»...sie müssen begreifen: Es geht nicht um den Schutz der CDU«

■ Auszug aus den Protokollen der Untersuchungskommission zu den Vorgängen am 7. und 8. Oktober: Befragung von Offizieren der Volkspolizei am 14. März 1990

Zielske (Kommission): Wir haben gemeinsam mit dem Präsidenten der VP Berlin abgestimmt, daß wir heute den Tag nutzen wollen für ein Gespräch zwischen unserer Kommission und Ihnen, die Sie in der Volkspolizei verantwortliche Funktionen einnehmen.

Was hat die VP selbst getan, um die Ereignisse vom 7. und 8. Oktober auszuwerten?

Moche (VP): Eigentlich bin ich einer derjenigen, die am meisten belastet sind aufgrund der Ereignisse am 7. und 8. Oktober. Und Sie wissen genauso wie ich, daß gegen insgesamt 18 Angehörige unserer Inspektion Prenzlauer Berg bisher Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sind. Und es nimmt noch kein Ende. Meine persönliche Auffassung ist, daß die Kommission insgesamt objektiver und sachlicher geworden ist. Aber ich bitte Sie wirklich, sich hineinzuversetzen auch in die Rolle derjenigen jungen Volkspolizisten, die auf der Straße gehandelt haben, die vor Bürgern standen, die eine Schlinge an einem Straßenschild aufgehangen haben mit der Forderung, ihr seid die ersten, die wir dort aufknüpfen werden. Deswegen gehe ich auch voll mit Ihnen, Herr Professor Schmidt, mit, jawoll, wir müssen in der VP den ganzen Fragen der Psychologie mehr Aufmerksamkeit schenken.

Seit dem 9. 10. sind alle Leiter, sind wir dabei, diesen Umdenkungsprozeß vorzunehmen. Man muß uns aber auch ein bißchen Zeit lassen. Immerhin führe ich über 800 Angehörige. Aber wenn es schon dazu kommt, wie beim letzten Fußballspiel, daß die Angehörigen der Bereitschaftspolizei sich äußern und sagen, wir sind zwar hier, aber wir werden nicht aktiv handeln, obwohl das aktive Handeln gefordert war im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen der Skinheads, dann brauche ich diese Volkspolizisten nicht.

Zum neuen Demokratieverständnis in der VP. Ich war gestern mit dem Leiter der Inspektion Pankow beim Polizeidirektor in West-Berlin. Wir haben eine ganze Reihe von Dingen, die wir auch notwendigerweise in die Köpfe unserer Angehörigen hineintragen müssen, um eben dieses neue Demokratieverständnis auch zu erreichen. Ich möchte das nur an einem Beispiel aus unserem Stadtbezirk demonstrieren. Wir hatten einen Parteitag der DSU, der nicht bekannt war, im Planetarium. Da hat sich folgendes ereignet. Etwa 60 Bürger der linken Szene legen sich mit vermummten Gesichtern vor den Eingang, um dem Herrn Diepgen und dem bayerischen Finanzminister den Zutritt zu verwehren. Die VP mußte aus dem kurzen Halt heraus handeln und die Sicherheit, den Schutz des Lebens und der Gesundheit aller an diesem Parteitag teilnehmenden Kräfte garantieren, ohne daß wir vorbereitet waren. 10 Funkwagen wurden sofort zum Ort kommandiert, wir haben sofort eine Einsatzreserve geschaffen, die zum Einsatz kam. Und wir haben ohne Gewaltanwendung gehandelt! Vor sechs Monaten, ich sage das hier ganz ehrlich, vor sechs Monaten hätten wir wahrscheinlich den Knüppel genommen. Das ist ein Umdenkungsprozeß. Es wurde kein Knüppel angewendet. Wir waren aber gezwungen, 11 Personen zu einem Fahrzeug wegzutragen, auch zuzuführen und zu befragen. Es lief alles ordnungsgemäß ab. Und jetzt kommt folgendes. Ich bekomme eine Eingabe. Eine Eingabe, wo ein Bürger schreibt, der zugeführt worden ist, seit wann schützt die Volkspolizei rechts vor links? Das ist das Neue bei uns in der Entwicklung! Wir müssen unsere Angehörigen jetzt so erziehen, daß sie begreifen, hier geht es nicht um PDS, CDU, Demokratischer Aufbruch, hier geht es um das Gemeinsame, um die Sicherung und den Schutz des Lebens und der Gesundheit. Was glauben Sie, wie schwer es war, die Wachtmeister und die Offiziere, die ABV-Offiziere zu überzeugen, weil sofort die Frage stand: seit wann genießt denn die CDU bei uns Privilegien?!

Letzte Bemerkung: Verfassungsauftrag. Mir hat außerordentlich gefallen, als der Chef der Volkspolizei, Generalmajor Wunderlich, auf der Zentralen ABV-Beratung ein Zitat von Goethe brachte. Ich habe mich mit Goethe noch nie beschäftigt, außer daß ich gerne in die Museen gehe, aber ansonsten habe ich mich mehr mit Lenin, Marx und Engels beschäftigt, weniger mit Goethe. Da sicherlich ist auch ein Umdenkungsprozeß bei uns erforderlich. Und da brachte er ein Zitat: Staatsdienst erfordert Liebe und Wohlsein. Ich möchte aber auch die Kehrseite hier hervorheben. Dieses Wohlsein muß auch unsere Angehörigen hier erfassen und derzeitig, und damit komme ich zum Schluß, habe ich noch nicht die notwendige innere Ruhe in mein Kollektiv hineintragen können. Da es nach wie vor weitergeht, vor einigen Tagen hatte ich 15 Ermittlungsverfahren, dann wurden es 17, jetzt bin ich bei 18 angelangt. Die Gegenüberstellung auf dem Revier 43 vor wenigen Tagen kann möglicherweise mit noch mehr Einleitungen von Verfahren verbunden sein. Und jetzt sagen meine Wachtmeister und Offiziere, alle sind amnestiert worden, vor drei Wochen, auch die Rowdys, die echten Rowdys. Wer übrig bleibt, sind wir als Volkspolizisten. Jetzt verstehen Sie mich bitte richtig. Hinter mir stehen mehr als 800 Angehörige, vor mir steht der Runde Tisch, vor mir steht die Kommission. Vor mir steht die Bevölkerung. Man muß uns auch Zeit lassen.

Letzte Bemerkung: Ich habe hier eine ganze Seite 'Berliner Zeitung‘, vor wenigen Wochen, kennen Sie alle. Kurz davor eine ganze Seite im 'Sonntag‘ unter der Überschrift: Macht das Brett auf. Vor wenigen Wochen eine Wiederholung der Fernsehsendung um die Ereignisse des 7. und 8. 10. Ich sage das mit eigenen Worten jetzt. Die Atmosphäre wird damit nicht beruhigt, im Gegenteil, sie wird weiter angeheizt. Warum eine solche Atmosphäre jetzt noch nach fünf Monaten? Und ich befürchte schon den sogenannten ersten Jahrestag dieser Ereignisse am 7. und 8. Oktober, und damit ende ich.

Nabrowsky (Kommission): Ich persönlich bedaure das auch, daß tatsächlich immer wieder einseitig die Verfehlungen von Volkspolizisten im Vordergrund stehen, während andere, die viel mehr Verantwortung haben für diese Dinge, ungestraft in der Bildzeitung berichten können, aber leider haben wir bisher jedenfalls kein Gesetz gefunden, nach dem eben solche Verantwortung auch strafrechtlich geahndet werden kann.

Gaede (Kommission): Ich wollte Ihnen sagen, Herr Moche, daß ich mit Ihren Ausführungen doch einige Schwierigkeiten habe. Ich habe Sie so verstanden, daß Sie den Umdenkungsprozeß vorantreiben wollen, indem Sie in die Köpfe der Volkspolizisten ein neues Denken pflanzen wollen. Und nun frage ich mich natürlich, wer hat denn vorher das andere und falsche Denken reingepflanzt, wenn Sie sagen, daß Sie für 800 Leute Verantwortung tragen, haben Sie es da reingepflanzt vorher? Ich denke, daß jeder Polizist für sich doch handlungs- und denkfähig ist und daß die neuen Handlungsweisen aber miteinander trainiert werden müssen.

Pettelkau (Kommission): Die Rede von Herrn Moche hat mich auch berührt. Der Punkt ist: Wir hatten ein VP-Gesetz mit einer Präambel, die ganz deutlich machte, die Polizei ist im Grunde genommen militärischen Kategorien unterstellt. Dieses Verständnis hat sie durchgehend beherrscht, bis zu den Einzelheiten, wie Befehle durchgeführt werden. Herr Moche, ich glaube es reicht nicht, ein bißchen Goethe zu lesen, es wird wahrscheinlich sehr viel mehr auf Sie zukommen, auf Sie persönlich auch. Mich hat es nicht beruhigt, was Sie bisher dazu gesagt haben. Ich verstehe, daß Sie Ihre Polizisten in Schutz nehmen. Ich verstehe aber nicht, warum Sie nicht daran interessiert sind, diese Polizisten, wenn sie denn einer Straftat überführt werden, das setze ich voraus, daß also ein fairer Prozeß stattfindet, warum Sie sich von diesen Polizisten dann nicht auch trennen möchten.

Sie haben von Rowdys gesprochen, die echten Rowdys. Es ist nicht in einem einzigen Fall nachgewiesen worden, daß einer von ihnen körperlich Polizisten angegriffen hat oder daß er geschlagen hat.

Singelnstein (Kommission): Ja. Herr Moche, Sie haben in Ihren kurzen Ausführungen mehrfach vom Erziehen gesprochen. Und gerade dieser Begriff macht mir deutlich, daß auch bei Ihnen der Umdenkungsprozeß noch nicht einmal angesetzt hat. Nehmen Sie doch bitte mal zur Kenntnis, daß Sie es mit erwachsenen Menschen zu tun haben und nicht mit Kindern, die erzogen werden müssen. Und Sie werden in Zukunft Kollegen haben, deren politisches und menschliches Spektrum von der Vereinigten Linken bis zur DSU reicht. Und das Schützen einer DSU- Veranstaltung spricht nicht für einen Umdenkungsprozeß, sondern für veränderte politische Bedingungen. Wenn Sie mich persönlich fragen, so kann ich Ihnen sagen, die einzige Reaktion, die richtig wäre von Ihnen, wäre zurückzutreten.

Ihlau (Kommission): Ich möchte sagen, daß eigentlich fast alle Kommissionsmitglieder Ihren Bericht mit Unbehagen entgegengenommen haben. Und wenn ich jetzt Ihre kategorische Forderung höre, daß das aufhören sollte, die Aufarbeitung in den Medien, da frage ich mich, ob vielleicht in einem Jahr, Sie sprachen von einem sogenannten Jahrestag, ob wir in einem Jahr soweit sind, daß wir vielleicht dann noch mal wegen Verleumdung belangt werden. Das erscheint mir sehr bedenklich.

Fischer (VP): Oberst Fischer, VP Treptow. Ich kenne das Verhalten unserer Volkspolizisten, die sind im Prinzip ein sehr sachliches, ruhiges und besonnenes Völkchen. Sie sind wenig daran interessiert, selbst in Konfrontation zu gehen, sie haben entsprechend den gesetzlichen Grundlagen ihre Pflicht zu erfüllen, und das haben sie zumindest in meinem Verantwortungsbereich vor der Wende und auch nach der Wende getan. Ich war gestern wieder bei meinen Abschnittsbevollmächtigten und habe mit ihnen die Vorbereitungsarbeiten getroffen zur Sicherung der Wahlveranstaltung am 18. März. Ich mußte immer wieder das Gleiche sagen, daß es darum geht, uns nicht politisch zu mißbrauchen, sondern daß politische Fragen mit politischen Mitteln zu lösen sind und nicht durch Gewalt. Wir handeln nur, wenn Gesetze verletzt sind und der Bürger das Recht hat auf den Schutz von Sachwerten oder auf den Schutz der Gesundheit und Würde des Bürgers. Dann haben wir einzuschreiten, und wenn es sein muß, jawoll, diesen eingetretenen Zustand, den verletzten Ordnungszustand wieder herzustellen, auch mit den Mitteln der Gewalt. Ähnlich wie das Herr Professor Surkau dargelegt hat, ich war selbst Schüler in seiner Schule und habe auch gelernt, der Staat ist das Machtinstrument der jeweils herrschenden Klasse, das haben wir unseren Leuten immer wieder beigebogen. Und wer diese Klasse verletzte und gegen Gesetze verstieß, wurde zur Verantwortung gezogen. Diese gesamten grundsätzlichen ideologischen Probleme und auch Rechtsprobleme haben sich ja nun geändert und gewandelt. Ich kann von meiner Warte aus sagen, ich war daran interessiert zu wissen, welche meiner Volkspolizisten haben zuwider Gesetz gehandelt in meinen Zuführungsräumen. Es ist mir nicht gelungen, nur einen herauszufinden, der mit seinen Mitteln seine ihm obliegenden Befugnisse überschritten hat, auch wenn man in der NBI das behauptete, das ist bis zum heutigen Zeitpunkt noch nicht geklärt. Wenn sich dieser Untersuchungsausschuß zu solchen Fragen bekannt und uns einige Hinweise gegeben hat, wo Fehler vorliegen können, dann bedanke ich mich dafür, ich habe dies sehr aufmerksam verfolgt und muß aber in die Übereinstimmung mit Herrn Moche kommen. Immer wieder das gleiche in die Massenmedien hineinzutragen, bringt uns nicht vorwärts und hemmt uns. Es wäre tatsächlich an der Zeit, darunter einen Schlußstrich zu machen und zu sagen, jawoll, wir sind bereit, uns den neuen Anforderungen zu stellen und laßt uns auch Zeit, daß wir das beweisen.

Peters (VP): Der Polizist ist ja auch ein denkender Mensch, ja, und ein fühlender Mensch. Und wenn er einen Befehl bekommt, dann muß er den ausführen, oder er kann den nicht ausführen und hat für sich dann Konsequenzen. Und diese Möglichkeit sollte man dem Polizisten einräumen, wenn jetzt wieder eine Opposition auf die Straße geht, um ihre Meinung kundzutun, daß dann gesagt wird, die passen mir nicht in den Kram, denen setze ich die Polizei auf die Fersen, die laß ich von der Straße fegen, daß eben der Polizist sagt: »Moment, das war doch schon mal gewesen, das hatten wir doch schon mal«, daß er auch dann sagen muß: »Halt, hier muß jetzt eine parlamentarische Kontrolle kommen, wir sind ja praktisch die Leute, die mit dem Bürger auf der Straße eher in Kontakt kommen als irgendein Politiker.« Da muß der Polizist auch mal nein sagen können, dieses Recht müßte ihm eigentlich eingeräumt werden. [...]