: Arbeitsämter nur noch Warteämter?
■ Kaum Vermittlungen durch die Arbeitsämter im Ostteil der Stadt/ Mehrere Monate warten auf die Stütze/ Zum 1. Juli 29 Prozent Arbeitslose?/ ÖTV fordert mehr Arbeitsberater
Wilmersdorf. Die vier Arbeitsämter im Ostteil der Stadt sind hoffnungslos überlastet. Auf einen Sachbearbeiter kommen dort inzwischen 1.000 Arbeitsuchende. Den abgekämpften Sachbearbeiter bekommt man als Arbeitsloser meist erst nach sechs Stunden Wartezeit auf stickigen Fluren zu sehen und dann nicht einmal in vertraulicher Atmosphäre: Aus Raummangel sitzen oft zwei Berater im gleichen Raum. Doch selbst wer sich unter diesen widrigen Umständen zu einem Gespräch einfindet, wird von dessen Ausgang frustriert sein: Von den 30.000 Arbeitslosen des Ostarbeitsamtes III beispielsweise konnten in den letzten Wochen ganze 200 auf freie Stellen vermittelt werden.
Diese Zahlen wurden gestern von der stellvertretenden ÖTV-Vorsitzenden Olga Leisinger und Mitarbeitern der Berliner Arbeitsämter auf einer Pressekonferenz genannt. Nach der Statistik des Landesarbeitsamtes gab es im Februar 167.665 Arbeitslose in Gesamt-Berlin, davon 75.000 im Ostteil der Stadt. Dort kommen noch 85.000 Kurzarbeiter dazu, von denen mehr als die Hälfte keine einzige Stunde arbeitet.
»Im Moment sind die Arbeitsämter eher Stempelbuden als Vermittlungsstellen«, beschreibt es Harald Miderski, ein Berater aus Ost-Berlin. Sollte tatsächlich einmal eine Nachfrage nach Arbeitskräften eingehen, könne die aus Zeitmangel kaum erledigt werden. »Ich hab' ja Hunderte vor der Tür stehen, die ihre Anträge bearbeitet haben wollen«. Die Überlastung macht sich auch in der Zahlungsmoral bemerkbar: Erst nach bis zu zweieinhalb Monaten kommt der ersehnte Scheck vom Arbeitsamt, für viele einfach zu spät. Teilnehmer an Umschulungen, die im Oktober begannen, haben zum Teil bis heute keine schriftliche Bewilligung erhalten, auch auf Unterhaltsgeld warten sie bislang vergeblich.
Die 2.000 Beschäftigten der Arbeitsämter im Osten würden »bis zu 14 Stunden am Tag arbeiten«, oft auch am Wochenende. »Wir müssen Ruhe bewahren, damit der soziale Friede gewahrt bleibt«, betont Miderski. Die ÖTV fordert einen sofortigen Stellenzuwachs, damit geplante Qualifizierungsmaßnahmen auch von den Arbeitsämtern bearbeitet werden könnten. Im Sommer droht vielen nach einem Jahr Stütze eine erneute Zahlungspause von »noch mal drei bis vier Monaten«. Solange würde es nämlich voraussichtlich dauern, bis die umfangreicheren Anträge zur dann greifenden Arbeitslosenhilfe bearbeitet sind. Doch bis dahin ist nach Schätzung der ÖTV die Katastrophe ohnehin da: 450.000 Arbeitslose soll es dann in Berlin geben, wegen auslaufender »Warteschleifen«. Das ergibt eine Quote von 29 Prozent. So schlimm war es schon einmal: während der Weltwirtschaftskrise 1929. Joachim Schurig
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