeinsam mit DACAPO, dem Senator für Bildung, Wissenschaft und Kunst und Radio Bremen das fragenreiche Thema Streichquartett auf. Luigi Nono stand und steht ja mit seinem Quartett nicht allein: In den vergangenen 20 Jahren haben viele KomponistInnen diese Gattung für sich entdeckt. Gehen sie nun alle auf konservativen Pfaden? Oder ist diese Entwicklung gar eine Reaktion der heiß diskutierten Postmoderne?

“... mit innigster Empfindung“ steht in Nonos Partitur. Und womöglich gibt diese Anmerkung viel mehr Aufschluß über den künstlerischen Standort als die bohrende Gretchenfrage „Quo vadis, Nono?“ Weit ab von jeglicher „Schwarz-Weiß-Malerei“ und vor allem wertender Schlagworte birgt doch “innigste Empfindung“ die Freiheit in sich, Musik ganz persönlich zu erleben. Und dennoch: Warum gerade ein Streichquartett?

Wenn Goethe das Streichquartett einst als “Unterhaltung von vier vernünftigen Leuten“ beschreiben hat, so läßt sich der Sinn dieses Ausspruchs durchaus auf die HörerInnen übertragen: Keine andere Gattung läßt so viel Selbständigkeit und Individualität in den einzelnen Stimmen zu wie das Streichquartett — warum sollte das nicht auch eine (inzwischen völlig unbürgerliche) Aufforderung an die Art des Zuhörens sein?

Unter dem Motto „... mit innigster Empfindung...JETZT das Streichquartett“ werden eine Tagung und, an verschiedenen Orten, Konzerte stattfinden, die vor allem mit Vorurteilen aufräumen wollen. Dazu gehört das Knacken von Gegensätzen, die eigentlich zu nichts anderem dienen als für ästhetische Kaminreden: Nicht nur, daß die eifrige Problematisierung vom Verhältnis „Tradition und Moderne“ in der Musik potentiellen HörerInnen den Gang in ein Konzert mit Neuer Musik erschwert — seitdem die Postmoderne als kriterienarmes Etikett immer dann auf der Zunge zerschmilzt, wenn man sonst nichts zu sagen hat, sind die Kunstdiskussionen um einen Konflikt reicher. Die sinnliche Erfahrbarkeit bleibt dabei meistens zweitrangig.

Bei der Tagung “JETZT das Streichquartett“soll hingegen der Versuch gemacht werden, die Diskussionen und die Hörerlebnisse miteinander zu verbinden. Eine Chance, theoretisch entwickelte Kriterien unmittelbar in klingender Musik wahrzunehmen — oder zu verwerfen. Und das Ganze kommt nicht aus der „Konserve“, sondern wird nach Bedarf vom Anwesenden Leonardo-Quartett gespielt.

Langfristig könnte aus so einem Projekt eine völlig neue Struktur der gesellschaftlichen Institution „Konzert“ entstehen, weil veränderte Präsentationsformen nicht nur das sinnliche Erleben beinflussen, sondern auch eingefahrene Publikumsstrukturen aufbrechen können. Daher sieht die projektgruppe neue musik in dieser Veranstaltung nicht nur ein einmaliges Ereignis, sondern sie ist der Testballon für ein zu gründendes überregionales Institut für Neue Musik in Bremen. Ulrike Brenning

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen