EUROFACETTE: Rechtsangleichung BRD-DDR: Fehlanzeige
■ Ein Ende der Misere ist nicht abzusehen
Wie die Sieger in einem unterworfenen Land, so die Beschreibung der Bürger der ehemaligen DDR, benähmen sich die „Experten“ der BRD, wenn sie im Osten aufkaufen, übernehmen, abwickeln oder wie der „Übernahmevorgang“ gegenüber der anderen Seite sonst noch genannt wird. Die kleineren und weniger mächtigen Länder Europas sollten sich diesen Einigungsprozeß sehr genau ansehen — und daraus lernen.
Zwischen der BRD und der DDR hat sich niemand geeinigt: Hier ist das staatliche und rechtliche Modell des Stärkeren über eine in mehr als vierzig Jahren gewachsene staatliche Ordnung (in der die gesellschaftlich Stärkeren vergleichsweise schwächer waren, und die Schwächeren — wie wir heute wissen — sozial abgesichert werden konnten) übergestülpt worden. Was nicht paßte, wurde aus Verfassung, Eigentums-, Wirtschafts- und Rechtsordnung des „geeinten“ Deutschland ausgemerzt.
Die Gründe dafür, daß dies so widerstandslos geschah, lagen vor allem darin, daß diejenigen, die für die DDR die Verhandlungen führten, Motive hatten, die Interessen ihrer Bevölkerung zu verraten:
1.Sie mußten nach erfolgter „Einigung“ im neuen Deutschland ihr persönliches Fortkommen sichern. Das machte sie erpreßbar durch die Mächtigen der Gegenseite: Ihre Gegenüber würden ja diejenigen sein, die nach der „Einigung“ zu entscheiden hätten, wer was werden durfte. Kein Wunder, daß ausgerechnet jener Unterhändler der DDR, dessen Name eng mit der Beseitigung jeglicher Schutzbestimmungen für die ehemaligen DDR-Bürger verbunden ist, heute als Verkehrsminister im Bonner Kabinett dient.
2.Die DDR-Unterhändler waren aufgewachsen und sozialisiert in dem System, das untergehen sollte. Sie wußten von den Gefahren, auf die sich die DDR-Bevölkerung einlassen mußte, nur aus Schulbüchern — also faktisch überhaupt nicht. Sie kannten weder Massenarbeitslosigkeit noch die Brutalität kapitalistischer Verwertungsprinzipien noch die Lebens- und Reproduktionsbedingungen kapitalistischer Wirtschaftsverfassungen.
3.Sie akzeptierten auch nicht die nationale Souveränität des Landes, für das sie handelten. Sie sollten die DDR „abwickeln“ und verstanden es als ihre Aufgabe, die Souveränität ihres Landes so schnell wie möglich aufzugeben.
Entsprechend sieht das Ergebnis nun auch aus: die in 45 Jahren gewachsene Ordnung der DDR ist nicht überführt worden in die der BRD, sie ist ohne angepaßt zu werden untergegangen. Musterbeispiel ist das Bodenrecht.
In der DDR wurden volkseigene Grundstücke Betrieben, Organisationen oder Gemeinden in Rechtsträgerschaft überlassen. Die Rechtsträger durften Gebäude errichten, die ihnen dann auch gehörten, und waren langfristig nutzungsberechtigt wie ein Eigentümer. Man konnte erwarten, daß im „Einigungsprozeß“ solche Rechtsträgerschaften, die es in der BRD nicht gibt, in ein wesensähnliches Rechtsinstitut überführt worden wären, etwa in ein Erbbaurecht. Die Rechtsträger wären damit Erbbauberechtigte gewesen und damit Eigentümer ihrer Häuser geblieben, hätten diese weiter nutzen, verkaufen können oder im Falle der Rückgabe Entschädigungsansprüche gehabt.
Genau so aber wurde nicht „vereinigt“: Heute gibt es keine Rechtsträgerschaften mehr, sie gingen unter. Die ehemaligen Rechtsträger müssen sich nun — als hätten nicht sie ihre Häuser errichtet und die Grundstücke jahre-, jahrzehntelang bewirtschaftet — in die lange Reihe der Erwerbsinteressenten stellen. Sie wissen seit dem Einigungstag nicht, ob und wie sie in Zukunft die Grundstücke und Häuser nutzen können. Es ist dies einer der Gründe dafür, daß sich Betriebe der ehemaligen DDR so schwer bei der Anpassung an die kapitalistische Wirtschaft tun.
Weitere Folge: Grundbücher hatten in der DDR nicht dieselbe Bedeutung wie in der BRD; bei volkseigenen Grundstücken (für die Rechtsträgerschaften bestellt wurden) bedurfte es praktisch keinerlei grundbuchlicher Dokumentation. Doch nun sind die Rechtsträgerschaften nicht überführt worden, und so besteht der Zwang, sofort und überall die Eigentumslage als Voraussetzung für Investitionen grundbuchlich zu klären. Die Grundbuchämter, wegen ihrer vergleichsweisen Bedeutungslosigkeit zu DDR-Zeiten ohnehin nur schwach besetzt, müssen nun auf einen Schlag die grundbuchliche Dokumentation für 80 Prozent aller Liegenschaften klären, eine totale Überforderung mit der Konsequenz, daß derzeit faktisch überhaupt keine Eintragungen mehr stattfinden und das Problem in absehbarer Zeit auch nicht gelöst werden kann. Daraus ergibt sich aber, daß auf absehbare Zeit gerade Grundstücke nicht als Sicherungsgrundlage für Kredite herangezogen werden können — was wiederum die Mittel für Investitionen massiv einschränkt.
Die Staats- und Eigentumsordnung der DDR hat vor der Einigung sicher schlechter funktioniert als die der BRD, aber sie hat doch funktioniert. Das Ergebnis des deutschen „Rechtsangleichungs“-Prozesses: Die in den neuen fünf Bundesländern an die Stelle der alten getretene neue Staats- und Eigentumsordnung funktioniert über weite Strecken überhaupt nicht.
Ein Ende dieser Misere ist nicht abzusehen. Johannes Eisenberg
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