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Zur Visite bei Harvey Cardialis

■ Künstlicher Herzpatient zur Weiterbildung im Klinikum Buch angekommen/ Er simuliert selbst seltene Krankheiten blendend

Buch. Unzählige Ärzte der alten Bundesländer haben ihn bereits untersucht und seit Anfang dieser Woche ist er für zwei Wochen Patient im Ostberliner Klinikum Buch: Harvey Cardialis, ein junger Mann aus Plaste. 25 verschiedene Herz-Kreislauf- Erkrankungen plagen ihn, für Mediziner und Studenten das ideale Modell.

Harvey simuliert alle seine Krankheitsbilder lebensecht, er fingiert Atmung, Blutdruck, Herzgeräusche und Puls mittels eines Elektromotors. Ein Tonband ahmt die entsprechenden Geräusche nach. Programmiert sind sämtliche Krankheiten auf einer Magnetbandkassette, so daß Harvey per Knopfdruck einen Herzinfarkt bekommen, an einer Herzmuskelerkrankung oder an Bluthochdruck leiden kann. Dazu erhält der diagnostizierende Arzt auch umfangreiches Material zur Krankengeschichte, Röntgenbefunde, EKG-Werte, Echokardiogramme und Laborwerte. Auch Hinweise zur Therapie werden im Rahmen dieser Tests gegeben.

Für den Chefarzt der Kardiologischen Klinik in Buch, Prof. Dr. Karl Joachim Rostock, stellt dieser künstliche Herzpatient, der in den USA entwickelt wurde, ein optimales Modell für die medizinische Aus- und Weiterbildung dar. Herzgeräusche seien nicht nur an markanten Punkten zu hören, hunderte eingebaute Pulsgeber vermitteln vielmehr Töne, die sich ebenso fließend wie beim Menschen ändern, erklärte der Kardiologe gegenüber der Nachrichtenagentur 'adn‘.

Besonders wichtig sei dies für Studenten, die nicht alle Tage, die Chance haben, Gelerntes am Krankenbett zu trainieren und anzuwenden. Herztöne bei unterschiedlichen Krankheiten zum Beispiel hören sie ansonsten meist nur per Tonband im Hörsaal.

Gleichermaßen interessant sei Harvey aber auch für den erfahrenen Spezialisten, vor allem wegen seiner selten vorkommenden Krankheitsbilder. So simuliert der Computermensch nicht »nur« verschiedene Infarkte, sondern auch Herzfehler oder eine Verdickung der Herzmuskelmasse.

25 Harveys, benannt nach dem Engländer, der 1628 den Blutkreislauf entdeckte, gibt es weltweit. Einer seiner Brüder lebt in Frankreich, die anderen in den USA. Ein paar von ihnen seien an dortigen Universitäten fest stationiert, was sich Professor Rostock auch für Berlin wünschte. Doch eines der manuell gefertigten Modelle koste 1,5 Millionen Mark — und so sei man froh, daß das Pharmaunternehmen Upjohn aus dem baden-württembergischen Heppenheim es kostenlos zur Verfügung stellt.

Viele Spezialisten aus Berliner Kliniken wie auch niedergelassene Ärzte und Studenten haben sich schon jetzt in Buch zu einer Visite beim Kunstpatienten Harvey angemeldet. Noch bis zum 15. März wird zweimal täglich zur Weiterbildung eingeladen. Dann wechselt der seltene Patient (oder: eingebildete Kranke?) erneut sein Krankenbett und zieht weiter nach Jena, Mannheim, Erlangen und Bremen. Im November wird er die Charité konsultieren, dann vielleicht schon als sprechender Patient mit weiteren Krankheiten. adn

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