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»Du« würd' keiner mehr sagen

■ Lufthansa hat auf Flughafen Schönefeld Werft in Betrieb genommen/ 460 ehemalige Mitarbeiter der Interflug überholen Boeings 737/ Lufthansa macht mit Niedriglöhnen Millionen-Coup

Schönefeld. Beim ehemaligen Arbeitgeber Interflug habe man zum Abteilungsleiter noch gesagt »Du, dat eilt doch nicht«, erzählt Manfred Neumann. Der 49jährige ist einer von 460 Technikern, die die Lufthansa von der alten DDR-Fluggesellschaft übernommen hat und seit diesem Monat die erste Boeing 737 auf Vordermann bringen. Heute werde in den Lufthansa-Hallen auf dem Schönefelder Flughafen der Abteilungsleiter gesiezt und die Bemerkung, daß etwas nicht eilen würde, verkneife man sich, sagt der gelernte Sattler, der in den frisch geweißten Werkstatträumen Kabinenwände mit brauner Plastikfolie überklebt.Geändert habe sich auch das Verhältnis zu den Kollegen, die bei Interflug weiterarbeiten. »Man geht Ihnen aus dem Weg«, berichtet Neumann bedrückt. Als er zusammen mit den anderen 460 Technikern im August letzten Jahres von der Deutschen Lufthansa AG übernommen wurde, habe es böse Worte gegeben. »Ihr schmeißt euch den Kapitalisten an die Brust«, hätten die gesagt, die bleiben mußten und heute um ihre Arbeitsplätze bangen. Wenn sie gekonnt hätten, vermutet der Sattler, »wären die bei Interflug auch weggegangen«. Neumann verdient 1.400 Mark netto und trotz des geringen Lohnes macht ihm das Arbeiten Spaß: »Auf einmal haben wir alles, was wir zum Reparieren brauchen.«

Neumann hat Glück im Unglück. Weil der Realsozialismus zusammenbrach, hätte er bei Interflug so oder so Abschied nehmen müssen. Weil aber der Realsozialismus zusammenbrach, konnte die Lufthansa plötzlich auch nach Leipzig, Dresden und Berlin fliegen. Deshalb rückte die kapitalistische Fluggesellschaft von ihrem ursprünglichen Plan ab und musterte 38 Boeings 737 (Marktwert jeweils 10 bis 12 Millionen Mark) nicht aus. Um die Maschinen zu überholen, mußten allerdings Arbeitskräfte her. Und die gab es schon — bei Interflug. In Hamburg wurde das meist gut ausgebildete Personal auf der größten Werft der Lufthansa (6.250 Mitarbeiter) weitergebildet.

Durch die in den neuen Bundesländern üblichen Niedriglöhne macht die Luftfahrt-AG (51,6 Prozent des Aktienkapitals hält der Bund) einen Millionen-Coup. In Berlin-Schönefeld verdient ein Techniker um die 1.800 Mark brutto. Sein Kollege in Hamburg bekommt für die gleiche Arbeit etwa das doppelte. Eine Grundüberholung einer Boeing 737 ist in der Hauptstadt an der Spree deshalb eine dreiviertel Million Mark billiger als in der Hansestadt an der Elbe. Das lohnt sich — hundert »737« sollen in Schönefeld grundüberholt werden.

20 Millionen Mark sind bereits in den Umbau der Hallen und in die Werkstätten in Schönefeld geflossen, damit die Großreparaturen durchgeführt werden können. Zur Zeit steht eine Boeing 737 im Dock, die nach der niedersächsischen Stadt Verden benannt wurde. Das Dock, eine Konstruktion aus gelblackierten Stahlträgern, erinnert an einen überdimensionalen Einspannbock und erweckt den Eindruck, als würde gerade eine unberechenbarer Riesenvogel gebändigt werden.

Zur Zeit arbeiten neben den 460 ehemaligen Interflüglern auch 60 Mitarbeiter aus Hamburg, beraten die »Neuen« und überprüfen die Arbeiten. Die Werft im Süden Berlins ist mit den über 500 Technikern die drittgrößte Lufthansa-Werft in Deutschland. Auf dem Frankfurter Flughafen sind 4.000 Mitarbeiter mit dem Überholen von Flugzeugen beschäftigt. Dirk Wildt

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