: "Rock around the bunker"
■ Betr.: Nachuf auf Gainsbourg, taz vom 4.3.91
Betr.: Nachruf auf Gainsbourg, taz vom 4. März
Serge Gainsbourg ist tot. Die taz, das heißt ihr Pariser Korrespondent Smoltczyk, titelt zum Nachruf: „Tod einer Canaille“. Der Duden übersetzt Kanaille mit Gesindel. Genügt das Anfangs-C, damit deutsche Leser nicht an Gesindel, sondern an Eulenspiegel denken? Ich wette: nein.
Smoltczyk geht in seinem furor teutonicus noch weiter: er verhöhnt den Toten wegen seines Gesichts („mittendrin ein Zinken“) und zum Schluß fällt das verräterische Wort „totgehurt“. (Das gibt es nicht, mein Herr, Sie sollten es getrost ausprobieren!) Gainsbourg hatte Erfolg bei den Frauen, ein unerschöpflicher Quell für Männerneid. Von der Häme der Nachrufe aus betrachtet, stellt die taz die 'FAZ‘ bei weitem in den Schatten.
Gainsbourg war der letzte der großen Provokateure der Nachkriegszeit, in Frankreich kannte ihn jedes Kind. Seine Lieder haben eine Tiefe, eine Perfektion, eine Zeitlosigkeit, die ihn über Brel, Ferré und Brassens hinausragen lassen. Aber seine Musik wird im amerikanisch-orientierten Deutschland nicht als zeitgemäß empfunden, seine Texte werden als allzu französisch und schwer übersetzbar nicht verstanden. Darum ist Gainsbourg in Deutschland nie wirklich bekannt geworden. Auch liegt die Provokationsschwelle in Deutschland beträchtlich niedriger als in Frankreich; Gainsbourg schwankte einmal unter Alkohol durch die Frankfurter Oper, seitdem war er dort „out“.
Smoltczyk als Wahlpariser weiß natürlich, daß Grobheit, so sie sich nüchtern gibt, in Deutschland gut ankommt, in Frankreich aber nur peinlich unelegant wirkt. Darum zitiert er die einzigen (scheinbar) deutschfeindlichen Zeilen, die Gainsbourg geschrieben hat, nämlich in seinem Zyklus Rock around the bunker. Darin steht auch: „Sind das die unsinnigen Mörder? ... Die sind gesund und heil die fühl'n sich sicher / und sorgenfrei denn die zensieren sich / und außerdem wäre nötig gewesen daß / diese Verfahren in Preußen bekannt gemacht werden.“ In Wahrheit geht es Gainsbourg in Rock around the bunker nicht um die Deutschen, sondern um den Versuch, über die eigene grausige Vergangenheit lachen zu lernen. „Schlüpft in die schwarzen Strümpfe Jungs / Zieht an die Strapse und die Pumps / richtet verschnürt gut die Korsetts / Kommt her paßt auf jetzt / jetzt tanzen wir den / Nazi-Rock...“
Herr Smoltczyk ist gewiß ein guter deutscher Journalist, und sein schnoddriger Ton wird in der taz nicht auffallen. Aber von einem Fehler kann ich ihn nicht freisprechen: er hat meine Übersetzung benutzt und dies nicht erwähnt. Ich habe nämlich vor anderthalb Jahren unter dem Titel Je t'aime eine zweisprachige Auswahl von Gainsbourg-Texten herausgegeben (im Luxemburger Phi- Verlag). Da es mir nicht um „Nachdichtung“ ging, sondern um ein besseres Verständnis für das Original, habe ich auf Zweisprachigkeit bestanden. Und das Original ist so stark und so innig ans Französische gebunden, daß jede Übersetzung „blaß“ ausfallen wird; darin stimme ich Herrn Smoltczyk gern zu, wenn er „Otto, die Teutonentunte“ zitiert.
Als „Fahrkartenknipser von Lilas“ hat Gainsbourg angefangen: „Unter meinem Himmel aus Fayence seh' ich nur die Anschlußzüge funkeln“; als einer der Großen der Nation ist er begraben worden; und Cathérine Deneuve las an seinem Grab das Gedicht „Fuir le bonheur de peur qu'il ne se sauve“, ich flüchte vor dem Glück aus Furcht, es könnt' entwischen. Barbara Höhfeld
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