: Besser als befürchtet
■ Zum Tarifabschluß im Öffentlichen Dienst
Besser als befürchtet Zum Tarifabschluß im Öffentlichen Dienst
Der Tarifabschluß im Öffentlichen Dienst ist besser als zu Beginn der Tarifrunde zu befürchten stand. Die Gewerkschaft hat für alle Beschäftigten einen bescheidenen realen Einkommenszuwachs durchgesetzt, von dem wahrscheinlich auf Grund von Preissteigerungen und Steuererhöhungen weniger hängen bleiben wird, als sich die meisten Beschäftigten nun erhoffen. Gleichzeitig hat sie für jene Berufsgruppen dringend notwendige Strukturverbesserungen durchgesetzt, die jahrelang — gemessen an ihrer Leistung und dem abgeforderten Engagement — unterbewertet worden sind. Dies betrifft insbesondere die Sozial- und Pflegeberufe, das heißt Bereiche mit überwiegender Frauenbeschäftigung. Der Skandal, daß ausgerechnet jene Berufe in die „Leichtlohngruppen“ des Öffentlichen Dienstes eingestuft sind, die mit der Pflege und Betreuung von Menschen (statt Maschinen) zu tun haben, ist damit wenigstens ansatzweise korrigiert.
Diese Strukturverbesserungen für besonders belastete und benachteiligte Gruppen waren schon vor der Lohn- und Gehaltsrunde zwischen den Tarifparteien vereinbart worden. Bei den Verhandlungen des letzten Wochenendes ging es lediglich um den Zeitpunkt ihres Inkrafttretens. Es gehört nicht viel Phantasie zu der Annahme, daß die Gewerkschaft, die ursprünglich stolze zehn Prozent für alle gefordert hatte, sich am Wochenende das eine oder andere Zehntelprozent zusätzlich abhandeln ließ, um ein möglichst frühzeitiges Einsetzen der Strukturverbesserungen zu erreichen. Zwar brauchte sie aus optischen Gründen die Sechs vor dem Komma. Aber daß es hinter dem Komma eine Null wurde, hängt mit einer Prioritätensetzung zusammen, die den Strukturkomponenten eine höhere Wertigkeit gab als unspezifischen linearen Einkommensverbesserungen.
Die Ankoppelung der Einkommen in den ostdeutschen Ländern an den Westen war ebenfalls schon vor der jetzt abgeschlossenen Tarifauseinandersetzung vereinbart worden. Danach werden die ostdeutschen Staatsbeschäftigten ab 1.Juli 60 Prozent der Westlöhne und —gehälter beziehen. Natürlich ist abzusehen, daß die Länder und Gemeinden in Ostdeutschland die auf sie zukommende Steigerung der Personalkosten, so notwendig sie unter sachlichen und sozialen Gesichtspunkten ist, nicht bezahlen können. Die durch die Steuererhöhung gewonnenen Milliarden werden hier weiterhelfen. So hat die ÖTV durch ihr gesamtes Tarifpaket die Bedingungen fixiert, unter denen der staatlich vermittelte Einkommenstransfer von West nach Ost stattfinden wird. Ein „Sonderopfer“ des Öffentlichen Dienstes (West) wird es nicht geben. Ein Erfolg? Martin Kempe
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