: Aischylos und die Zahnbürste
■ Hansgünther Heyme, Bremens künftiger Intendant, über das ganze Theater und Kalkutta
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Mann mit Hand vorm
Mund
Hansgünther HeymeFoto: Archiv
taz: Herr Heyme, Sie haben versprochen, an die goldene Hübner- Ära anzuschließen. Gibt das ein Revival?
Hansgünther Heyme: Nein. Es war halt die Zeit, in der Bremens Schauspiel eine wesentliche Qualität hatte. Das heißt aber nicht, daß ich jetzt die alten Leute wieder einfliegen lasse. Andererseits, die Margit Carstensen, die hier in Bremen mal angefangen hat mit Faßbinder, das ist eine Frau, mit der ich sowieso weiter zusammenarbeiten will. Man schaut ja schon, wenn man in eine Stadt kommt: wer war hier, wer ist von hier aufgebrochen?
Sie leiten gern, haben Sie mal gesagt. Hier in Bremen können Sie ganz von vorn anfangen.
Ja, daß die Leitungsebene ganz neu besetzt werden kann, das ist ein großer Reiz. In unserem Essener Betrieb, wo das Schauspiel nur ein Kleinpartikel ist, da gibt es schmerzliche Dispositionsmängel und lauter Sparten-Gegeneinander — im gegenteiligen Sinn möchte ich leiten: als der, zu dem alle kommen, der die Produktionsgruppen koordiniert. Dazu gehört vielleicht auch, daß die Oper im Frühjahr mal einen Schwerpunkt hat und das Schauspiel im Herbst und dann Kresnik undsoweiter. Ich möchte, trotz dieser täglichen Konkurrenz selbst um die Schreiner-Stunde, sowas wie Kunstruhe herstellen.
Das wird Ihnen, gesetzt den Fall, es gelingt, endgültig den Ehrennamen eines Theatersanierers einbringen.
Nunja, das Schauspiel in Essen
Der Kontra-Tenor Jochen Kowalski als Julius Caesar. Eine Händel-Inszenierung von HeymeFoto: Archiv
haben wir überhaupt erst mal vor dem Wegrationalisieren retten müssen. Daran gemessen ist in den letzten fünf Jahren viel passiert. Und dieses Riesenpaket Ruhrfestspiele, fürwahr ein Sanierungsprojekt, das liegt ja noch vor uns.
Sie sind einer der wenigen verbliebenen Köpfe des politischen...
Man findet ja kaum mehr einen!
...des politischen Theaters. Wo fängt das Unpolitische an?
Nehmen wir diesen Nazifilm, den Kolberg von Harlan, der ist filmisch gesehen ein Höhepunkt der UfA-Zeit und zugleich eines des abscheulichsten Machwerke. Die ganz schwierige Frage: Ist dessen Qualität noch wirklich Qualität oder nicht einfach Scheiße und schlechtes Gewerbe?
Oder dieses Rollschuh-Musical Starlight Express, das ist eine reine Verdummungs-Apparatur. Und zwei Dinge stören mich dran: daß ich's nicht selber gemacht - und auf den politischen Punkt gebracht habe (oder auch der Frank Patrick Steckel hätte doch kommen können in diese Riesenhalle um, na, den Peer Gynt zu machen). Und das andere war, daß Johannes Rau das, mit einem Glas Sekt in der Hand, als Erfolg der SPD-Kulturpolitik verkauft hat. Dabei kommt im ganzen SPD-Programm nicht mal der Begriff der Kunst vor. Nur Kultur. Das ist die Verwechslung von Zahnbürste und Aischylos. Das SPD-typische Mißverständnis, Breiten- und Spitzenkultur zu trennen.
Sind Sie dann ein Unterhalter bloß aus Not?
Nein, aber Unterhaltung hat doch zu tun mit Unterhalt, mit dem, was lebensnotwendig ist. Da muß das Theater aber nicht ablenken, sondern hinführen.
Und sich, daß die Leute mitkommen, verkleiden?
Beispiel Ruhrfestspiele. Da bringen wir jetzt diese Pferdeoper von Zingaro, in Paris seit Jahren ein Riesenerfolg. Das ist ein unerhörtes Stück, ein ganz neuer Umgang mit Menschen und Tieren, das wird in diesem Vakuum Recklinghausen Leute ins Theater holen, die da, rein aus Mißtrauen, noch nie waren. Und im nächsten Jahr dann ist vielleicht schon ein zweiter Zugriff möglich und dann der dritte. Bis man diese Tiefe hat, die schöne, in der man an die große Beschädigung der Menschen herankommt: die soziale, die psychotechnische, das kennen
hierhin bitte den
pompösen
Opern-Mann
wir doch alle. Dann kann man, was doch die eigentliche Aufgabe des Theaters ist, die Spaltung im Publikum verschärfen. Agitation gegen Masse nenne ich das immer. Daß die Menschen wieder zu Einzelnen werden.
Aber doch über ein gemeinsames Erlebnis. Gerade Sie haben ja einen Hang zum Festlichen.
Ja, als Jochen Kowalski den Julius Caesar von Händel gesungen hat, das war ein Kunstfest, wie ich noch keines erlebt habe. Das meinten Sie aber nicht. Also: Im letzten Jahr haben wir zur Eröffnung des Grillo-Theaters in Essen ein Stadtfest gemacht, da waren 300.000 Leute. Und wir haben gelesen und Straßentheater gemacht und da gespielt und dort gespielt, und Wecker war da und Ringsgwandl...Also das war eine Theatralisierung dieser gesamten Einkaufsstadt. Und hat die Bevölkerung dermaßen offen gemacht — auch ein Grund, daß das Theater jetzt ein Jahr ausverkauft ist. Und das Publikum hat sich verändert, auch durch Jugendclubarbeit, durch Kneipenarbeit. Als wir angefangen haben damals mit dem Nathan, hatten wir einen Alterschnitt von etwa 48 Jahren, jetzt ist er schon weit unter 30. Sowas geht auch durch Feste. Der 1. Mai zum Beispiel, der ist da noch völlig ungenutzt!
Noch was fällt mir da ein: diese Berliner 750-Jahr-Feier vor vier Jahren an der Siegessäule, da hab ich ja die Riesen-Eröffnung, diese Sternstunde gemacht. Da waren dreimal 20.000 Leute, in der Glotze gesehen haben's 16 Millionen: das war richtig ein Fest, fing an mit Harald Juhnke und Helmut Zacharias, und am Schluß hab ich Texte von Benjamin gelesen! Selbst der Juhnke hatte da richtig Pfiff; hinterher kam er und sagte: Mensch, mit dir will ich mal Theater machen.
Sie lieben es überhaupt auszuholen, zum Beispiel zu großen mehrteiligen Antikenprojekten.
Ja, zum Beispiel wollen wir ja, nach dem Monstrum Ilias, unbedingt die Odyssee machen. Ob die für Bremen paßt, weiß ich noch nicht. Aber für das Theater führt an Homer kein Weg vorbei, das war ja das erste Im Westen nichts Neues unserer Geschichte. Andererseits: als ich mit Margit Carstensen Mauser. Bildbeschreibung von Heiner Müller gemacht hab, da waren das nur wir beiden. Ich muß nicht immer die großen Dinge haben. Und freu mich
schon auf den nächsten kleinen Ibsen.
Wo Sie grad von Müller reden: Der liebt ja an den Klassikern deren „Reservoir an Utopie“. Sie auch, und sogar das von Harald Juhnke?
Jajaja.
Wo doch bei uns wieder finsterste Restauration herrscht.
Unbedingt. Das ist doch fürs Theater eine große Chance, da muß es wieder seine Leitplankenfunktion übernehmen; jetzt steht ja wieder alles zur Debatte...
...oder nichts.
Das ist doch dasselbe, nur andersrum gesehen. Ich finde diese Gegenwart ungeheuer spannend. Denken Sie nur an den Haß, den die Ureinwohner der ehemaligen DDR zu Recht gegen uns haben. Das ist doch Feindesland. Das muß ins Theater.
Was noch von herumliegenden Stoffen?
Seit 'ner Woche mach ich ein Stück über Gorbatschow und Jelzin: Moskauer Gold von Ali und Brenton; das müssen die beiden, wegen Aktualität, andauernd umschreiben. Oder hinterher Die schöne Fremde von Klaus Pohl über Fremdenhaß; das sind alles Stoffe von geradezu grausamer Theatralik.
Letzte Frage: Sie sind, als Theatralisierer, ganz schön durchtrainiert. Kommen Sie noch auf andere Gedanken?
Naja, wichtig sind Erlebnisse wie damals meine Arbeit in Kalkutta. Da hatten wir bloß 60.000 Mark und mußten erstmal anfangen, ein Theater zu bauen, da haben hundert Leute Rasen hergestellt, Wasserleitungen gelegt und Strom... Das ist was, wo man seine gesamten Bilder wegschmeißen muß. Interview: Manfred Dworschak
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