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Exempel an malischer Beschneiderin statuiert

Pariser Schwurgericht verurteilt Afrikanerin zu fünf Jahren, weil sie sechs Mädchen beschnitten hatte/ Bisher höchste Strafe  ■ Aus Paris Bettina Kaps

Der Brauch der Klitoris-Beschneidung soll endgültig aus Frankreich verbannt werden. Das Pariser Schwurgericht hat sich jetzt zu hartem Durchgreifen entschlossen. Die drei Richter und neun Geschworenen verurteilten letzte Woche eine 48jährige Malierin zu fünf Jahren Gefängnis, weil sie Anfang der 80er Jahre sechs Töchter eines malischen Ehepaars beschnitten hatte. Die Eltern der Mädchen bekamen fünf Jahre auf Bewährung. Die Strafen fielen weitaus höher aus als in den vier vorangegangenen Beschneidungsprozessen und übertrafen sogar die Forderung der Staatsanwältin.

Damit hat die französische Rechtsprechung einen enormen Wandel vollzogen: Zu Beginn der 80er Jahre, als in europäischen Einwanderungsländern die ersten Fälle von Klitoris- Beschneidungen bekannt wurden, waren die Richter völlig verunsichert und neigten zur Toleranz. Zunächst ordneten sie die Tat als „unterlassene Hilfeleistungen“ ein. Zu dieser Zeit, nämlich 1982 und 1983, wurden auch die Mädchen der Eheleute Coulibalys beschnitten. Der Fall kam 1986 vor eine Strafkammer, doch das Gericht erklärte sich für inkompetent. Daraufhin rief der öffentliche Ankläger das für schwere Verbrechen zuständige Schwurgericht an. Nur langsam setzte sich in der französischen Justiz die Auffassung durch, daß die Beschneidung nicht als exotischer Brauch verharmlost, sondern als Verstümmelung bekämpft werden muß. Seither wird der Ritus als „Gewalttat gegen Kinder“ eingestuft und kann daher mit bis zu 20 Jahren Gefängnis bestraft werden. Die Richter machten also einen Lernprozeß durch. Zeit zum Umlernen verlangten die Verteidiger nun auch für die Angeklagten, zumal das Ehepaar Coulibaly seine jüngste Tochter nicht mehr beschnitten hat. Auch Aramata Keita, die Beschneiderin, fügt sich seit 1984 den französischen Gesetzen.

„Wie kann man verlangen, daß diese Menschen, die nicht lesen und schreiben und kaum Französisch können, damals schon ein besseres Bewußtsein haben sollten als die Richter“, argumentierte der Verteidiger von Frau Keita. „Wie kann man ihnen vorhalten, sie hätten wissen müssen, daß sie sich eines Tages vor Gericht verantworten müßten? Wir wußten es zur Zeit ihrer Tat doch selbst nicht.“

Es war das erste Mal, daß neben den Eltern auch eine Beschneiderin vor Gericht stand. Aramata Keita war der Vorladung freiwillig gefolgt. An ihr wurde das Exempel statuiert. „Alle afrikanischen Familien sollen von heute an wissen: Die Beschneidung von Mädchen ist ein äußerst riskanter Broterwerb geworden,“ argumentierte die Staatsanwältin. „Beschneiderin“ ist jedoch kein Beruf wie jeder andere, den man frei wählen kann; die Beschneidung von Mädchen ist die besondere Aufgabe von Angehörigen der Kaste der Schmiede oder der früheren Sklaven, zu der auch Aramata Keita gehört. „Die Angeklagten taten, was sie für das Wohl der Mädchen hielten“, betonen die Verteidiger, die das Urteil für äußerst ungerecht halten. „Seitdem sie über die französische Rechtslage aufgeklärt wurden, haben sie sich nichts mehr zuschulden kommen lassen. Doch ihre Lebensbedingungen, Moralvorstellungen und der soziale Druck, unter dem sie gehandelt haben, das interessierte bei diesem Verfahren gar nicht.“ Im Sommer steht Frau Keita erneut vor Gericht wegen weiterer Beschneidungen, die sie 1982 und 83 ausgeführt hat.

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