piwik no script img

Eine futuristische Verwechslung

Gastspiel von „Anihccam/Macchina“ in Frankfurt  ■ Von Arnd Wesemann

Futuristische Künstler entdeckten vor dem Ersten Weltkrieg ihre Schwärmerei für die Schönheit der Industrie und deren Produkte. Während des Ersten Weltkriegs waren sie auf Entzug (1914 schrieb Lucini Wie ich den Futurismus überwand). Neu formierten sie sich nach dem Weltkrieg: Um einen zweiten Futurismus zu küren, den ihr Wortführer Marinetti in seinem oft verschwiegenen Manifest Futurismus und Faschismus (à la Mussolini) nannte: 1924, im Jahr, als auch das Theater vom Futurismus angesteckt wurde — unter anderem durch Fortunato Deperos mechanisches Ballett Anihccam del 3000.

Marinetti schrieb: „Kunst kann in Wahrheit nichts anderes sein als Gewalt, Grausamkeit und Ungerechtigkeit.“ Und: „Jüngere und stärkere Männer werden uns in den Müll werfen wie alte Manuskripte“ — wenn alles vorbei ist, die industrielle Revolution gesiegt hat, und der Futurismus historisch heißt.

Das ist jetzt erreicht. Wir wollen nichts weiter auf den Müll nachtragen: Daß eine Gruppe italienischer Männer ihre Kunst dem Faschismus angedient hatte — so war sie doch wenigstens um einiges humorvoller als deutsche Zeitgenossen: etwa Arnold Breker mit seinen buckligen Arier-Statuen ... Jetzt sind das Theater und seine vornehmste Aufgabe gefragt: um das, was geschehen ist, zu musealisieren. Auch den Futurismus.

Der Frankfurter Mousonturm hat sich öfter fähig erwiesen, das Industrie-Zeitalter auf der Bühne passender zu würdigen als andere. Zuletzt sahen wir ein Freeclimber-Pärchen (mutige Bergsteiger), die in einem Badezimmer an der Decke rumturnten — gesponsert durch eine Badezimmer-Firma. Diesmal ist es Campari, was zahlt, da die Futuristen gerne solchen tranken und dafür auch Reklame machten: Wir sahen also — Campari.

Das gehört mit zu der Kultur, die von den Futuristen gefeiert wurde. Die Reklame als opus magnum der Massenkommunikation. Motorräder und Flugzeuge wurden zu Helden der Geschichte. Wie heute: Mirage und Scud statt Julius Caesar und Titus Andronicus. Deshalb wirkt's antik, heute mit knatternden Motorrädern hamletmäßig über die Bühne zu brummen (so geschehen im Beiprogramm der Ausstellung Futurismus und Futurismen in Venedig 1986, zur Umbenennung der als faschistisch abgeurteilten Kunst in eine industrialistische).

Motorräder sind out. Was sonst? Statt Motorrädern zur Musealisierung des (Theater-)Futuristen Fortunato Deperos (1892-1960) verfiel man auf einen abwegigen und nie gedachten Aspekt: wackelige Tretroller auf drei Rädern, wie für Kinder. Für Futuristen wär's die reinste Seifenkisten-Ästhetik, die Lucia Latour auf dem Gewissen hat, die Choreografin der römischen Theatergruppe „Compagnia Altroteatro“. Wohlwollende Kritiker bescheinigen ihr Augenzwinkerei. An sowas wie Seifenkiste dachten Latour und ihre neun Tänzerinnen, indem sie „macchina“, was im Italienischen „Maschine“ oder auch „Auto“ heißt, — wie Depero — umgekehrt „Anihccam“ buchstabierten.

Immerhin: Luigi Ceccarellis Bühnenmusik ist futuristisch laut, eine harte und mechanische Verballhornung Strawinskys, mehrmals unterbrochen durch Deperos futuristische „Onomalingua“ — in etwa verwandt mit Kurt Schwitters' Lautgedichten. Eine Komposition aus menschlichem Husten, Schnalzgeräuschen, einem fortwährenden Picpicpic, das sich anhört wie Blechspielzeug-Hühner, die aufgezogen solche Geräusche wohl produzieren mögen.

Auf der Bühne ist die „Rasant-Technophilie“ des Futurismus sonst nicht mal angedeutet, sondern hölzern. Da hebt sich der hintere Bühnenboden wie eine Zugbrücke, stellt sich aufrecht zur Leinwand. Etwas weiter vorne hebt sich ein Portal und umrahmt die Szene als Passepartout. Und ganz vorne recken sich so mechanisch wie neckisch acht Pfeile in die Höh' (das ist augenzwinkernd).

Auf das Ganze werden Dias projiziert: vornehmlich Pfeile, die Depero gemalt hat. Pfeile in allen Varianten und Farben, die wirken, als schaue man in ein Videospiel. Erstaunlich: Depero als Vater der grafischen Gestaltung von Videospielen. Doch irgendwann langweilig. Immer nur Pfeile. Noch langweiliger, wenn auf Folie gemalte Hochhäuser reingefahren, hin- und hergeschoben werden und dann abtreten: weil Futuristen Hochhäuser liebten (das ist nicht augenzwinkernd).

Die Tanzerei dazwischen ist der Rede nicht wert. Einfallslose Show- Choreografie. Die Mädchen tragen Socken über den Händen, machen artige Gesichter und sind auch sonst ganz artig bedacht, ein bißchen an Grotesktanz und Buster Keaton zu erinnern: alles in schwarz-weiß, kein Futurismus.

Was ist fehlgegangen? Nicht viel, wenn man hinzudenkt, daß am Futurismus nicht mal der Faschismus aufregt, sondern so niedlich wirkt wie ein von Marinetti umschwärmter Rennwagen, der heute als Oldtimer gehandelt wird.

Was soll an einem futuristischen Theater überhaupt noch faszinieren, wenn heute jede Opern-Maschinerie um das Zehnfache ein höheres Loblied auf die Technik singt, mehr als es Marinettis Radikalität je vermochte?

Futuristisches Theater als Männer- Museum?

In das hat sich hier ein feminines Tanztheater nachträglich eingerichtet: mit dem Tretroller.

Marinetti sprach: „Jüngere und stärkere Männer werden uns in den Müll werfen wie alte Manuskripte.“ Frauen sammelten sie heraus, aber stimmten kein Gelächter an.

Verstiegen sich in keine Größe.

Zwinkerten nur mit den Augen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen