: Die „äußere Gefahr“ als Rettung?
■ Jugoslawiens Nationalisten wechseln die Taktik und beenden ihre Rolle als „Retter Jugoslawiens“/ Ist das Vertrauenskapital der Armee verspielt?/ Die demokratischen Kräfte müssen für öffentliche Verhandlungen eintreten
Zoran Djindjic ist einer der Gründer der „Demokratischen Partei“ in Serbien und jetzt der Sprecher der Partei.
taz: Nach den Massenprotesten in Belgrad letzte Woche kam es zu einem Kompromiß zwischen der Opposition und der Regierungspartei. Zwei Tage später erklärte der Vorsitzende des jugoslawischen Präsidiums im Fernsehen seinen Rücktritt. Gibt es zwischen diesen beiden Ereignissen einen Zusammenhang, und wie steht die Demokratische Partei dazu?
Zoran Djindjic: Zunächst muß man sich über den Charakter des Kompromisses klar werden. Bei diesem Kompromiß ist viel weniger erreicht, als die Öffentlichkeit glaubt. Bezeichnend ist, daß ein Regime, das auf Kompromißlosigkeit beruht, in eine tiefgreifende Krise gerät, sobald es auch geringe Zugeständnisse macht.
Dieser erste Kompromiß, den Milosevic überhaupt machen mußte, hat seine Position erheblich bedroht. In dem Moment ist es für das Regime von außerordentlicher Wichtigkeit geworden, rasch ein neues Integrationsmoment zu finden, das seine Position stabilisieren könnte. In diesem Falle diente dazu die „äußere Gefahr“, die nun den Konflikt zwischen der Opposition und dem Regime auf ein anderes Gebiet verlagern soll. Möglicherweise ist die Rücktrittserklärung Jovics ein klassischer Fall jener Herrschaftstechnik, die die inneren Konflikte „bewältigt“, indem sie durch die Gefahr eines äußeren Feindes von ihnen ablenkt.
Steckt nicht dahinter eine Doppelstrategie, einerseits durch Kompromisse mit der Opposition eine Art Einheit zur nationalen Rettung zu erzwingen, andererseits den Konflikt auf der jugoslawischen Ebene so zu verschärfen, daß es zu keinerlei Stabilisierung kommen kann als Basis für institutionelle Lösungen?
Zu keinem Zeitpunkt hat der Kompromiß Einigkeit bedeutet. An den Reaktionen der oppositionellen Parteien zu Jovics Rücktritt kann man sehen, daß dieser keineswegs zur Einheitlichkeit zwischen der Regierung und den oppositionellen Parteien führte. Gerade die nationalistische „Partei der Serbischen Erneuerung“ (SPO), der die nationale Einigung aller Serben am Herzen liegen sollte, kritisierte diesen Schritt Jovics besonders scharf als Versuch, das kommunistische Regime zu retten.
Milosevics und Jovics Taktik scheint von Anfang an gewesen zu sein, die jugoslawische Krise durch ihre Verschärfung lösen zu wollen, und dieser neueste Schritt paßt in dieses Schema. Es gab eine Reihe solcher Radikalisierungen der Krise: zunächst der Aufstand in Knin, dann der Einsatz des Militärs in Pakrac und jetzt die Krise des Präsidiums. Wie soll man sich das endgültige Szenario vorstellen, wenn man von dieser Taktik ausgeht und annimmt, daß sie den Krieg nicht wollen?
Alles passiert in Jugoslawien bislang auf einer deklarativen Ebene. Wäre dem nicht so, der Krieg wäre schon längst Realität. Es könnte sein, daß die Taktik Milosevics und seiner Crew mit der Absicht einhergeht, durch erneutes Mischen der Spielkarten die Ausgangsposition für sich zu verbessern. Bislang war ihre Strategie, sich als Retter Jugoslawiens hinzustellen, und damit hatten sie oft die Mehrheit im Präsidium für sich gewinnen können.
Neuerdings aber war klar geworden, daß die Formel aus anderen Republiken, wonach man auch für Jugoslawien ist, aber nach einem Konzept, das die Souveränität der Republiken nicht ausschließt, im Präsidium auf Dauer mehrheitsfähig geworden ist. Aus der Einsicht, daß die bisherige serbische Position nicht mehr mehrheitsfähig ist, stürzt man jetzt alle Spielfiguren auf dem Spielfeld um, um sie dann neu, vorteilhafter, wiederaufzustellen. Ich meine, daß man jetzt auf der Ebene anderer staatlicher Institutionen miteinander ins Gespräch kommen muß.
Welche Institutionen und Gremien könnten dafür zur Verfügung stehen?
Die Demokratische Partei wird sich dafür einsetzen, daß im Parlament eine Kommission formiert wird, aus Vertretern verschiedener Parteien, die die Verhandlungen über die neue jugoslawische Staatsordnung weiterführen wird. Diese Kommission wird im Auftrag des Parlamentes verhandeln müssen und wird ihm verantwortlich sein müssen.
Die Parlamentssitzungen werden auch weiterhin öffentlich sein. Das ist auch das Wichtigste. Die bisherigen Verhandlungen spielten sich nach der Art der Geheimsitzungen ab, fern von jeder Öffentlichkeit.
Welche Rollle spielt in dem ganzen die jugoslawische Armee?
Es ist nicht ganz klar, welche Rolle die Armee bei den Verhandlungen spielt. Praktisch kann die Armee nur die Rolle übernehmen, im Falle ethnischer beziehungsweise nationaler bewaffneter Auseinandersetzungen zu intervenieren. Das heißt, daß der Grund oder der Anlaß für die Intervention evident sein muß.
Gerade das war aber nicht der Fall.
In zwei Fällen war das nicht der Fall, und die Intervention der Armee führte zum Vertrauensverlust. Vor den Interventionen der Armee im kroatischen Pakrac und in Belgrad war die Armee noch glaubwürdig, außer in den Republiken, die auch sonst ihre Zweifel gegenüber der Armee hegten, wie Kroatien und Slowenien.
Welche konkreten Schritte wird die Demokratische Partei demnächst im serbischen Parlament unternehmen?
Ich erwarte, daß es im Laufe dieses Jahres oder Anfang nächsten Jahres zur Ablösung dieses Regimes kommt. Man kann in der nächsten Zukunft große soziale Probleme erwarten, die das Regime nicht wird lösen können, und es kann zur Wiederholung der studentischen Unruhen kommen, die zwar einen anderen Inhalt haben werden, aber die gleiche Form und das gleiche Ziel, und dieses wird die Regierung sein. Unsere Aufgabe dabei ist, parallel zu diesen Entwicklungen eine Alternative auszuarbeiten, die gesetzliche Vorlagen vorbereiten, aber auch konkrete Programme zur Dämpfung der sozialen Not entwerfen würde. Wenn es dann zu vorgezogenen Wahlen kommt, so hätten wir eine konkrete Alternative und ein konkretes Programm anzubieten.
Aber die ernsthafte Opposition für Milosevic und seine Sozialistische Partei ist nicht die Demokratische Partei, sondern die SPO mit ihrem Führer Vuk Draskovic.
Die Basis dieser Partei ist eher emotional. Im Grunde ist sie keine ideologische Alternative der Partei an der Macht. Das Ziel dieser Partei ist nicht die Überwindung des Systems. Der Antikommunismus ist in diesen Reihen zwar ehrlich, aber das Hauptziel ist die Machtergreifung. Die Demokratische Partei wäre in der gleichen Situation, wenn die SPO die Wahlen im Dezember gewonnen hätte, und unsere Politik wäre die gleiche wie jetzt gegenüber Milosevic. Deshalb ist unser Bündnis mit dieser Partei in einem oppositionellen Block sehr bedingt. Interview: Dunja Melcic
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