piwik no script img

Statt Maulkorb nun ein deutscher Paß

■ Ein irakischer Berliner wurde erst zum potentiellen Terroristen erklärt — und dann eingebürgert/ Anderen arabischen BerlinerInnen werden aber weiterhin wichtige Grundrechte verwehrt

Berlin. »Welcome to the club« flötete kürzlich Berlins Ausländerbeauftragte Barbara John den ausländischen MitbürgerInnen zu, die die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen wollen. Den Eintritt in den Club hatte sich Aziz H., allerdings anders vorgestellt. Seit 33 Jahren lebt der gebürtige Iraker in West- Berlin.

Vor einigen Monaten hatte der 56jährige Familienvater vom Dasein als ausländischer Mitbürger genug und beantragte die deutsche Staatsbürgerschaft. Doch statt des ersehnten deutschen Passes erhielt der Iraker am 6. Februar eine Verfügung der Berliner Ausländerbehörde, wonach ihm ab sofort jede politische Betätigung untersagt wurde. Zweimal wöchentlich habe er sich bei der Polizei zu melden. Ohne behördliche Genehmigung Berlin zu verlassen, wurde ihm ebenfalls verboten. Mit Verweis auf Paragraph 37 des Ausländergesetzes war die Verfügung mit Saddam Husseins Aufruf an seine Landsleute zu Terroranschlägen im Ausland begründet worden. Und da Aziz H. »nach vorliegenden Erkenntnissen« irakischer Staatsbürger und Mitglied der irakischen Gemeinde in Berlin ist, sei nicht ausgeschlossen, daß er sich an solchen Anschlägen beteiligen werde.

Die Brisanz dieser Erkenntnisse muß dem Referat für Staatsangehörigkeitsangelegenheiten der Innenverwaltung entgangen sein. Denn am 18. Februar, zwölf Tage, nachdem die Ausländerbehörde ihn zum potentiellen Attentäter erklärt hatte, befand die Einbürgerungsbehörde Aziz H. für würdig, Deutscher zu werden. Welcome to the club.

Einem Deutschen läßt sich nun die politische Betätigung nicht so einfach verbieten — schon gar nicht nach dem Ausländergesetz. Am 4. März erhielt Aziz H. ein lapidares Schreiben der Ausländerbehörde, die die Verbotsverfügung für gegenstandslos erklärte — allerdings erst mit Wirkung des Tages, an dem Aziz H. Deutscher wurde. Daß der Maulkorb grundsätzlich rechtswidrig war, will sein Anwalt Frank Teipel nun in einer Klage durchfechten.

Für mindestens sechzehn andere arabische BerlinerInnen sind die politischen Grundrechte weiterhin außer Kraft gesetzt. Zwar ist der Krieg am Golf zu Ende, und auch Saddam Hussein nimmt in der westlichen Medienwelt langsam wieder die Maße eines strategisch brauchbaren Durchschnittsdiktators an. In Berlin aber müssen sich AraberInnen palästinensischer und irakischer Herkunft weiterhin zweimal wöchentlich bei der Polizei melden. Andernfalls, so teilte ein Polizeibeamter einem Palästinenser mit, werde sofort ein Haftbefehl ausgestellt. Sollte er trotz des Verbots politisch tätig werden, droht ihm die Ausweisung. Wie lange der Maulkorb bestehen bleibt, weiß er sowenig wie sein Anwalt.

»Wir haben die nicht vergessen«, erklärte auf Anfrage der Pressesprecher der Innenverwaltung. In »enger Zusammenarbeit« mit dem Bundesinnenministerium würden die im Einzelfall vorliegenden Erkenntnisse geprüft. Nur weil der Krieg vorbei sei, »bedeutet das noch lange nicht ein Ende der Gefährdung«.

Trotz der massiven Einschüchterung sind mehrere der Betroffenen vor Gericht gegangen — unter anderen ein irakischer Student, der seit über zehn Jahren hier lebt und wegen Verdachts geheimdienstlicher Tätigkeit ausgewiesen werden soll. Das Verwaltungsgericht wartet nun auf neue Erkenntnisse aus Bonn, um über den Fall entscheiden zu können. Der Antrag auf Abschiebehaft wurde vom Landgericht inzwischen abgelehnt. Das Gericht befand, wie schon der Haftrichter, die vorliegenden Verdachtsmomente für zu dünn. Im Fall eines palästinenischen Studenten, dem die politische Betätigung untersagt worden war, ist vom Verwaltungsgericht zumindest der sofortige Vollzug der Maßnahme aufgehoben worden. Bis endgültig über die Recht- oder Unrechtmäßigkeit des Maulkorbs entschieden ist, darf er sich frei bewegen und politisch betätigen. Andrea Böhm

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen