: Ein unliebsamer Angeklagter ging
■ Der Prozeß gegen Honecker wäre juristisch äußerst kompliziert geworden
Berlin (taz) — Wenn keine Fernsehkameras und Mikrofone eingeschaltet sind, dürfte man die Steine herunterpoltern hören, die dem Bundesjustizminister und der Berliner Justizsenatorin vom Herzen gefallen sind, als Erich Honecker gen Moskau entschwand. Denn hätte man dem ehemaligen Staats- und Parteivorsitzenden tatsächlich den Prozeß machen müssen, die bundesdeutsche Justiz wäre in eine arge juristische Zwickmühle geschlittert. Unter rein rechtlichen — nicht politisch-moralischen — Gesichtspunkten wäre es schwer gewesen, Honecker zur Verantwortung zu ziehen.
Dabei hatte sich die zuständige Berliner Staatsanwaltschaft schon den offensichtlichsten und am ehesten anklagbaren Punkt herausgesucht: den Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze, der seit 1961 192 Menschen das Leben gekostet hat. Honecker, so fanden die Staatsanwälte heraus, hat als Sekretär des Nationalen Verteidigungsrates 1961 diese „Schußwaffengebrauchsbestimmung“ mitunterzeichnet und 1974 in diesem Gremium verlangt, daß „nach wie vor bei Grenzdurchbruchsversuchen von der Schußwaffe rücksichtslos Gebrauch gemacht werden muß“. Ob dieser Schießbefehl, in dem die Berliner Justiz eine Anstiftung zu gemeinschaftlichem Totschlag sieht, tatsächlich strafbar ist, ist unter westdeutschen Juristen jedoch höchst umstritten. Honecker könnte dafür nicht nach bundesdeutschem, sondern nur nach DDR-Recht zur Verantwortung gezogen werden. Und nach dem Paßgesetz der DDR war das „ungenehmigte Überschreiten“ der Grenze zur Bundesrepublik strafbar. Schon 1959 wurden die Posten der Grenztruppen verpflichtet, zunächst mit Warnschüssen, dann mit gezielten Schüssen „Grenzverletzungen“ zu verhindern.
Weder die Urheber noch die Ausführenden des Schießbefehls sind nach Meinung des Bonner Staatsrechtsprofessors Gerald Grünwald in der Bundesrepublik juristisch zu packen. Denn — so nicht nur Grünwalds Argumentation — es sei legitimes Recht der DDR gewesen, die Abwanderung seiner Bürger zu unterbinden, schließlich gewährten auch etliche andere Rechtsstaaten keine generelle Ausreisefreiheit. Wenn aber der Grenzübertritt nach DDR-Recht ein Verbrechen ist, sei es innerhalb der Logik dieses Rechts auch legitim, ein solches Verbrechen notfalls mit der Schußwaffe zu verhindern. Auch bundesdeutsches Recht räume schließlich in dem Gesetz über den unmittelbaren Zwang Polizisten und Grenzschützern die Möglichkeit — allerdings nicht wie in der DDR die Verpflichtung — zum Schußwaffengebrauch ein.
Die Berliner Staatsanwälte, die gegen Honecker ermittelten, wußten offenbar um diese juristische Klemme. Weil dem Ex-Staatsratsvorsitzenden nach immanentem DDR-Recht kaum beizukommen wäre, haben sie für ihren Haftbefehl auch recht globale internationale Abkommen herangezogen, so z.B. die UNO- Menschenrechtskonvention und die KSZE-Schlußakte von Helsinki. Die aber, so argumentierten Honeckers— nun um einen Fall ärmeren — Anwälte, habe die DDR niemals als innerstaatliches Recht übernommen. Ve.
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