: »Mühlfenzls Zielrichtung ist die Auflösung«
■ Der stellvertretende Intendant des Funkhauses Berlin spricht über die Zukunft der Hörfunk-MitarbeiterInnen in einer zukünftigen Dreiländeranstalt, über die Personalüberprüfung, Rundfunkmodelle und »kalte Rechner« aus dem Westen
Jörg Hildebrandt (52) ist seit September 1990 stellvertretender Intendant des Funkhauses Berlin. Er ist Mitglied der SPD und war 25 Jahre lang als Lektor bei der Evangelischen Verlagsanstalt tätig. Bis 1961 studierte er an der FU in West-Berlin Publizistik. Wegen kritischer Äußerungen gegenüber seinem Chef, dem Rundfunkbeauftragten Rudolf Mühlfenzl (CSU) ist Hildebrandt bereits einmal arbeitsrechtlich abgemahnt worden, beim zweiten Mal wurde er mit der fristlosen Entlassung bedroht. Er hatte gegen den Maulkorberlaß Mühlfenzls für die Intendanten protestiert und die Staatsnähe Mühlfenzls und seine »Konquistadorenart« angeprangert. Die von den Ex- DDR-RundfunkmacherInnen selbst entwickelten Überführungsmodelle — so Hildebrandts Kritik — dürften nicht mehr diskutiert werden. Hildebrandt bemängelte auch die schnelle Übernahme von DFF-Frequenzen durch ARD und ZDF. Er ist mit der brandenburgischen Sozialministerin Regine Hildebrandt (SPD) verheiratet.
taz: Rias und Deutschlandfunk schließen sich zu einer nationalen Hörfunkanstalt zusammen, für den Hörfunk der DDR sieht es hingegen schlecht aus. In Sachsen will man für die neue Länderanstalt am liebsten nur Journalisten aus dem Westen importieren, in Berlin hat die große Koalition aus CDU und SPD erklärt, daß Journalisten aus der Ex-DDR »nur im Einzelfall« übernommen werden sollen. SFB-Intendant Lojeweski sieht seinen Sender als einzig würdigen Kern einer Landesrundfunkanstalt. Wird das Funkhaus Berlin völlig abgewickelt?
Hildebrandt: Wir sind der Meinung, daß die hohe Personalzahl natürlich in einer Gesamtberliner Rundfunklandschaft nicht zu verkraften ist. Doch haben wir durchaus Anteile einzubringen, was die Ostberliner Bevölkerung und das Gebührenaufkommen angeht. So ist der Berliner Rundfunk — das »Programm aus der Bundeshauptstadt«, wie wir selbst ein wenig frech sagen — ganz klar als Teil der künftigen Landesrundfunkanstalt zu betrachten. Der Berliner Rundfunk hat sich in den vergangenen Monaten gerade als Ratgeber-Sender Verdienste erworben, das kommt ja sonst oft zu kurz.
Wie viele MitarbeiterInnen werden übrig bleiben?
Es gibt eine neue Dienstanweisung des Rundfunkbeauftragten, in der von über 9.000 abzuwickelnden Mitarbeitern die Rede ist. Das betrifft die gesamte sogenannte »Einrichtung« also Fernsehen und Hörfunk der ehemaligen DDR, der DDF in Adlershof, das Funkhaus Berlin in der Nalepastraße und die neu entstehenden Länderrundfunkanstalten. Mühlfenzl bezeichnet diese Zahl als »höher als der zusammengefaßte festangestellte Personalbestand von WDR und ZDF« und sagt, daß dieser »nicht annähernd nötig« sei, um den Programmauftrag aufrechtzuerhalten. Es müsse weiter deutlich reduziert werden.
Sehen Sie das anders?
Ich muß noch mal betonen, daß damit alle MitarbeiterInnen in allen neuen Bundesländern gemeint sind — nicht nur in Ost-Berlin. Ich sehe in Mühlfenzls Feststellung eine unzulässige, geradezu unkundige Simplifizierung. Das ist eine vordergründige Zweckargumentation, deren Zielrichtung weniger die Überführung denn die Auflösung ist. Wenn wir tatsächlich mal die Zahlen nehmen, die nur den Hörfunk betreffen, so haben wir im Bereich der alten DDR insgesamt elf Vollprogramme und ein Teilprogramm — den sorbischen Rundfunk — zu versorgen. Das machen wir mit 2.840 Mitarbeitern ohne die beiden Klangkörper in Leipzig und Berlin. Das ist der Stand Ende März 1991. Umgerechnet auf die Programme sind das 260 Mitarbeiter pro Programm. Das ist das absolute Minimum, der Rias gilt als sehr sparsam und hat 320 Mitarbeiter. Der Rundfunkbeauftragte irrt, wenn er meint, er könne weiter Personal abbauen und dennoch die Programmversorgung gewährleisten. Da müßten schon Programme eingestellt werden.
Hier haben zu viele Leute gearbeitet
Sie räumen aber ein, daß sie überbesetzt sind.
Natürlich haben hier zu viele Leute gearbeitet, aber wir haben schon im Frühjahr 1990, bevor es die Länder, einen Einigungsvertrag und einen Rundfunkbeauftragten überhaupt gab, vom Hörfunkrat aus zugunsten der Föderalisierung Frequenzen geräumt. Wir haben auch Mitarbeiter motiviert, in die Länder zu gehen — speziell nach Brandenburg. Zugleich haben wir gekündigt: Es sind schon weit mehr als 1.000 Mitarbeiter entlassen. Der Apparat, die Verwaltung ist natürlich aufgebläht gewesen, aber auch in der Zusammenarbeit mit der Gauck-Behörde ist es zu Entlassungen gekommen. In den nächsten Wochen werden wir weitere 250 Leute entlassen müssen, dann finden wir eigentlich nichts mehr. Die Funkdramaturgie etwa hatte früher 120 Mitarbeiter, jetzt sind es noch 31 — die alle Länder versorgen.
Wie sieht denn die Zukunft des Funkhauses Berlin in der kommenden Dreiländeranstalt — Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern — aus?
Wir hoffen, daß es sie geben wird, wir halten eine Dreiländeranstalt tatsächlich für das wirtschaftlich stärkste. Wir rechnen auf jeden Fall mit einer Rolle für den Berliner Rundfunk und DS-Kultur. Für die Programme Radio Aktuell und DT 64 bestehen starke Privatisierungstendenzen. Allerdings haben wir außerhalb unseres Hauses keine Lobby. Die ARD ist es nicht, schon gar nicht der SFB. Dazu kommt der in den Ländern verbreitete altbekannte Ost-Berlin- Frust, der ja 1987 zur 750-Jahr-Feier seinen Höhepunkt erreichte. Ich habe in vielen politischen Gesprächen gehört: Zusammenarbeit ja, aber unseren Fuß setzen wir nicht über die Schwelle der Nalepastraße. Wir können hier bestenfalls ein Produktionszentrum erhalten — aber die Sendetätigkeit wird mit Sicherheit arg reduziert werden müssen. Selbst die Hoffnung, für die neuen Länderanstalten über 1991 hinaus Mantelprogramme zu machen, ist sehr gering.
Bedeutet also ganz klar: Abwicklung?
Ja, Abwicklung. Meine Hoffnung auf die Mitwirkung des Rundfunkbeauftragten Mühlfenzl ist enttäuscht. Ich vermisse bei ihm und seinen Mitarbeitern die Konzepte, da wird zur Zeit hin- und hergependelt. Die sehen hauptsächlich die Abwicklung und Liquisdierung und es gibt nur wenige Anzeichen für eine Überführung. Mühlfenzl kann allerdings für sich ins Feld führen, daß die politischen Lösungen von den Ländern her noch nicht reif sind. Aber die Vielzahl von diskutablen Modellen, die das Funkhaus entwickelt hat, die sind von Mühlfenzl noch nicht aufgegriffen worden.
Was den Rundfunk angeht, wird ja wie überall das Westmodell über den Osten gestülpt. Das Modell hat aber mehr als Schwächen: auf vielen Ebenen ist der Rundfunk Beute der Parteien, die Rundfunkräte sind oft nicht gesellschaftlich repräsentativ besetzt. Das Modell der Senderleitung durch nur eine Person, den Intendanten, scheint vielen fragwürdig. Wie sehen sie das?
Natürlich bedauere ich das. Denn wir sind ja auf ganzer Linie ins Hintertreffen geraten, womit ich die Bürgerbewegung und das Modell des Runden Tisches meine. Es wurde schnell klar, daß es eine demokratische Runde-Tisch-Intendanz nicht geben würde, so wie Günter Gaus das noch angedeutet hatte. Wir können schon glücklich sein, wenn wir lebende demokratische Modelle aus der ARD übernehmen können, wobei die Parteien aber nur am Rande vorkommen sollten. Es wäre arglos zu glauben, daß andere Modelle noch eine Chance hätten. Wir sind im Laufe der Monate schwächer in unserem Einfluß geworden, der oberste Dienstherr heißt nun einmal Rudolf Mühlfenzl.
Sollten Journalisten nicht besser parteilos sein?
Warum? Wissen Sie, ich bin kein Journalist. Ich habe mein Leben lang gelernt, tolerant, aber nicht unkritisch zu sein. Und wenn ich Journalist wäre, könnte ich ein sachlicherer Transporteur für Belange konservativer Parteien und anarchistischer Gruppen sein als für die SPD, zu der ich gehöre. Die kann ich nur ausgesprochen kritisch betrachten. Allerdings kommt es auch auf das Selbstverständnis eines Journalisten an. Auch ein unparteiischer, nicht parteigebundener Journalist kann Tendenzjournalist sein. Gut fände ich, wenn ein Intendant nicht parteigebunden wäre. Aber damit brauchen wir nicht zu rechnen.
Zur Überprüfung der Mitarbeiter des ehemaligen DDR-Rundfunks: Der Personalfragebogen, den der Rundfunkbeauftragte verteilen ließ, wurde von Datenschützern kritisiert. Mühlfenzl selbst stellte die Sache als Erfolg dar. Was sagen Sie dazu?
Ich habe keine Schwierigkeiten damit. Zwar wird auf diese Weise versucht, nicht späte Rache zu üben, aber doch die Mitarbeiter tatsächlich dazu zu zwingen, zu ihrer Vergangenheit Stellung zu nehmen. Andererseits gibt es eine Fülle von Schönheitsfehlern bei den Bögen. So ist etwa die Frage nach den MfS-Kontakten nur zulässig, wenn der Arbeitgeber später öffentlich-rechtlich ist. Bei Privatisierung, beispielsweise von Jugendradio DT 64, wäre es nicht zulässig, die Bögen an die neuen Arbeitgeber weiterzureichen. Es ist eine verzwickte und dürftige Sache, Daten zu erheben, deren Verwendung und Zweck erst später festgelegt werden.
Wie ist das im Haus angekommen?
Es ist im wesentlichen akzeptiert worden. Ich weiß nicht, ob Sie selbst aus der ehemaligen DDR kommen...
Nein.
...wir haben da sowieso als alte DDR-Bürger kein richtiges Verhältnis dazu. Wir haben uns immer gewundert, warum die westdeutschen Freunde sich weigerten, an einer Volkszählung teilzunehmen. Wir sagten uns: Der Staat weiß sowieso alles. Wir waren das eine Extrem, sie das andere. Außerdem hat sich Herr Mühlfenzl den Fragebogen wohlweislich aus Brandenburg, einem von SPD, FDP und Bündnis regierten Land, besorgt. Man muß ja auch nicht jede Frage beantworten, es sollen nur Stichproben geöffnet werden. Ich will das damit nicht herunterspielen, es bleibt problematisch. Aber nur so kann wohl mit dem Märchen aufgeräumt werden, hier tummelten sich nur die Altlasten.
Sie sind vom Rundfunkbeauftragten abgemahnt worden...
Was mich beim Rundfunkbeauftragten und seiner Truppe immer so besonders bekümmert hat, ist: hier sind nicht Westberater als Helfer und Pioniere gekommen, sondern als kalte Rechner, die die ihre Interessen sichern wollen, auch die Privatfunk- Interessen. Das ist mein Kummer. Hier wird jetzt auch wieder ausgesprochen restriktiv vorgegangen und auch nicht immer demokratisch. Interview: Hans-H. Kotte
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