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Vom Lebensschutz bis zur Straffreiheit

FDP-Fraktion will heute ihren Gesetzentwurf zum Abtreibungsrecht verabschieden/ Auch SPD berät Entwurf/ Im Gegensatz zu den Liberalen will SPD keine Zwangsberatung/ CDU streitet verbissen  ■ Aus Bonn Tina Stadlmayer

Bundeskanzler Kohl will mit der ganzen Sache möglichst wenig zu tun haben. Es ist ihm sehr recht, daß die FDP einen Gesetzentwurf für ein gesamtdeutsches Abtreibungsrecht vorlegen will. So bleibt dem Kanzler der ansonsten vorprogrammierte Streit über den Paragraphen 218 im Kabinett erspart. Im Einigungsvertrag wurde festgelegt, daß die Fristenlösung im Osten und die Indikationslösung im Westen spätestens 1992 durch ein gemeinsames Gesetz abgelöst werden sollen.

In dieser Woche steht das Thema 218 bei den Freidemokraten und bei der SPD im Bundestag auf dem Programm. Das Präsidium der FDP hat den „Gesetzentwurf zum Schutz des werdenden Lebens“ gestern in seiner jetzt vorliegenden Form ausdrücklich gutgeheißen, heute will die Fraktion entscheiden. Auch die SPD- Fraktion wird am heutigen Dienstag über die Vorlage des Arbeitskreises „Gleichstellung“ diskutieren. Beide Fraktionen streiten intern seit Monaten über ihre jeweiligen Gesetzentwürfe. Ende vergangenen Jahres sah es sogar einmal so aus, als könnte ein gemeinsamer Entwurf zustande kommen. Doch die FDP-Frauen wurden von ihren Parteioberen zurückgepfiffen.

Moderate Form der Zwangsberatung

Liberale und sozialdemokratische Frauen hatten sich für diesen Entwurf auf eine moderate Form der Zwangsberatung geeinigt: Das Überreichen einer Broschüre durch den Arzt sollte als Beratung zählen. Für die Frauen war generelle Straffreiheit vorgesehen.

Inzwischen ist das Papier komplett im großen Bundestags-Papierkorb gelandet. Ohne daß die FDP- Frauen etwas davon wußten, hatten die liberalen Rechtspolitiker (alles Männer!) längst einen eigenen Vorschlag erarbeitet. Er sieht die Straffreiheit für Abtreibungen nur während der ersten drei Schwangerschaftsmonate vor. Die Frau muß vor dem Abbruch bei einer Beratungsstelle gewesen sein. Und: Das Beratungsgespräch hat das festgeschriebene Ziel „sowohl den Belangen des Lebensschutzes als auch dem Wunsch der betroffenen Frauen nach Hilfe in einer Konfliktlage“ zu dienen. FDP-Justizminister Klaus Kinkel ist dieser Entwurf immer noch zu liberal. Mit dem Argument, so könne der Paragraph vor dem Verfassungsgericht nicht bestehen, will er das Beratungsziel noch strenger formulieren: Vom Wunsch der betroffenen Frauen soll keine Rede mehr sein. Kinkel sagt, nur einer solchen Regelung könnten bei der Endabstimmung im Bundestag Mitglieder der CDU-Fraktion zustimmen. Dabei wäre dies nicht einmal nötig. Rein rechnerisch hätte die FDP auch zusammen mit der SPD die Mehrheit.

Streit um den Vorsitz des Arbeitskreises

Die setzt jedoch — noch — auf freiwillige Beratung. Seit Tagen streiten sie sich jetzt darüber, wer der eigens eingerichteten Kommission zur Neufassung des Abtreibungsrechtes vorsitzen soll. Der Arbeitskreis „Gleichstellung“ will auf keinen Fall den konservativeren Rechtspolitiker Hans De With auf diesem Posten akzeptieren. Der Gesetzentwurf des Arbeitskreises sieht die generelle Straffreiheit für Frauen vor. Lediglich die Ärzte, die eine Abtreibung nach dem dritten Monat durchführen, sollen sich strafbar machen. Eine Männermehrheit in der Fraktion will damit jedoch nichts zu tun haben. Sie plädiert — wie die FDP — für die Strafbarkeit nach dem dritten Monat.

Die Vorsitzende des Arbeitskreises Frauen scheint den Kampf bereits aufgegeben zu haben: Ingrid Becker-Inglau glaubt nicht mehr an einen gemeinsamen Fraktionsentwurf. Es werde wohl auf einen Antrag einer Gruppe von SozialdemokratInnen hinauslaufen, sagt die frischgebackene Frauenpolitikerin.

Im Endeffekt wird die SPD-Fraktion sowieso dem FDP-Entwurf zustimmen, Zwangsberatung inklusive. Auch auf die meisten Abgeordneten des Bündnis 90/Grüne können die Liberalen rechnen, obwohl deren Frauenpolitikerin Christina Schenk den FDP-Entwurf kategorisch ablehnt.

Bei der PDS ist die Diskussion über das gesamtdeutsche Abtreibungsrecht gerade erst losgegangen. Die ostdeutschen Frauen hängen immer noch an ihrer DDR-Fristenlösung bis zum dritten Monat. Ulla Jelpke aus Hamburg und andere Westfrauen wollen nun in der PDS die alte Forderung der autonomen Frauenbewegung zum Programm machen: ersatzlose Streichung des Paragraphen 218.

Nebulöse Äußerungen der CDU-Frauen

Auch ChristdemokratInnen und Christsoziale streiten seit Monaten verbissen über das gesamtdeutsche Abtreibungsrecht. Die beiden CDU- Ministerinnen Angela Merkel (Frauen) und Hannelore Rönsch (Familie) — das steht inzwischen fest — sind für den Strafrechtsteil des neuen Gesetzes nicht zuständig. Den formuliert Justizminister Kinkel für die FDP-Fraktion. Die Frauen- und die Familienministerin überboten sich in den vergangenen Wochen mit nebulösen Äußerungen über ihre persönliche Haltung zum Paragraphen 218. Angela Merkel konnte sich immerhin zu dem Satz durchringen, die letzte Entscheidung darüber, ob sie ein Kind austragen könne, müsse „bei der Frau liegen“ (siehe taz vom 5.3.1991).

Rita Süssmuth für den „dritten Weg“

Rita Süssmuth, ehemalige Frauenministerin und jetzt höchste Frau im Staate, hatte bereits vor einem Jahr ihren „dritten Weg“ zwischen einer Indikations- und der Fristenlösung vorgestellt. Vor zwei Wochen sorgte sie mit derselben Idee noch einmal für Wirbel: Rita Süssmuth schlägt ein sogenanntes „Lebensschutzgesetz“ vor. Nur wenn eine soziale, eugenische oder kriminologische Indikation vorliegt, soll eine Frau abtreiben dürfen.

Allerdings: Im Süssmuth-Entwurf entscheidet nicht, wie heute, ein Dritter (Arzt, Ärztin) darüber, ob eine Indikation vorliegt, sondern die schwangere Frau selbst. Allzu selbstbestimmt darf diese Entscheidung jedoch nicht zustande kommen, deshalb muß sich die Frau zuvor einer Zwangsberatung unterziehen. Als Ziel dieser Prozedur formuliert Rita Süssmuth in ihrem Gesetzentwurf: „Die Beratung soll den Konflikt zwischen dem Lebensrecht des ungeborenen Kindes und den Bedrängnissen der Frau deutlichmachen.“ Außerdem schlägt die Präsidentin vor, den „Schutz des ungeborenen, des behinderten und des sterbenden Lebens“ in die Verfassung aufzunehmen. Innerhalb des CDU- Spektrums ist der Süssmuth-Entwurf mit Abstand der liberalste Vorschlag für ein gesamtdeutsches Abtreibungsrecht.

„Es geht schließlich um das Leben“

Die CDU hat inzwischen zwei parallel tagende Arbeitsgruppen zum Thema Abtreibungsrecht eingerichtet: eine Parteikommission unter Vorsitz der konservativen Familienministerin Hannelore Rönsch und eine Fraktionskommission. Leiterin der Fraktionsarbeitsgruppe ist die Ostdeutsche Maria Michalk. „Es geht schließlich um das ursächlichste, was wir haben: um das Leben“, begründet die konservative Katholikin ihre Ablehnung einer jeden liberalen Lösung. Vor wenigen Wochen versuchte sie mit einer besonders originellen Idee zu brillieren: Als Strafe für eine Abtreibung sollen Frauen „zu einem sozialen Jahr im Krankenhaus“ verpflichet werden.

Der Skandal um die Zwangsuntersuchung von Frauen an der deutsch- niederländischen Grenze hat inzwischen die Standpunkte jedoch ein wenig durcheinandergewirbelt. Selbst alte VerfechterInnen eines strengen Abtreibungsrechts wie die CSU-Abgeordnete Ursula Männle erkannten: „Zwangsuntersuchungen wegen des Verdachts, die Frauen könnten in Holland abgetrieben haben, sind mit der Menschenwürde nicht zu vereinbaren.“

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