: Manipulationen
Die arabische Presse im Golfkrieg ■ Von Adel Darwish
Das auffälligste Merkmal der arabischen Presse während des Golfkrieges war die nahezu einmütige Unterstützung ihrer jeweiligen Regierungen und der Mangel an Diskussion. Mit Ausnahme der ägyptischen Presse nahmen die Medien des Mittleren Ostens für den Standpunkt ihrer Regierung Partei und gaben einer abweichenden, geschweige denn oppositionellen Haltung keinerlei Raum.
Im Irak verriet nichts, daß Kuwait ein Land war, das von irakischen Militäreinheiten besetzt worden war, kein Wort wurde laut über die Argumentation der Ägypter, Saudis, Kuwaitis oder der westlichen Mächte. Dennoch druckten irakische Zeitungen des öfteren britische, französische, amerikanische und ägyptische Artikel und Kommentare nach — natürlich nur solche, die sich gegen den Krieg äußerten, von Friedensaktivisten oder Journalisten, die vor den katastrophalen ökologischen Konsequenzen des Krieges warnten. Die irakische Presse manipulierte zudem auch sämtliche Zahlen, die Menschen- und Materialverluste betrafen, sowie Berichte über den Kriegsverlauf.
Manipulation und extreme Zensur jedoch war nicht nur auf Seiten des Irak zu finden. Auch die saudische und kuwaitische Presse ging mit den gleichen Mitteln vor. Obgleich dort mehr Geld dafür da ist, Berichte der seriösen Presseagenturen Nordamerikas, Frankreichs und Großbritanniens zu übernehmen, wurden die angekauften Artikel vor der Übersetzung völlig zusammengestrichen und ließen am Ende vom Original nur eine einseitige Fassung gegen den Irak in arabischer Sprache übrig.
Als Scud-Raketen auf Tel Aviv und andere zivile oder strategische Ziele in Israel fielen, wurde dies in der saudischen Presse nicht registriert; nur wenn aus anderen Gründen davon notwendig die Rede sein mußte, erwähnte man es ganz nebenbei. Wer in Saudi-Arabien lebt, mußte schon den BBC-Worldservice, Radio Kairo oder die Stimme Amerikas einschalten, um von den irakischen Angriffen auf Israel zu erfahren. Die Ironie der Situation wollte es, daß Leitartikel und Kommentare in der saudischen Presse, die Saddam Hussein „Unterstützung Israels“ vorwarfen, gleichzeitig irgendwie unterbringen mußten, daß der Irak Raketen gegen Israel abschoß; man versteckte diesen Widerspruch in Nebensätzen oder kurzen Zeilen winziger Meinungskolumnen.
Ägyptische, britische und amerikanische Zeitungen wurden am Flughafen von Riad einer Behandlung mit der Schere unterzogen; nur mit großen Löchern in den Seiten wurden sie ins Land gelassen, nachdem bestimmte Artikel herausgeschnitten worden waren. Bestimmte Zeitungen — darunter der Londoner 'Independent‘ und die ägyptische, linkslastige 'Al-Ahali‘ — wurden schließlich in Saudi-Arabien gänzlich verboten. Wie ein saudischer Beamter sagte: „Der saudische Zensor mußte zu viel herausschneiden, und dann sahen die Zeitungen nur noch lächerlich aus.“
Präsident Mubaraks Regierung versuchte hartnäckig, der Presse eine regierungsfreundliche Berichterstattung und Parteilichkeit für die Allliierten aufzudrücken. Bei knapp 20 oppositionellen oder zumindest unabhängigen Zeitungen und Zeitschriften mußte diese Politik jedoch scheitern. Selbst die halboffizielle Tageszeitung 'Al-Ahram‘ gab linken Kolumnisten und Kriegsgegnern das Wort, in deren Artikeln von der Gegenseite her argumentiert und zudem ständig daran erinnert wurde, daß es in diesem Krieg mehr um Öl ging als um Prinzipien oder eine gewaltsame Durchsetzung irgendwelcher Sicherheitsratsresolutionen. Die einzige Zeitung jedoch, die es wagte, der Regierung offen die Doppelmoral der USA vorzuhalten, was die Durchsetzung anderer UN-Resolutionen um besetzte Länder betrifft, war die von der „Progressiven Unionspartei“ — einer marxistisch-nasseristischen Gruppierung — herausgegebene 'Al-Ahali‘. Die Zeitung wies hin auf Israel, China, Südafrika und auch die USA selbst, die sich im Falle der Verminung der nicaraguanischen Häfen geweigert hatten, das Urteil des Internationalen Gerichtshofes anzuerkennen.
Trotz einer heftig anti-irakischen Stimmung in der ägyptischen Öffentlichkeit kritisierte die Zeitung nicht nur die irakische Besetzung Kuwaits, sondern auch die Doppelmoral der Alliierten, besonders der Golfstaaten. Sie wies auf ihre extreme Verletzung der Menschenrechte ebenso hin wie auf den dort tiefsitzenden Haß gegen demokratische Strukturen — obgleich Bush und Mubarak ständig behaupteten, der Krieg werde zur Verteidigung der Freiheit geführt.
Die meisten irakischen, saudischen und bahreinischen Exilzeitungen, die im Ausland gedruckt und von Untergrundaktivisten der Opposition ins Land geschmuggelt werden, waren ähnlich kritisch. Zeitungen wie der der Kommunistischen Partei des Iraks — 'Tariq al Shaab‘ — und die der islamischen Bewegung — so 'Attiyar‘, 'Sout al-Iraq Baghdad‘ und 'Sout al-Bahrein‘ — risikierten immerhin den Verlust westlicher Untersütztung mit ihrer Kritik an den Bombardierungen ziviler Ziele durch die US-Airforce und die britische RAF. Man stellte in diesen Zeitungen beispielsweise des öfteren Fragen wie „Wie wirkt sich denn wohl die Zerstörung der Brücken in Bagdad auf die irakischen Truppen in Kuwait — also 1.200 Kilometer südlich der Hauptstadt — aus?“ oder „Was ist der militärische Sinn der Zerstörung der Elektrizitäts- und Wasserversorgung in der Hauptstadt, beides direkt verantwortlich für den Tod hunderter Kleinkinder und Babys im Irak?“. Und natürlich waren diese Zeitungen gegenüber dem Schreckensregime Saddam Husseins ebenso kritisch.
In Jordanien war die Presse ohne Ausnahmme pro-Saddam und anti- westlich eingestimmt. Es blieb ihr auch keine Wahl: es war Zensur durch den Mob. Die Mehrzahl der Bevölkerung in Jordanien sind Palästinenser, die 1948 und 1967 aus Palästina entweder flohen oder vertrieben oder in den Flüchtlingslagern des Landes geboren wurden. Es ist nahezu unmöglich zu sagen, ob die jordanische Presse anders reagiert hätte, wenn dieser Konflikt ohne Krieg gelöst worden wäre. Westliche und ägyptische Reporter wurden von der aufgebrachten Menge nicht selten umzingelt und geschlagen, vor allem in der Nähe der Moscheen, und kein kluger jordanischer Journalist würde etwas zu schreiben wagen, was die Öffentlichkeit erzürnt.
Die Presse der Golfstaaten selbst präsentierte wiederum nur die eine Seite der Ereignisse. Wenig wurde gesagt über irakische Verwundete und Tote, und die Rhetorik, mit der der irakische Führer bedacht wurde — „krimineller Feind Gottes“, „Feind der islamischen Nation“, „der Zerstörer“, „die Mißgeburt“, „der Dummkopf“ usw. —, stand der irakischen Rhetorik in nichts nach. Die irakische Presse bezeichnete Präsident Bush als „Kriegsverbrecher“ und „Ungläubigen“, als „Sklave Satans“, „Judas“ und „Zwilling des Teufels“; der Name des saudischen Königs Fahd, der sich selbst einmal mit dem Titel khademulharamine — „Wächter der zwei heiligen Schreine“ — bedacht hatte, wurde geändert in khaeinulharamine, was heißt: „Verräter der zwei heiligen Schreine“. Der britische Premierminister John Major war in der irakischen Presse zum „dreckigsten Kriegsverbrecher ..., dreckiger und gemeiner“ als der amerikanische und französische Kriegsgegner, geworden. Und auch das war noch nichts gegen den rhetorischen Aufwand, den man im Irak zur Bezeichnung der früheren englischen Premierministerin Thatcher getrieben hatte: „die verrückte Alte, in deren Kopf der Teufel sein Zuhause gefunden hat“. Dank sowohl der saudischen als auch der irakisch gestützten Presse trat auch Allah früh aufs Schlachtfeld, wobei jede Gruppe behauptete, ihre Seite habe seine göttliche Unterstützung.
Die von Saudi-Arabien finanzierte arabische Presse im Ausland räumte auffällig zahlreichen Klerikern Platz ein, in dem sie zu dem Urteil kommen durften, daß Saddam ein Ungläubiger sei und der Krieg gegen ihn daher gerecht. Selbst in London ansässige Journalisten, die eine ausgewogene Berichterstattung kennen und zudem in einer vergleichsweise sichereren Position sind als ihre Kollegen im Mittleren Osten, verloren allen Sinn für Geschichte oder Proportionen. Die wüstesten Attacken gegen Saddam Husein und die PLO kamen von denen, die für kuwaitische und saudische Publikationen schrieben und die noch bis August letzten Jahres Husseins Mord an dem britischen Journalisten Farzad Bazoft ebenso verteidigt hatten wie seinen Gebrauch chemischer Waffen gegen die Kurden und seine Drohungen, „halb Israel zu verbrennen“.
Journalisten, die ihre Kollegen als „Spione und zionistische Agenten“ bezeichnet hatten, als diese Farzad Bazofts Recht auf einen Prozeß verteidigt oder selbst Artikel über die Produktion chemischer Waffen im Irak geschrieben hatten, griffen die gleichen Kollegen wiederum an. Nur beschuldigten sie sie dieses Mal, für Saddam zu sein, weil sie weiterhin ausgewogen zu berichten versuchten und ihre Leser daran zu erinnern wagten, daß die Herrscher am Golf (einschließlich der Sabah-Familie von Kuwait) nicht demokratisch gewählt sind. Und daß ihre Behandlung der eigenen Bevölkerung sich nicht so außerordentlich unterscheidet von der des irakischen Volkes durch Saddam Hussein.
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