: Vom sozialistischen Funktionär zum Hardliner-Kapitalisten
■ Dr. Herzog gilt als markanter Wendehals in der Leipziger Metallbranche/ Einer der „immer oben schwimmt“
Die beiden Frauen im Büro von Davud Kösker, dem Rechtsberater der IG Metall in Leipzig, sind empört. „Nichts hat sich geändert“, sagen sie verbittert. „Wir haben mit Gift gearbeitet, das in Westdeutschland verboten ist. Krank sind wir geworden davon, und nun schmeißen sie einen einfach raus.“ Sie haben mit Unterstützung der Gewerkschaft eine Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Leipzig-Land eingereicht und wollen heute die letzten Vorbereitungen mit dem IGM-Sekretär abklären.
Es ist ein Alltagsfall, einer von Hunderten, die im Laufe der letzten Monate über Köskers Schreibtisch gegangen sind. Nur eines ist an dem Fall besonders: der Beklagte ist kein normaler Arbeitgeber, sondern der Geschäftsführer der Starkstrom-Anlagenbau GmbH in Leipzig, Dr. Hans-Eberhard Herzog — ein Name, der in den Metallbetrieben Leipzigs niemanden gleichgültig läßt. Denn Herzog ist als besonders markanter Wendehals bekannt, als einer, der immer schon oben geschwommen ist und jetzt als stellvertretender Vorsitzender des Verbandes der sächsischen Metall- und Elektroindustrie den Scharfmacher spielt. Auch seiner Frau gelang die Wende, die heute Mitarbeiterin bei der Treuhand ist
In jungen Jahren hat er Elektrotechnik studiert und ging nach dem Studium in die Verwaltungslaufbahn der Vereinigung Volkseigener Betriebe (VVB). Natürlich war er Parteimitglied, aber nach eigener Darstellung fühlte er sich in erster Linie als Fachmann. Von 1977 bis 1982 avancierte er zum stellvertretenden Minister für Elektrotechnik und Elektronik. In dieser Eigenschaft war er maßgeblich am Aufbau der Mikroelektronik in der DDR beteiligt — einem Prestigeprojekt der damaligen Staatsführung. Herzog sagt, er habe dieses Projekt wegen der ökonomischen und technischen Rückständigkeit der DDR-Industrie skeptisch geurteilt und sei deshalb weggelobt worden. Er wurde Generaldirektor der Nachrichtenelektronik Leipzig und sollte mit einem viel zu niedrigen Etat von 100 Millionen Mark ein modernes Nachrichtenkonzept für die DDR umsetzen.
Offensichtlich haben die Ergebnisse seines Wirkens die DDR-Oberen um den SED-Wirtschaftsboß Günter Mittag wiederum nicht überzeugt, aber auch diesmal fiel er weich. 1985 wurde er Direktor des VEB Starkstrom-Anlagenbau in Leipzig. In dieser Funktion erlebte er die Wende. Der VEB ist inzwischen eine GmbH und ab 1.4. ein Tochterunternehmen des Siemens- Konzerns.
So sehr Herzogs DDR-Laufbahn von Brüchen gekennzeichnet ist, ein Oppositioneller war er nach eigenen Angaben nicht. Den Wechsel vom volkseigenen zum kapitalistischen Betrieb dagegen hat er mühelos geschafft. Auch als Siemens- Manager hat er die blauen Bände der Marx-Engels-Gesamtausgabe noch nicht aus dem Regal in seinem Dienstzimmer geräumt. Aber mit der Arbeiterklasse, der er als prominentes Parteimitglied bis zur Wende verpflichtet war, verkehrt er inzwischen auf eigene Art: Anfang März wurde ein Rundschreiben des frischgebackenen Arbeitgeberfunktionärs an alle Mitgliedsfirmen seines Verbandes bekannt. Darin wird angeregt, alle Arbeitnehmer bei der Eingruppierung in die aus dem Westen übertragene Lohnskala um zwei Lohn- oder Gehaltsgruppen zu tief einzustufen.
Daß dies für die Betroffenen kein Pappenstiel ist, sondern verhängnisvolle Auswirkungen auf Lohn, Kurzarbeitergeld und Arbeitslosenunterstützung haben kann, kümmert Hans-Eberhard Herzog offenbar ebenso wenig wie die Tatsache, daß er als Arbeitgeberfunktionär dazu auffordert, das natürlich auch für seine Verbandsmitglieder bindende Tarifrecht zu verletzen. Das mag nun wieder mit dem Rechtsverständnis aus alten SED-Zeiten zusammenhängen.
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