Dies Verkehrschaos ist eine Verkehrskatastrophe

■ Überlegungen zum Streit um die Bremer Verkehrspolitik / Der SPD fehlt es an Prinzipientreue und Konsequenz

Die Diskussion nimmt allmählich psychopathische Züge an: Wie die Wanderprediger ziehen CDU- Fraktionäre durchs Land und beschwören im Gleichklang mit Vertretern der Handelskammer und inszenierten Medienkampagnen das Verkehrschaos. Der Anlaß ist geradezu lächerlich: Insgesamt 6,2 Kilometer weiße Farbe auf Bremer Straßen, weiße Farbe, mit der eine überfällige Selbstverständlichkeit erreicht werden soll. Bahnen und Bussen, die gerade im Berufsverkehr vollbesetzt sind, sollen endlich fahren können, ohne durch zumeist mit einer Person besetzten PKW's zum Halten gezwungen zu werden.

Die Bremer Landespolitik, und das heißt die SPD, hat dieses Thema lange Jahre verschlafen. Der letzte Neubau einer Straßenbahnlinie liegt 15 Jahre zurück. Und erste Maßnahmen zur Beschleunigung der Bahn, 1986 beschlossen, wurden nur in kleinsten Teilen umgesetzt. Statt dessen wurden in der Innenstadt neue Parkhäuser gebaut und Einfallstraßen für Umlandpendler ausgebaut, immer in der irrigen Annahme, daß ein Mehr an Verkehrsfläche schon ein ausreichende Konzept für alle Zukunft sei.

„Das Thema Verkehr könnte uns das Genick brechen“, hat Bürgermeister Klaus Wedemeier in diesen Vorwahlzeiten erkannt. Und die neuesten Umfrage-Daten scheinen dies zu belegen. Wedemeier hat dieses Thema jetzt zur Chefsache gemacht und wird nicht müde zu betonen, daß eine Politik für den ÖPNV keine Anti-Auto-Politik sei. Eine unehrliche Position, über die die Politiker und Planer in Zürich, die viel früher die Zeichen der Zeit erkannt und konsequenter gehandelt haben, lächeln werden. Denn selbstverständlich muß jeder Autofahrer, dem Straßenraum und Parkfläche genommen wird, den Eindruck gewinnen, daß seine motorisierte Freiheit eingeschränkt wird. Dies muß ehrlicherweise auch als Ziel einer zukunftsorientierten Verkehrspolitik formmuliert werden. Ein Menschenrecht, mit dem Auto jeden erdenklichen Platz in der Innenstadt anzusteuern und den Wagen dort abzustellen, gibt es nicht, auch wenn einige Schreier dies derzeit vermuten lassen.

Die schraffierten Flächen befinden sich im Momment vor allem im Zuge der Linie zwei von Gröpelingen nach Sebaldsbrück. Nach einer kurzen Gewöhnungsphase gibt es dort keine nennenswerten Staus. Dafür gibt es bei der Straßenbahn in all dem Streit aber Genugtuung, daß die Zahl der Fahrgäste nach Jahren

der Stagnation um vier Prozent gestiegen ist und nach ersten Rechnungen im vergangenen Jahr über 95 Millionen Fahrten zu verbuchen waren.

Staus aber gibt es täglich bei der allmorgendlichen automobilen Invasion in die Innenstadt. Am Knotenpunkt Bismarckstraße/Schwachhauser Heerstraße werden von 6.00 Uhr bis 19.00 56.628 (!) Autos gezählt. Auf der Neuenlander Straße kommen noch einmal mehr als 30.000 dazu. Die Einfallstraßen aus dem Bremer Norden gerechnet, ergibt sich eine Schlange, die, hintereinander gestellt, von Bremen bis hinter Frankfurt reichen würde. An diesen und anderen Straßen schnellt der Geräuschpegel in Höhen, die nach der Bauordnung nicht einmal in Gewerbegebieten zulässig wäre. An diesen Straßen werden in vier Meter Höhe Stickstoffdioxid-Emissionen (NO2) gemessen, die nach 2-3-stündiger Spitzenbelastung akute Atemwegserkrankungen hervorrufen. „Der Anstieg der NO2“-Konzentration ist zu einem großen Teil als Folge des gestiegenen Verkehrsaufkommens

zu sehen“, heißt es im Luftmeßprogramm 1988. Das „Verkehrschaos“, das bei Umsetzung des ÖPNV- Programms herbeigeredet wird, ist in Wirklichkeit eine längst existente Verkehrskatastrophe.

Bislang endet die sichtbare Senatspolitik bei den weißen Linien. Gegen die Katastrophe sind diese Linien ein notwendiger, kleiner erster Schritt, aber längst nicht ausreichend, um Autofahrer zum Umsteigen zu bewegen. Neben den versprochenen, aber noch nicht absehbaren neuen Straßenbahnlinien, der Verbesserung des Park § Ride, der in Wirklichkeit überhaupt nicht existiert, müssen Autofahrer systematisch zur Umkehr gequält werden. Doch hier fehlt dem Senat Standfestigkeit und Prinzipientreue. Daß ein Parkhaus am Katharinaklosterhof verkehrspolitischer Unfug ist, wird eingesehen, aber nicht geändert. Nicht einmal die 351 öffentlichen Parkflächen in der Innenstadt, die ganztägig umsonst zugestellt werden, wurden aufgehoben.

Helfen soll nun ein „Integratives Verkehrskonzept“ dem die irrige Zielsetzung gegeben wird, daß alle Verkehrsströme schon irgenwie mit einander harmonieren könnten. Fast die gesamte Legislaturperiode wurde dafür beauftragt, geplant, und wieder neu überlegt. Herausgekommen ist nun ein Gutachterauftrag. Wenn der Aufbau in der ehemaligen DDR in Bremer Tempo vorangeht, wird er ein Jahrhundert dauern. Holger Bruns-Kösters