piwik no script img

SOZIALENGELCHEN

■ Alle reden von der Umwelt. Wo bleibt die Sozialverantwortlichkeit im Tourismus? Eine Veranstaltung zu "Menschenrechte contra Tourismus"

Alle reden von der Umwelt. Wo bleibt die Sozialverantwortlichkeit im Tourismus? Eine Veranstaltung zu „Menschenrechte contra Tourismus“

VONEDITHKRESTA

Wenn einer eine Reise tut, dann will er es sich vor allem gutgehen lassen. Tapetenwechsel, Sonne, exotisches Ambiente, Zeit und vielleicht noch etwas Bildung nebenbei sucht der Durchschnittsurlauber in der Fremde. Bürgerkrieg, Militärdiktaturen, Repression stören die Ferienidylle. Doch im touristischen Schneckenhaus bekommt der Urlauber sowieso nur die Sonnenseiten serviert, und so können undemokratische Regime trotz innerer Repression problemlos die begehrten touristischen Devisen abzocken. „Tourismus contra Menschenrechte“ — unter diesem Titel problematisierte die Arbeitsgruppe „Tourismus mit Einsicht“ auf der Internationalen Tourismus-Börse (ITB) Reisen in Länder wie Tibet, Indonesien, Sri Lanka und die Türkei.

Zum Thema Türkei sprach die Assyrerin Anisa Saed. Die Minderheit der Assyrer lebt in der Osttürkei, meist in den Siedlungsgebieten der Kurden. Wie diesen werden ihnen keine eigenständigen Bürgerrechte zugestanden. Ihre Kultur wird unterdrückt. Andererseits, so Anisa Saed, werde gerade mit ihren Kulturstätten Werbung für den Tourismus betrieben.

Ausbeutung der historischen Kultur ohne Interesse an der heutigen lebendigen Kultur konstatierte auch die Tibeterin Tenzin Drongshar als das wesentliche Moment der touristischen Begegnung mit anderen Kulturen. Tibet werde ausgebeutet für seine Folklore. Von dem Angst und Schrecken, den die chinesische Besatzungsmacht verbreite, bekomme der Urlauber nichts mit.

Kulturelle und ethnische Vielfalt sind attraktive Aushängeschilder, um Touristen rund um den Erdball zu locken. Daß die „Steinzeitmenschen“ und „primitiven Völker“, die Indonesiens Exotik laut Prospekt bereichern, politisch unterdrückt und kulturell zur Folklore degradiert sind, schert die wenigsten Besucher oder vielmehr: sie wissen zuwenig darüber. Seit der Annexion West-Papuas und Ost-Timors betreibe die indonesische Militärregierung dort eine brutale Vernichtungspolitik, erklärte Klemens Ludwig von der „Gesellschaft für bedrohte Völker“. Die touristischen Devisen (an vierter Stelle der Devisenbringer) dienten auch dazu, das repressive System mit Waffengewalt aufrechtzuerhalten.

Der Tamile Susi Nadarajah warf den Veranstaltern Sorglosigkeit im Umgang mit Bürgerkriegsregionen vor. Die Urlauber würden in Krisengebiete gekarrt werden, ohne über die tatsächliche Situation dort informiert zu sein.

Das entspräche auch sicherlich nicht der Logik eines Reiseprospekts, der den oben schon erwähnten frohgestimmten Bedürfnissen der Urlauber gerecht werden will, um das Produkt Ferien an den Mann bzw. die Frau zu bringen. Dennoch war man sich auf dem Podium einig, daß es zum Verantwortungsbereich der Veranstalter gehöre, über ein Land richtig zu informieren. Boykottaufrufe wurden als wenig sinnvoll abgelehnt. Zum einen müßten sie von den politischen Verantwortlichen weltweit getragen werden, wie beispielsweise bei Südafrika. Diese Allianz läßt sich sicherlich für den Nato-Partner Türkei schwerlich herstellen. Zum anderen, so Klemens Ludwig, nähme der Boykott dem Einzelnen die Entscheidung ab. Sich zu informieren, läge in der Verantwortung jedes Urlaubers, aber auch bei den Anbietern und den Multiplikatoren, den Journalisten.

Die Großen der Reisebranche fangen an, sich heftig für ihr Naturkapital zu interessieren. Umweltbeauftragte werden eingesetzt. Gütesiegel für ökologisch unbedenklichen Urlaub werden großzügig verteilt. Die Frage des Umweltschutzes, so ein Statement, werde offensichtlich höher veranschlagt als die Einhaltung der Menschenrechte. Algen sehe man eben, so die lakonische Antwort, und sie bedrohen darüber hinaus das touristische Kapital Natur. Folterungen hingegen sieht man nicht. Die heile Welt kann weiter vorgegaukelt werden. Eben. Es müsse daher Druck auf die Veranstalter ausgeübt werden, um sie zu Lobbyisten für Menschenrechte zu machen, so ein Fazit der Veranstaltung.

Gütesiegel in den Reisekatalogen für sozial einwandfreien Urlaub? Daß die Veranstalter der politischen Situation in den Zielländern mehr Aufmerksamkeit schenken, ist gewiß auch eine Frage der Sensibilisierung des Reisepublikums für alltägliche Gewalt im erwählten Urlaubsland: denn die Nachfrage regelt das Angebot. Sollen die Reisekonzerne, dem vorbeugend, nur noch in demokratische Regime investieren? Glaubt man tatsächlich, sie würden sich die traumhaften Investitionsmöglichkeiten oder der Urlauber sich die Traumstrände in vielen Ländern der Dritten Welt entgehen lassen? Der Veranstalter würde sich um den Profit bringen, der Urlauber ums vielleicht noch nicht entdeckte Paradies. Oder sollen die Veranstalter nur aufrecht und ehrlich informieren? Etwa so: Die Alltagskultur der Assyrer wird von der türkischen Regierung heftig unterdrückt, doch ihre historischen Kulturstätten sind beeindruckend.

Daß die Veranstalter politisch Stellungnahme beziehen, ist eine reichlich naive Vorstellung über das eigennützige Engagement der Veranstalter: Soll das Desinteresse an anderen Ländern, die als Kapitalanlage dienen, nun mit einem Gütesiegel, dem Sozialengel vielleicht, wiedergutgemacht werden? Neben lächelnden Badenixen könnten dann umweltfreundliche Reiseengelchen und menschenfreundliche Sozialengelchen in den Katalogen das Märchen vom sanften, ganzheitlichen Management veranschaulichen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen