Die Mühen der „nationalen Versöhnung“

Namibia erlangte heute vor einem Jahr die Unabhängigkeit/ Doch der langsame Prozeß der Veränderung und die pragmatische Politik der Regierung führen zu wachsender Frustration bei der Swapo-Basis  ■ Aus Oshakati Willi Germund

Gepanzerte Fahrzeuge, die Hinterlassenschaft der südafrikanischen Armee, stehen im Ort versprengt herum und rosten vor sich hin. Heute freuen sich die Wirte der Cuca- Shops, wo sich früher die Soldaten ein paar hinter die Binde gossen, über jeden Kunden. Auch für Karl Udorama hat sich das Leben in Oshakati, der Provinzhauptstadt von Namibias Ovamboland, gründlich verändert. Der Mitarbeiter der lokalen Menschenrechtsorganisation: „Früher haben wir uns um Verhaftete gekümmert, haben Tote identifiziert und Verschwundene gesucht. Jetzt betreiben wir Aufklärung. Die Leute sollen ihre Rechte kennenlernen.“

Heute vor einem Jahr hat Namibia nach langen Kämpfen seine Unabhängigkeit erreicht. Nach den ersten freien und demokratischen Wahlen im November 1989, bei der die Befreiungsorganisation Swapo mit 57 Prozent der Stimmen gewonnen hatte, konnte im Februar vergangenen Jahres dann die Verfassung verabschiedet und der 21. März als Unabhängigkeitstag festgelegt werden. Doch seitdem die Kolonialregierung — so heißt Südafrikas Herrschaft im Volksmund — endgültig den Hut nahm, sind außer neuen Arbeitsgesetzen, die die neue Regierung verabschiedet hat, einschneidende Maßnahmen ausgeblieben. Doch was für die Menschen hier im Ovamboland, 700 Kilometer nördlich der Hauptstadt Windhuk und kurz vor der Grenze zum Nachbarland Angola, zählt, sagt Udorama: „Nach 23 Jahren haben wir zum ersten Mal Frieden.“ „Es gibt keine Ausgangssperre mehr, und niemand fürchtet mehr, daß nachts plötzlich die Tür auffliegt“, fügt der deutsche Pastor Pauli hinzu.

300.000 bis 400.000 Namibier, so schätzen Menschenrechtsorganisationen, fielen dem Konflikt an der Grenze zu Angola zum Opfer. Mit angolanischer Unterstützung kämpfte die Befreiungsorganisation Swapo gegen die Armee Südafrikas, um das Apartheidregime aus Namibia zu vertreiben.

In der Umgebung von Oshakati weiden von Kindern gehütete Rinder auf dem sandigen Boden. Jugendliche treiben Esel-und Ziegenherden durch den kopfhohen Busch. Am Rande der unzähligen Feldwege, über die früher die Panzerwagen rollten, hocken sich die Ovambos jetzt zu einem Schwatz in der Abenddämmerung nieder. Selbst frühere Mitglieder der berüchtigten „Koevoet-Truppe“, offiziell eine Polizeitruppe, in Wirklichkeit aber ein Todesschwadron, haben ihren Platz gefunden: Die frühere Kantine der Kaserne heißt jetzt Otavi-Bar und dient als Kneipe für jedermann.

„Ich hasse, was sie mir angetan haben“, sagt Karl Udorama, „aber ich will keine Rache.“ Der Vater von zwei kleinen Kindern verbrachte ein Jahr in einer Zelle der Killertruppe — er widerstand der Folter, und wie durch ein Wunder überlebte er nicht nur die Haft, er wurde sogar freigelassen. Aus dem Ovamboland stammend, hatte er sich schon früh der heute regierenden Swapo angeschlossen. Er kämpfte in der „PLAN“, der Befreiungsarmee der Swapo, bevor die Koevoet ihn erwischte und umzudrehen versuchte. Nach der Freilassung verbrachte er Monate im Büro der Menschenrechtsorganisation von Oshakati, ohne das Gebäude zu verlassen — aus Furcht, wieder verhaftet und dann ermordet zu werden.

Was Karl Udorama für sich selbst schaffte, verlangt die Swapo-Regierung unter Präsident Sam Nujoma von allen Anhängern. Nationale Versöhnung nennt sich die Devise — die sich in der Praxis als politische Zwangsjacke erweist. Weil Mitglieder der früheren Sicherheitskräfte nicht entlassen wurden, ist in der 7.000 Mann starken Armee kaum Platz für Rückkehrer aus dem Exil und Anhänger der Swapo. Auch die Polizei besteht zum größten Teil aus Beamten, die schon den Südafrikanern treu dienten. Die staatliche Verwaltung droht, zum Moloch zu wachsen. Der Grund: Alte Beamte werden nicht entlassen, die Regierung muß aber neue einsetzen, um ihre Politik durchzusetzen. 40.000 Namibier kamen aus dem Exil zurück, doch nur die Hälfte, so wird geschätzt, fand inzwischen Arbeit.

Da die Regierung auch die Besitzverhältnisse nicht antastet, änderte sich bisher auch nichts an den krassen Unterschieden. Rund 80.000 Weiße leben in dem 1,8 Millionen Einwohner zählenden Land, das von Norden nach Süden so lang wie die Strecke von Amsterdam nach Rom ist. Die Weißen leben im wesentlichen südlich der Etosha-Pfanne, ihnen gehören die riesigen Farmen.

Die Hälfte der Bevölkerung wohnt jedoch im Norden der Pfanne, im Ovamboland. Selbst die Rekordernte, die es wegen starken Regens gab, kann die Arbeitslosigkeit nicht überdecken. Das Grundwasser versalzte während der letzten Jahre als Folge von Staudammprojekten in der Region. Namibias Erziehungsminister sah sich heftigen Protesten gegenüber, als er das Ovamboland besuchte. Die Lehrer fühlten sich vergessen, ein Eindruck, den auch andere Bewohner der Region haben. Doch viel Spielraum bleibt Staatschef Nujoma nicht. Auf rund 500 Millionen Mark werden die Schulden kalkuliert, die Namibia nach der Unabhängigkeit plötzlich gegenüber Südafrika hat. Die Fischerei muß Pause machen, weil unter südafrikanischer Herrschaft der Benguela- Strom regelrecht leergefischt wurde. Beim Diamanten-und Uranabbau kriselt es wegen fallender Preise. In der Landwirtschaft sieht es wegen niedriger Rindfleischpreise ähnlich aus. Bei vielen Schwarzen wächst zudem der Eindruck, daß Namibias Weiße die Wirtschaft zwar nicht sabotieren, aber auch nicht tun, was in ihren Möglichkeiten liegt.

„Es gibt keine Alternative“, glaubt Karl Udorama trotzdem, „wir können den weißen Bauern das Land nicht wegnehmen. Das würde ein riesiges wirtschaftliches Problem hervorrufen. Sehen Sie nur das Beispiel Angola.“ Aber er gibt selbst zu, daß nicht alle Namibier so viel Einsicht und Geduld besitzen. Ein Diplomat im weit entfernten Windhuk fürchtet gar: „Der Demokratie hier könnte die größte Gefahr von einer enttäuschten Swapo-Basis drohen.“ Längst geht in Namibia ein Spruch um: „Wenn nationale Versöhnung bedeutet, daß sich nichts ändert, dann wollen wir keine nationale Versöhnung.“ Die Begründung: Immer noch bezahlen die den Preis, die schon im Krieg die Zeche begleichen mußten.