: Mit dem Wüstenschiff durch die öde Air-base ziehen
LandwirtschaftsstudentInnen wollen heute den Frankfurter US-Militärflughafen urbar machen/ Mit Pferd, Wagen und Kamel waren sie drei Wochen in Hessen unterwegs und legten 300 Kilometer zurück/ Friedliche Symbole verdecken den zivilen Ungehorsam ■ Aus Frankfurt Heide Platen
Kairo war zum Schleuderpreis von 600 Mark zu haben. Dabei wäre er die ganzen 6.000 Mark, für die Kamele heutzutage gewöhnlich gehandelt werden, durchaus wert gewesen — vom Schwanzquast bis zu den schrägen, arrogant geblähten Nüstern. Denn seit dem 23. Februar macht Kairo genau das, was er soll: Er erregt Aufsehen. Der 25jährige weiße Dromedar-Wallach teilt sich diese Bürde mit einem Pferd, dem thüringischen Kaltblut Lene. Aber das eigentliche Zugpferd, wissen die rund 20 LandwirtschaftsstudentInnen aus Witzenhausen, ist er.
Seit drei Wochen marschiert die Gruppe, die sich selber „Leben in die Basis“ nennt, für Abrüstung und Frieden auf die Rhein-Main-Air- base zu. Lene zieht den Planwagen, Kairo stolziert nebenher. Gemeinsam sollen sie Okzident und Orient sichtbar machen. Der Esel, der Israel symbolisieren sollte, fiel unterwegs wegen eines defekten Hufes aus.
Die Aktion, die auf den ersten Blick absurd wirkt, ist ebenso ernsthaft wie schlitzohrig gemeint. Michael Hartmann blinzelt wie Till Eulenspiegel, als er von den Erfahrungen der letzten Wochen erzählt. Schließlich haben sie schon zweimal erreicht, was Tausenden von DemonstrantInnen gegen Militäreinrichtungen nicht gelungen ist.
Mit der Karawane ins Depot ziehen
Anfang März haben sie eine Nacht auf dem Bundeswehr-Truppenübungsplatz Hardtwald bei Treysa verbracht, eine Woche später standen sie samt Menagerie unverhofft mitten im US-Depot Gießen und pflanzten dem Kommandanten einen Obstbaum vor die Nase.
Seither spekuliert Hartmann unentwegt über die menschliche Wahrnehmung, über Klischees und Symbole. Denn der Wagen ist nicht nur mit Weizensamen, Maiskörnern, Blumenzwiebeln, Obstbäumchen und einem Pflug beladen, sondern auch mit Nato-Draht und Bolzenschneider. „Das sieht alles so friedlich aus, daß die Leute gar nicht glauben, daß wir an den Zaun wollen, obwohl wir das ganz offen sagen.“ Der Wille zum zivilen Ungehorsam, zur bewußten Regelverletzung, wird ihnen oft einfach nicht abgenommen. Brigitte Szezinski erinnert sich an die Frau in einem Kaufladen in Witzenhausen, die der Karawane nachgerade eine öffentliche Aufgabe zuschrieb: „Ach, das sind die Leute, die an der Air-base pflügen sollen!“ Daß sie manchmal für „Aussteiger“ gehalten werden, stört sie sehr: „Ich studiere Landwirtschaft, weil ich so politisch sein wollte wie möglich.“
Die Einordnung in Friedliche und Militante, so eine Erkenntnis der letzten Wochen, funktioniere offensichtlich in den Köpfen der Menschen — vor allem über die optische Wahrnehmung — sehr schnell. Und Planwagen, Tiere, Pflanzen, das alles ist, so Hartmann, „eben friedlich, so romantisch wie Zirkus“. Die verunsicherten GI's in Gießen standen freundlich grinsend um Kairo und das Pferd herum und fragten kaum danach, wie es zuging, daß „Leben in die Basis“ sich mit Schlüsseln Zugang durch ein Seitentor verschaffen konnte und — trotz Sicherheitsvorkehrungen — immerhin bis mitten ins Depot gelangt war. Einer der Schlüssel wurde dem Kommandanten feierlich überreicht, der andere der Gießener Friedensinitiative übergeben. Eine andere merkwürdige Reaktion ist in der Stadt zu beobachten. Die Leute schauen weg oder eigentlich gar nicht hin — als ob sie ein Kamel nicht wahrnehmen, wo eigentlich auch kein Kamel zu sein hat. Erstaunte Gesichter machen nur die Alten und die Jungen. Am Donnerstagmorgen liegt Kairo im Hinterhof einer Wohngemeinschaft in Frankfurt-Niederad im Gras, blinzelt in die Morgensonne und käut wieder. Er sieht aus, als ob er hier hingehöre und als ob ihm, der laut Brehms Tierleben Dornen und Gestrüpp zu verzehren hat, Heu und Hafer zustehen.
Der Weg soll diesmal nach einem kleinen Probeabstecher zur Air-base nach Walldorf führen, wo die evangelische Kirchengemeinde eine Unterkunft zur Verfügung stellte. Der Aufbruch ist eine Mischung aus Chaos und Gelassenheit: Lene anschirren, Kairos Gelehrtenmähne am Hinterkopf in Form bürsten, ihn satteln, die zwei aufgeregten Hunde beruhigen und gleichzeitig die Aufgaben für den Tag verteilen. Das dauert eine geraume Weile. Währenddessen äpfelt Lene ausgiebig in die Hofeinfahrt. Dann watschelt Kairo x-beinig, tatsächlich schwankend wie ein Wüstenschiff, aus dem Hof. Sein letztes Ziel wird dann am Samstag, um 14.30 Uhr, noch einmal das Haupttor der Air-base sein. Dann sollen erst einmal 3.000 Quadratmeter des Militärgeländes unter den Pflug genommen werden, als „kleiner Anfang“. Hartmann: „Wir wollen den Soldaten ja nicht gleich alle Arbeitsplätze wegnehmen.“ Danach geht Kairo in den verdienten Ruhestand — entweder auf einen Reit- oder einen Bauernhof. Die StudentInnen haben eine weniger klare Zukunftsperspektive. Irgendwo spukt in ihren Köpfen auch „der Traum vom eigenen, ökologischen Hof“ herum. Aber der ist noch weit weg. Eine Aufgabe sei es doch, meint Brigitte Szezinski, herauszufinden, ob es Pflanzen gibt, die den kerosin- verseuchten Flughafenboden regenerieren können.
Ein Nebenergebnis der Aktion ist das mittlerweile fundierte Wissen über Dromedare, Trampeltiere und ihre Haltung. Von dem, was Alfred Brehm im vorigen Jahrhundert über sie geschrieben hat, wollen weder Kamelführerin Brigitte noch Kairo, der beim Vorlesen nicht einmal die Nase rümpft, etwas wissen: „Das Kamel... ist das unliebenswürdigste, dümmste, störrischste und ungemütlichste Geschöpf, welches man sich denken kann.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen