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Der messianische Depp

■ Shakespeares „Sturm“ am Leibnizplatz: als Pustekuchen mit Pupsen

O William, gnade deiner Company hienieden. Jetzt hat sie dein bestes Erbsilber versetzt: The Tempest, „Der Sturm“, dein Best-of-Shakespeare-Finalwerk, dein aufrührisch unweises Tempestament. Donnerstags am Leibnizplatz haben wir's erlebt in der Windmacher-Version: ein freches Stück aus lauter Pupsen!

Die Szene: eine Insel. „Insel“ nennt sich alle Sehnsucht mit Künstlernamen. Deshalb auf der Bühne: zwei Rampen zum Aufwärtslaufen (und vor allem Herunterrutschen). Und viel blaues Tuch in der Rolle des Meeres. Das Personal: eine Handvoll Schiffbrüchiger, die, mit knapper Not dem Sturm entkommen, nun dem Überleben ein Leben abzugewinnen haben.

Leider haben sie kaum was dabei, nur das alte Kopfwerkszeug: eingesalzene Staatsideen, vierschrötige Machtphantasien, Schlüsselchen zum besseren Leben und anderen kontinentalen Plunder. Nicht einmal die trautesten Utopien bestehen den Crash- Test der von nichts mehr getrübten Praxis. Binnen kurzem stolpern sich auf der Insel die Intrigen über die Füße, und die Nachfrage nach Untertanen überfordert das knappe Angebot.

Aber keine Bange, alles bloß halb so wahr, nämlich in Wirklichkeit mit Raffinesse inszeniert vom weisen Inselherrscher Prospero. So ein Mann! Ein großer Erlöser- Regisseur! Die Frage ist, warum der kleine Company-Regisseur Rainer Iwersen aus ihm einen Deppen gemacht hat. Vier Stunden lang muß der Peter Lüchinger

hierhin bitte

das Foto

auf dem eine Frau

über einem Dreier

gespann von Männern

thront

„Der Sturm“: Ariel mit Troika. Von links: Rudolf Höhn (Stephano), Christian Kaiser (Caliban), Karin Winkler (Trinculo). Obenauf: Ariel (Ariela Huchti)Foto: Menke

seine Rolle zur Possen-Pose aufpumpen und putzmunter tun und animierende Grimassen schneiden wie ein oberbayerischer Tou

ristenaufreißer.

Wahrscheinlich hätten wir merken sollen, daß der gute Prospero nach knapp vierhundert Bühnenjahren als Erlösungswerktätiger sich dem Ruhestand zuneigt und anfängt, deklamatorisches Papier zu reden. Daß die Company sich dafür eine ermäßigte Figur aus der Lach-und Schießbude holt, das ist nur billig, nicht recht.

Gelungene Gestalten sind auch dabei: Ariela Ruchtis mächtig zauberleichter Ariel, Mirandas schnauzige Renitenz (Petra Schmid), das närrische Sweetie Trinculo (Karin Winkler) und teils auch Christian Kaisers Bosnickel Caliban. Das sind so die Rollen, die Shakespeare selber schon hinreichend mit Komikalien präpariert hat.

Leider müssen sich oftmals auch die andern abzappeln, als wären sie mit Juxpulver gepudert. Aber das ist vielleicht gar kein Spaßzwang, sondern nur die Sorge, daß einem nix auskommt. Überhaupt sind wieder einmal alle Figuren zweihundertprozentig und geradezu wandmalerisch deutlich gepinselt. Noch weit hinterm Mond kriegt man alles eindeutig mit. Solchen Aufwand macht man sonst nur vor Kindern, daß sie zu weinen aufhören.

Aber eins beherrschen sie, alle Achtung: den kinetischen Witz, die Ebene der Bewegung, die Choreographie der Komik. Da sehen wir kleine Gesten, die sich, schwupp, ineinander übersetzen, und mimische Figuren, die einander emsig umtreiben wie Zahnrädchen. Das ist ein immerwährendes kreischlustiges Getriebe, man kann nicht genug davon kriegen. Besonders, wenn mal die Räder stillestehn und unerhörte Dinge geschehen und aller Augen glubsch machen. Wann hat man schon sonst einen direkten Blick auf die Perpetuums-Mechanik des Spiels, und auf eine so wunderbar feingetüftelte dazu.

Und dann kommt wieder der unerträgliche Knalltrottel von Prospero und muß seinen Hut aufhalten für milde Lacher. In der Haut der Company möcht ich nicht stecken. Es braucht schweres Gerät, wenn die comedy machine so einen Kolbenfresser hat. Manfred Dworschak

nächste Aufführungen: heute, Samstag, und morgen, Sonntag, je 19.30, Theater am Leibnizplatz

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