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Kohl: Der Zweck heiligt die Mittel

■ Gewohnt souverän reagierte der Kanzler gestern auf den von Bundesbankpräsident Pöhl geäußerten Hinweis auf das "katastrophale Ergebnis" der Währungsunion für die neuen Länder: Das Geschrei sei...

Kohl: Der Zweck heiligt die Mittel Gewohnt souverän reagierte der Kanzler gestern auf den von Bundesbankpräsident Pöhl geäußerten Hinweis auf das „katastrophale Ergebnis“ der Währungsunion für die neuen Länder: Das Geschrei sei „völlig unnötig“, die DDR habe schließlich vor dem Bankrott gestanden.

Für den Kanzler schien es Routine — wie so oft. Eine Routine des Verärgerten, der Gelassenheit zu zeigen versucht, wenn ihm mal wieder jemand Böses will. Mit seiner Lieblingsfloskel „völlig unnötig“ bezeichnete Kohl die von Bundesbankpräsident Pöhl am Dienstag neu angezettelte Diskussion über den (Un-) Sinn der Währungsunion vom 1.Juli und ihre jetzt offensichtlichen Folgen. Pöhl hatte die Regierung am Dienstag scharf angegriffen; die Westmark „von einem Tag auf den anderen und noch dazu mit einer falschen Umtauschrate“ einzuführen, sei „verheerend“ gewesen, zudem „im Ergebnis vorhersehbar“ und ein „abschreckendes Beispiel“ für die geplante EG-Währungsunion.

Doch ganz so folgenlos gingen die für Kohl ärgerlichen Vorwürfe nicht an ihm vorüber. Eine volle halbe Stunde lang versuchte er sich gestern morgen vor den ob dieser improvisierten Ehre verwunderten JournalistInnen zur Wirtschaftslage in der Ex-DDR zu rechtfertigen. Ohne schnelles gleiches Geld und somit Einheit hätte, so Kohls geschichtlich rückwärtsgerichtetes Credo, die Sowjetunion „Njet“ gesagt, und statt dessen wären sehr schnell „Hunderttausende“ Richtung Westmark übergesiedelt. Erst danach zog sich der Kanzler zum anberaumten Meinungsaustausch mit den längst wartenden Unternehmern und Gewerkschaftern zurück.

Unterdessen folgten in Bonn wirtschaftspolitische Einschätzungen über Partei- und Interessensgrenzen hinweg: Für die SPD nannte Ingrid Matthäus-Maier Pöhls Worte „äußerst befremdlich“ und sah „für die dramatische Zuspitzung in den FNL“ nicht die Währungsunion selbst, sondern „die wirtschaftliche Inkompetenz der Bundesregierung“ verantwortlich. FDP-Fraktionschef Solms meinte, der Wechsel von Ostmark zu Westmark habe doch „technisch gut funktioniert“, nur hinterher seien eben alle schlauer.

Die Wirtschaft verteidigte den eigenen Mann zum Teil. Ex-BDI-Präsident Tyll Necker meinte, Pöhl habe „sachlich ohne Frage recht“. Der Vorstandssprecher der Dresdner Bank gab „problematische Effekte“ in der Währungsunion zu. Aber die schnelle Mark sei eben „eine politische Entscheidung“ gewesen, die man nun nicht für den zusammenbrechenden Markt verantwortlich machen könne. Peter Stihl, Präsident des Industrie- und Handelstages, warnte indes davor, mit weiteren öffentlichen Finanzmitteln dem maroden Ostmarkt zu helfen, „der Leistungswille der Menschen könnte schließlich unter immer neuen Geldströmen aus dem Westen gelähmt“ werden. Und an der Börse war man erschrocken: Pöhls harsche Kritik ließ die derzeit ohnehin schwache (Gemeinschafts-)Mark gegenüber dem Dollar weiter sinken.

Der wirtschaftspolitische Sprecher der PDS/Linke Liste im Bundestag, Ulrich Briefs, setzt beim Streit zwischen kapitalistischer Wirtschaft und kapitalistischer Politik voll auf Pöhl, der die PDS-Kritik voll bestätige: „Auch die DM, die über Jahrzehnte extrem stabile Währung der BRD“, also „auch der reiche Westen“, gerate jetzt unter Druck. Die „überhastete Währungsunion“ sei schuld, daß statt eines „planmäßigen Überganges“ nunmehr „ein Wild-Ost-Prozeß abläuft“. Bernd Müllender, Bonn

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