: Arschlöcher wie du und ich
■ »Staatskünstler — Harlekin — Prophet?« — Eine DDR-Kunst-Ausstellung im Kunstforum der GrundkreditBank
Als im Oktober 1985 die GrundkreditBank ihre neue Zentrale in der Budapester Straße bezog, waren, so es die Firmenlegende, die Wände weiß und leer. Die Banker sahen sie und dann sich an und riefen: »Bilder sollen her.« Doch nicht »irgendwelche. Eine Sammlung sollte entstehen« und die wiederum, so der Vorstandsvorsitzende der GrundkreditBank Bostelmann »sollte das Interesse der Öffentlichkeit wecken«.Auf der Suche nach der spektakulären und preiswerten »Lücke« vertraute man sich und eine Millionen DM dem Berliner Galeristen Dieter Brusberg an. Was der in fünf Jahren zusammen und in die Bank trug, ist Kunst aus der DDR und seit Mittwoch in der Budapester Straße zu besichtigen. Ein Bericht von André Meier
Vielleicht war es der Blick aus dem Firmenfenster auf das Elefantentor am Eingang zum Zoologischen Garten, der den Vorstand der GrundkreditBank auf die Idee brachte, Dieter Brusberg mit der Zusammenstellung der hauseigenen Kunstsammlung zu beauftragen. Als dieser Auftrag ausgesprochen wurde, schrieb man das Jahr fünf vor der deutschen Einheit. Die Bundesregierung bewilligte wenige Monate zuvor den zweiten Großkredit deutscher Banken für die DDR und die Lieferungen der westdeutschen Industrie in den Arbeiter-und-Bauern- Staat erreichten mit einem Umfang von fast acht Milliarden DM ihren absoluten Höhepunkt. Honecker ließ die Minenfelder an der innerdeutschen Grenze räumen und der zinslose Überziehungskredit im innerdeutschen Handel wurde von 600 auf 850 Millionen DM erhöht. Über ganz Deutschland schien die Sonne. Kunst aus der DDR war — nach dem Dokumenta-6-Auftritt der Maler Werner Tübke, Willi Sitte, Wolfgang Mattheuer und Bernhard Heisig und der von Brusberg, dem Direktor des Hamburger Kunstvereins Uwe M. Schnede, dem Kunstmagazin 'art‘ und dem Staatlichen Kunsthandel der DDR 1982 organisierten Wanderausstellung Zeitvergleich — auch im Westen gesellschaftsfähig geworden. Ihren exotischen Reiz hatte sie dabei nicht verloren.
Was lag da näher, als daß die Bank in der Budapester Straße die Herausforderung des Zoos annahm, und ihrerseits mit dem zu glänzen versuchte, was den großen Museen im Westteil der Stadt bis dato noch immer fremd, ab-art-ig und provinziell erschien. »Das Versagen der Stadt war die Chance der Bank«, so Brusberg.Glaubt man dem Vorstandsvorsitzenden Bostelmann und seinem Galeristen, so war es mehr als nur der sportliche und aufklärerische Ehrgeiz, der die Sammlung wachsen ließ.
Brusbergs im Katalogvorwort dargebrachte Begründung der Ausrichtung der Ankaufspolitik der Bank ist so kühn wie vertraut: »Aus der Unternehmensphilosophie der Bank ergab sich das Leitmotiv der Sammlung wie von selbst: Bilder vom Menschen«, denn, so der Galerist vom Kurfürstendamm, »schon beim Bau, der Planung des neuen Hauses waren Bauherrin und Architekten nicht nur funktionellen Vorgaben gefolgt. Aus der besonderen Rechtsform der Bank — der Genossenschaft — war das konsequent in den Arbeitsalltag umgesetzte Glaubensbekenntnis des Unternehmens gewachsen. Im Mittelpunkt seiner Arbeit steht der Mensch.« So ähnlich stand es auch im Statut der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands: »Das gesamte Wirken der Partei ist darauf gerichtet, alles zu tun für die Interessen der Arbeiterklasse, für das Wohl das ganzen Volkes.« Und wie Brusberg für die Bank, schlußfolgerten auch die SED- Kulturpolitiker, daß eine Kunst für den Menschen, in erster Linie Bilder vom Menschen zu liefern hat. Sie nannten es sozialistischen Realismus, Brusberg Kunst aus der DDR. Denn im Westen Deutschlands, so Brusberg, ist »im Rausch der Internationalisierung [...] manches eines spezifisch deutschen Stils [...] verlorengegangen. Und verlorengegangen ist gelegentlich auch [...] die unmittelbare Verknüpfung mit den existentiellen Anliegen des Menschen.« Das wußte schon Walter Ulbricht, der 1953 mit Blick auf die Westküste von seinen Künstlern forderte »In der Kunst und Literatur ist der ideologische Kampf für den Realismus, gegen alle Erscheinungen der antinationalen, antidemokratischen Dekadenz fortzusetzen.«
So kann es kaum verwundern, daß auch Brusberg, der seinen Ostkünstlern beharrlich die Treue hält, im neudeutschen Kulturkampf unter Beschuß gerät und das gleich von zwei Seiten. Die ehemalige Staatssekretärin im DDR-Kulturministerium und langjährige Leiterin der Dresdner Galerie Mitte, Gabriele Muschter, wirft ihm, wie auch dem Kölner Sammler Peter Ludwig, Kollaboration mit dem alten System vor. Sie hätten sich »in freundlicher Übereinstimmung mit den Staatsfunktionären befunden« und nur Künstler gefördert, die »durch Exotik oder politisches Wohlverhalten wichtig erschienen«. Und im Westen behauptet Brusbergs Konkurrenz, daß die von ihm geschätzten Künstler wenn nicht »Arschlöcher« so doch wenigstens allesamt »Staatskünstler« sind. Nun schlägt Brusberg zurück und argumentiert so wie viele der gescholtenen Künstler aus dem Osten Deutschlands, kommt schließlich zu der weisen Einsicht: »Es gehört zu den Konflikten der Künstler in allen Gesellschaftsformen, daß man der Kunst den Stachel entziehen kann, in dem man sie akzeptierte, indem sich die Kunst einfangen und umarmen läßt von der bürgerlichen Gesellschaft oder — weit schlimmer — vom totalitären Staat. Es sind nur wenige, die die standgehalten haben, die ihre Kunst nicht verraten haben, die es sich nicht bequem in den dafür geschaffenen Nischen gemacht haben, hier nicht anders als dort.«
Hätte es Brusberg bei diesem Statement belassen, wäre die Welt in Ordnung. Jeder Besucher der Ausstellung wüßte, hier hängen Arbeiten von Arschlöchern wie du und ich. Nur können die vielleicht ein wenig besser malen. Aber Brusberg kann es nicht lassen. Er preist die Sammlung der GrundkreditBank als eine für die Kunst aus der DDR repräsentative und hindert Margret Schütte nicht daran, jedem der 16 ausstellenden Künstler im Katalog eine Widerstands-Anekdote in die Biografie zu flechten. Es wäre ein leichtes aber müßiges Unterfangen, von fast allen der so weißgewaschenen Künstlern Zitate auszugraben, die das Gegenteil belegen und damit der Wahrheit genau so fern blieben.
Repräsentativ ist diese Ausstellung im 600 Quadratmeter großen Kunstforum der GrundkreditBank ebensowenig, wie es die großen Dresdner Kunstausstellungen waren. Konnte sie schon allein in ihrer — mit Abstrichen durchgehaltenen — Beschränkung auf figürliche Malerei nicht sein. Doch selbst wenn man das Bank & Brusbergsche Konzept als Maßstab nimmt, daß vorgibt die Sammlung auf die wichtigsten Vertreter der gegenständlichen Kunst der Siebziger und Achtziger zu konzentrieren, fallen Leerstellen auf. Denn obwohl die alte Riege der DDR-Kunst vollzählig zur Verschönerung der Bank aufgeboten wurde — Tübke mit drei kleineren Gemälden und diversen Bleistiftübungen, Heisig mit drei Arbeiten und Mattheuer mit seiner bemalten Bronze, dem Jahrhundertschritt, vor und dem Selbstbildnis von 1984 in der Bank —, fehlt der ehemalige Präsident des Künstlerverbandes der DDR Willi Sitte. Dabei hat gerade er — und oft bis an die Grenze des ästhetisch Verträglichen — dem menschlichen Körper gehuldigt. Doch weigert sich Sitte bislang beharrlich, die Dissidentenweste anzuziehen. Statt dessen hat Mann nichts besseres zu tun, als sich im 'Neuen Deutschland‘ anläßlich seines 70. Geburtstags von einer Fee ausgerechnet den Erhalt der Sowjetunion und eine erneute Chance für das sozialistische Gedankengut zu wünschen. Kein Wunder, daß Brusberg bei so viel Starrsinn seinen »ostdeutschen Freund« nicht in die Bank holte. Doch das war dann auch schon die einzige Korrektur, die der Galerist an seinem Bild von der Kunst aus der DDR vornahm. Der Name Brusberg steht für Kontinuität.
Und so finden wir in der Grundkreditbank bis auf zwei Außnahmen auch nur Arbeiten von Künstlern, die schon in den beiden von Brusberg organisierten Zeitvergleich-Ausstellungen vertreten waren. Neu sind Frieder Heinze und Jan Jastram, sieht man einmal davon ab, daß auch Heinzes Arbeiten von Brusberg bereits 1986 am Kurfürstendamm präsentiert wurden. Doch jetzt stellt der Galerist die Werke dieser beiden, im Westen kaum bekannten Künstler, in den Mittelpunkt seiner Ausstellung. Heinze zeigt acht farbige Arbeiten auf Reispapier, die von seiner Auseinandersetzung mit den Hinterlassenschaften versunkener Kulturen zeugen. So die fünf Blätter aus dem Malerbuch Unaulutu — Steinchen im Sand, ornamentale, zeichenhafte Arbeiten, die ein scheinbar fremdes Weltbild symbolisieren. Jan Jastrams fast drei Meter hohe, schwarz gebeizte Holzskulptur hat zwar nichts mit »Bildern von Menschen« zu tun, ist aber in ihrer spartanischen Schönheit eines der wenigen die DDR-Kunst- Klischees sprengenden Werke.
Das genaue Gegenteil ist Wolfgang Peukers Selbstbildnis mit Smoking aus dem Jahr 1985. Der inzwischen an der Ostberliner Kunsthochschule lehrende Leipziger Peuker pussiert mit weißem Hemd und roter Fliege vor der Skiline der durch den Mauerstreifen getrennten Stadt. Ein Flugzeug nimmt Kurs auf Tegel. Da haben wir ihn, den fetten, feisten Staatskünstler, der sich eine Glatze, einen Bart und sogar einen Smoking leisten konnte, während zu seinen Füßen das Volk unter dem Joch der SED- Diktatur stöhnte. Und Flugzeuge malt dieser Künstler, als will er, den Reisepaß in der Tasche, das nach der Freiheit und Ferne dürstende Ostlerherz mit Spott überziehen. Möge der Zorn der 'FAZ‘ ihn treffen. Wie Mattheuer und Tübke, ist auch Peuker ein Fossil der am Beginn der achtziger Jahre verendeten Leipziger Schule. Nachfolger hat diese glatte literarisch-realistische Malweise kaum gefunden. Dafür aber der an Kokoschka orientierte expressive Stil Bernhard Heisigs. Mit Werner Liebmann, Hubertus Giebe, Hartwig Ebersbach und Walter Libuda sind gleich vier seiner Schüler in der Ausstellung vertreten und präsentieren das, was man im Westen die »Neue Heftigkeit« nannte. Auch Jürgen Wenzel kann man zu diesen in die Jahre gekommenen »Jungen Wilden« rechnen. Den gelernten Porzellanmaler ereilte das expressives Coming-out in Dresden. So kommt zur Zügellosigkeit noch der barocke Pathos. Und das selbst dann, wenn der nach Vorbildern suchende Wenzel, wie in seinem Selbstbildnis mit abgeschnittenem Finger, auf den armen Van Gogh verfällt.
Angela Hampel ist, wie schon so oft, auch auf dieser DDR-Kunst- Schau die einzige Frau. Auf der X. Kunstausstellung feierte die Dresdnerin ihren Durchbruch und mit ihr nicht wenige Kunsthistorikerinnen im Land den der feministischen Kunst in der DDR. Davon ist in Brusbergs Auswahl zwar noch ein Hauch zu spüren, doch leider sind auch von Angela Hampel nur ältere Arbeiten in der Sammlung. Die unterstreichen so eher den Hang der Malerin zur dekorativen Variation einmal gefundener Bildlösungen, denn die »spezifisch weibliche Ästhetik«. Die Ostberliner Malerschule ist mit Harald Metzkes und Rolf Händler präsent und damit sträflichst unter- und uniform besetzt. Und schließlich gibt es da noch Gerhard Altenbourg, den über jeden Vorwurf erhabenen und im Westen seit langem bekannten »Außenseiter/ Sonderling« aus Thüringen, der im Dezember 1989 bei einem Autounfall ums Leben kam. Seine Zeichnungen stehen seit Beginn der fünfziger Jahre in der Tradition der klassischen Moderne und damit jenseits von Gut und Böse, nur leider nicht als Synonym für die Kunst im Osten Deutschlands.
Brusbergs Blick ist ein beschränkter, das ist kein Vorwurf, denn schließlich ist er nur ein Händler. Das er zu einer kulturpolitischen Mittlerfigur im geteilten Deutschland avancierte, mag man angesichts der von ihm postulierten Kunstauffassungen bedauern, doch ein Mann mit anderen Ambitionen hätte sich in der Balance zwischen sozialistischer Kulturpolitik und Marktgesetzen kaum halten können. Heute ist sein Monopol auf die Kunst aus dem Osten ebenso anachronistisch wie der Anspruch dieser Ausstellung, die Kunst aus der DDR repräsentieren zu wollen. André Meier
Die Ausstellung ist noch bis zum 28. April geöffnet
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen