: Hauptstadtfrage im Klassenzimmer
■ Schüler einer Tempelhofer Gesamtschule diskutierten mit dem Bonner Oberstadtdirektor
Tempelhof. Die Hauptstadtdiskussion wird auch im Klassenzimmer geführt. Im Rahmen einer Diskussionsrunde in der Tempelhofer Gustav-Heinemann-Oberschule bedrängten gestern Schüler den Oberstadtdirektor von Bonn, Dieter Diekmann, zu seinen Ansichten in der Frage des Regierungssitzes. Die meisten Schüler sind in der 12. Klasse und haben Politik- und Weltkunde als Leistungsfach belegt.
Sie stellten präzise, mit Zitaten gespickte Fragen und ließen so erkennen, sich intensiv vorbereitet zu haben. Diekmanns Antworten fielen im Vergleich dazu oftmals eher schwach aus — er versuchte sich in Allgemeinplätze zu retten.
Auf die Frage, ob sich hinter den Argumenten der Berlin-Gegner nicht auch eine gewisse Ostfeindlichkeit verberge, räumte der Oberstadtdirektor ein, daß dies zwar nicht ganz falsch sei, doch in der heutigen Diskussion keine Rolle spiele. Oft würden Gebiete, die dem Einfluß des römischen Kulturkreises unterlagen, als bevorzugt angesehen, dozierte der Bonner Gast. Berlin ist mittendrin in den Problemen, dort sind die Alltagsprobleme der Vereinigung sichtbar, »Bonn am Rhein und in der Nähe des Siebengebirges«, hielt eine Schülerin dagegen. Das sah Diekmann anders: »Die öffentliche Ansiedelung einer Hauptstadt ist für die Lösung von Problemen unwesentlich«, meinte er, schließlich würde heute »unheimlich viel gereist«.
»Wie oft haben sie eigentlich schon den Fall der Mauer bedauert«, wollte ein Schüler wissen. Diekmanns Antwort: Glücksgefühle habe er bei der Maueröffnung gehabt, und jetzt, bei der Vollendung der Einheit, könnten vor allem die jungen Menschen ausgleichend wirken, antwortete der Oberstadtdirektor von Bonn.
Die Schüler und Schülerinnen brachten die Bevölkerung der fünf neuen Länder ins Spiel. Für die sei der Regierungssitz in Berlin deshalb wichtig, damit sie das Gefühl haben, dazuzugehören, erklärten die Schüler. Diekmanns Argument für Bonn war, daß Berlin formal bereits Hauptstadt sei und eine Brücke zwischen Ost und West werden könne. Mit dem Regierungssitz würden noch zusätzliche Probleme in die Stadt hereingetragen.
Nach der Diskussion meinten viele, das Gespräch sei nicht befriedigend verlaufen. Schüler Andreas Hahn bemängelte etwa, Diekmann sei auf sehr viele Argumente nicht eingegangen, habe sie stets abgeschmettert. »Er saß wie unter einer Käseglocke und benutzte auch eingefahrene Argumente«, seufzte der junge Berliner. aha
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