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Rom — für Mailand schon der Maghreb

Die Finanzmetropole Mailand will den Römern zeigen, wo es langgeht/ Jahrhunderte alte Dissonanzen  ■ Aus Rom Werner Raith

Das Ereignis gilt seit altersher als vorzügliches Omen: vom Himmel herab senken sich kleine weiße Flocken auf die Ewige Stadt, der Ruf „Nevica, nevica!“ erfüllt die Gassen. Schnee bedeutet Glück fürs ganze Jahr, Geld und Zufriedenheit.

An dieser Weisheit gibt es mittlerweile allerdings einige Zweifel, und manch einer meint, es müsse wohl eher umgekehrt sein: Nur wer Geld hat, kann sich am Schnee freuen. Ursache ist eine Erfahrung, die sich einreiht in eine Uraltfehde: der Kampf der Geldmenschen aus Mailand mit den Herrschgewohnten in Rom. Kaum nämlich hatten sich die Tiber- Anwohner am herrlichen Weiß zu erfreuen begonnen, da mußten sie wieder mal erkennen, daß man auf dem gefrorenen Naß leicht ins Rutschen kommt. Doch wie immer stellte sich heraus, daß man in Rom fast alles vorrätig hat, nur keine Schneepflüge, Salz und Streusand.

Nun ja, wozu hat die Regierung dem schneeträchtigen Norden Tausende von Fräsen und Räumern gekauft? Doch kaum war die Order zur Überstellung einer Flotte von Räumfahrzeugen in Mailand angekommen, schallte von dort hämisches Lachen zurück; nicht eine Schaufel werde man den Römern überlassen, kein Gramm Salz oder Sand. Sollen die Brüder in der sogenannten Hauptstadt zusehen, wie sie zurechtkommen.

Der Vorgang hat Symbolwert. Nichts ist so kleinkariert, daß Mailänder daraus nicht eine pompöse Beleidigung gegen die verhaßte Hauptstadt zu machen verstehen. Kein Vorwurf so weit hergeholt, daß sie ihn „denen da drunten in Rom“ ersparen würden. Ob die Regierungszentrale Steuern erhöht oder senkt, ob sie Immigranten willkommen heißt oder sie verscheucht, ob sie Mafiosi verfolgt oder freiläßt, stets steht alles absolut im Kontrast zu dem, was die Mailänder gewollt hätten.

Hauptbegründung für die Aversion ist die — allerdings unleugbare — Tatsache, daß die Lombarden überwiegend in Geld schwimmen, während es in Rom daran fast immer mangelt. Beweis mithin, daß die Römer weder etwas leisten noch mit Geld umgehen können. Obwohl sich die Hauptstadt redlich müht, ist ihre Börse ein mickriges Unternehmen im Kleinstadtformat geblieben, während sich der Mailänder Geldtempel längst unter die Großen des Gewerbes einreiht — Frankfurt, London, Tokio, New York. Der Durchschnittslombarde verdient fast eineinhalbmal so viel wie der Süditaliener und noch immer fast zwanzig Prozent mehr als der Römer. Ebenfalls nicht zu Unrecht reklamieren die Mailänder, daß bei ihnen Krankenhäuser und Straßenbahnen intakt sind, das Beamtentum funktioniert — Dinge, bei denen auch die chauvinistischten Römer schuldbewußt das Haupt senken. Rom ist für die Mailänder fast schon Maghreb, ihre eigene Stadt dagegen Mitteleuropa- Format par excellence. Daß dennoch die Forums- und Kolosseumstadt und nicht die der Hochhäuser und Computerzentralen das Land regiert, ist aber nicht nur unter dem Aspekt der Modernität ein ewiger Dorn im Auge jedes aufrechten Mailänders. Hier kommt eine Erbfeindschaft zum Tragen, erprobt schon im Mittelalter im Kampf gegen in Rom gekrönte Kaiser oder gegen Päpste. Daß man sich noch immer mit der Rolle der „heimlichen“ Hauptstadt zufriedengeben muß, schmerzt. Die Römer haben gegen die Mailänder Angriffe nur relativ schwache Gegenargumente; etwa, daß ja gerade in den letzten Jahren immer mehr Nordmenschen in die Regierung eingerückt sind; einem der ihren, Bettino Craxi, glückte sogar ein bisher einmaliger Rekord an ununterbrochener Amtszeit: fast vier Jahre. Und dann die Umweltverschmutzung. Trotz allen Reichtums gelingt es den Lombarden noch weniger als den Römern, ihrem Smog und der Abfallkatastrophe Herr zu werden: Noch die fast 300 Kilometer entfernte Adria wird durch Mailands Kloaken verseucht.

Wo so Mauer gegen Mauer steht, scheint vielen im Norden Scheidung die einzige Zukunftslösung. Und so wächst in Mailand eine Bewegung, die die Römer das Fürchten lehrt: Die „Ligen“, regionalistische Bünde, die die Aufteilung Italiens in drei große autonome Staaten anstreben. Ein tausend Jahre alter Traum würde sich erfüllen — und gleichzeitig wäre Rom zu dem degradiert, was die Mailänder sowieso nur davon halten: zu einer mittelmäßigen Provinzstadt nahe Afrika.

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